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Das reicht, dachte Owen und murmelte das Schlüsselwort.

Zorn. Kraft schoß in seinen Körper, brannte in seinen Muskeln und wischte den hypnotisierten Klang der Stimme des Wampyrs mühelos aus seinen Gedanken. Ohne hinzusehen, ergriff Owen einen neben ihm stehenden Tisch und schlug damit nach dem wie in Zeitlupe reagierenden Abbott. Der schwere Holztisch sauste wie eine gigantische Fliegenklappe durch die Luft und krachte mit unglaublicher Gewalt auf den Wampyr herunter. Der Aufprall schleuderte die Kreatur quer durch den Raum und durch ein geschlossenes Fenster auf die Straße. Glas flog splitternd in alle Richtungen, und der Wampyr verschwand in der nebligen Dunkelheit. Alles wartete gespannt, doch er kehrte nicht wieder zurück. Hazel nickte anerkennend zu Owen, als der Todtsteltzer den Tisch wieder absetzte und der Zorn aus seinem Körper wich.

»Nicht schlecht, Lord.«

Owen lächelte verhalten. »Ich habe meine starken Momente.«

»Nicht daß du dir einbildest, ich wäre nicht selbst mit dem Kerl zurechtgekommen.«

»Kein Gedanke, nein«, erwiderte Owen galant. Dann blickte er sich zu der gespannten Menge um. »Noch jemand?«

Ein kurzes, betretenes Schweigen entstand. Die Gäste wandten sich ab und nahmen die Beschäftigungen wieder auf, die sie wegen des Zwischenfalls unterbrochen hatten. Der Lärm erreichte bald wieder den alten Pegel, und Owen stand im Begriff, den Laden zu verlassen, als Cyder ihm den Weg versperrte und ihn mit ausgestreckter Hand aufhielt.

»Nicht so schnell, du Held. Da ist noch ein zerbrochenes Fenster, das bezahlt sein will.«

Owen blickte zu den Überresten der Scheibe, durch die Abbott gesegelt war, und gestand sich zögernd ein, daß Cyder nicht ganz unrecht hatte. Er räusperte sich gründlich, um Zeit zu gewinnen, und versuchte zu überlegen, wieviel eine zerbrochene Scheibe auf einer so primitiven Welt kosten mochte.

Die Antwort war nicht gerade ermutigend. Er gab sich Mühe, Cyder mit festem Blick zu begegnen.

»Abbott hat angefangen. Er soll für das Fenster zahlen.«

»Er ist nicht mehr hier«, erwiderte Cyder. »Aber du.«

Owen überprüfte in Gedanken den Inhalt seiner Taschen und blickte zu Hazel. »Es scheint, daß ich im Augenblick finanziell ein wenig… verlegen bin. Meint Ihr, Ihr könntet vielleicht…?«

Hazel funkelte ihn wütend an und wühlte in ihren Taschen.

»Das nächste Mal überleg dir gefälligst einen weniger kostspieligen Weg, wenn du dich prügelst.«

»Aber… er war doch Euer früherer Freund!« beschwerte sich Owen.

»Er war nicht mein Freund!«

»Ich persönlich hab’ sowieso nie verstanden, was dich an ihm gereizt hat«, sagte Cyder, während sie rasch die Münzen zählte, die Hazel ihr gegeben hatte, um sie dann in ihren Taschen verschwinden zu lassen. »Er war doch gar nicht dein Typ, meine Liebe.«

Hazel war kurz davor, erneut zu explodieren, aber dann seufzte sie nur resigniert. »Also gut, es war nicht nur das Geld. Ich fühlte mich so deprimiert, und ich war gerade in der richtigen Stimmung, mich von jemandem herumkommandieren und mißhandeln zu lassen, der groß und häßlich und dominant war. Du weißt, wie das ist.«

»Unglücklicherweise ja«, gestand Cyder. »Ach so, bevor ich es vergesse – möglicherweise gibt es einige Leute in meinem Bekanntenkreis, die aus den verschiedensten Gründen bereit wären, euch zu helfen. Ich werde ihnen eine Nachricht zukommen lassen und sehen, was geschieht. War nett, dich wiederzusehen, Hazel. Laß mich wissen, wie es am Ende ausgegangen ist, ja?«

Hazel und Cyder umarmten sich rasch, küßten die Luft neben ihren Wangen, und dann stapfte Hazel nach draußen in das neblige Dunkel der Nacht, gefolgt von einem unschlüssigen, resignierten Owen Todtsteltzer. Cyder blickte den beiden hinterher, bis der Nebel sie verschluckt hatte, und schloß die Tür. Nachdenklich die Stirn runzelnd, bahnte sie sich einen Weg durch die zurückweichende Menge bis zu einem Tisch in einer Nische im hinteren Bereich der Taverne. Dort setzte sie sich zu einem jungen Burschen in einem weißen Thermoanzug, der bei ihrer Ankunft fragend die Augenbrauen hob. Sein Name war Katze, ein schlanker junger Mann kaum Anfang Zwanzig, aber mit einer lebenslangen Erfahrung, wie man in den Straßen von Nebelhafen überlebte. Er besaß ein freundliches, offenes Gesicht, das von ruhigen, dunklen Augen und Pockennarben auf den Wangen beherrscht wurde. Es gab nichts, das er nicht für Cyder tun würde. Er war ein Dachläufer. Ein Mann, der sich auf die oberen Stockwerke der Häuser von Reichen und Sorglosen spezialisiert hatte, und meist erledigte er Aufträge, die er von Cyder erhielt. Sie war gleichzeitig seine Hehlerin. Katze war taubstumm, doch das behinderte ihn in keiner Weise. Auf den Dächern der Stadt machte es sowieso keinen Unterschied. Er beobachtete Cyders Lippen sorgfältig, während sie sprach, und wartete geduldig auf ihre Anweisungen.

»Wieder einmal werfen große Dinge ihre Schatten auf Nebelhafen«, begann sie. »Ich spüre es in meinen Knochen. Es muß einen Weg geben, um damit Geld zu machen. Ich muß nur geistesgegenwärtig genug sein. Und ich muß Hazel und ihren jungen Lord lange genug am Leben halten. Ich glaube, sie haben nicht die leiseste Ahnung, wie verzweifelt ihre Situation in Wirklichkeit ist. Bestimmt ist die halbe Stadt auf den Beinen und sucht die beiden. Ich würde sie ja selbst ausliefern, wenn ich Hazel nicht so viel schulden würde.

Ich möchte, daß du sie beobachtest, Katze. Laß dich nicht blicken, aber hilf ihnen, wo du nur kannst. Sei diskret. Wir wollen nicht, daß man eine Einmischung bis zu uns zurückverfolgen kann. Jedenfalls nicht, bevor wir nicht wissen, wer am Ende als Sieger aus der Geschichte hervorgeht. Während du den Schutzengel spielst, werde ich Tobias Mond eine Nachricht senden. Wenn man ihn mit Hazel und Todtsteltzer zusammenbringt, könnten eine ganze Menge interessanter Dinge geschehen. Nun, was sitzt du noch hier rum, mein

Süßer? Es gibt Arbeit für dich, und ich muß Pläne schmieden.«

Katze nickte rasch, gab ihr einen Kuß, und dann noch einen, weil es ihm so gut gefiel, und erhob sich vom Tisch. Er öffnete das Fenster neben sich und kletterte hinaus in den wabernden Nebel und die kalte Luft. Der junge Mann warf das Fenster hinter sich zu und kletterte mit geübter Leichtigkeit an der Außenmauer der Taverne aufs Dach hinauf. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er sich über die schwere eiserne Dachrinne auf das Giebeldach des Schwarzdorn geschwungen hatte. Einige Zeit kauerte er sich wie ein geisterhafter Wasserspeier zusammen und blickte über das sanfte Auf und Ab des Dächermeeres in den grauen Nebel. Katze war zurück in seinem Element. Schließlich machte er sich über die Giebel des Diebesviertels auf die Suche nach Hazel und Owen. Er fühlte sich vollkommen sicher. Sie würden nie bemerken, daß ihnen jemand folgte.

Das Abraxas-Informationszentrum entpuppte sich als eine einfache Etage über einer Bäckerei in einer stillen, heruntergekommenen Ecke des Händlerviertels. Der Geruch von frischgebackenem Brot lag schwer in der Luft. Owens Magen knurrte laut. Er dachte darüber nach, wie lange es her war, daß er über einer vernünftigen Mahlzeit aus mindestens vier Gängen gesessen hatte, und die Antwort deprimierte ihn.

Nach einem Zorn war er immer hungrig, und so setzte er sich entschlossen in Richtung des Eingangs der Bäckerei in Bewegung. Aber Hazel packte ihn mit mindestens der gleichen Entschlossenheit am Arm und steuerte ihn am Eingang des Ladens vorbei zu der außen am Haus angebauten Treppe, die in die erste Etage hinaufführte.

»Du kannst später noch essen, Aristo«, sagte sie ohne Erbarmen. »Zuerst kommt das Geschäft.«

Owen schluckte und schmollte insgeheim, während Hazel die knarrenden hölzernen Stufen hinaufstieg. Was auch immer er sich vom Abraxus-Informationszentrum versprochen hatte – seine Zuversicht sank in dem Augenblick, als er die Trostlosigkeit des Gebäudes in sich aufnahm. Es benötigte offensichtlich ein paar Reparaturen, einige davon sogar sehr dringend, und es war seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden. Owens Gewißheit, daß er hier keine Hilfe finden würde, stieg von Minute zu Minute. Seine Ställe daheim auf Virimonde waren in einem besseren Zustand gewesen als dieses Bauwerk hier. Er seufzte unhörbar. Virimonde schien in ferner Vergangenheit zu liegen. Es war beinahe ein Schock für ihn, als er sich daran erinnerte, daß er noch vor wenigen Tagen der Lord des Planeten gewesen war und seine Welt einen Sinn gehabt hatte.