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»Ich beabsichtige sowieso nicht, in nächster Zeit zu sterben«, antwortete Owen. »Andererseits war es immer wieder ganz schön eng, seit Hazel mir auf Virimonde den Hintern gerettet hat. Kommt, Hazel. Laßt uns gehen. Dieser Ort hier macht mich noch ganz krank.«

Chance zuckte die Schultern. »Ich halte Euch ganz bestimmt nicht fest, Todtsteltzer. Ihr habt einen Namen und eine Adresse, alles, was Ihr wolltet, und alles bereits im voraus bezahlt. Der Rest des Geldes vom Konto Eures Vaters wird mich über Euren Besuch und Euer Ziel schweigen lassen. Ich bedaure die Notwendigkeit, aber die Zeiten sind hart, und ein ehrlicher Mann muß sehen, wo er bleibt. Ich bin sicher, daß Ihr das versteht…«

Er brach ab, als Owens Hand vorschoß, Chance an seiner Lederweste packte und ihn hochhob. Owen zog ihn ganz dicht zu sich heran und grinste böse.

»Hoffentlich versteht Ihr mich auch, Chance. Ihr flüstert nur ein Wort über mich, egal zu wem, und Ihr betet besser, daß sie mich finden und umbringen. Weil ich Euch nämlich sonst finden werde, und dann bringe ich Euch stückweise um. Ist das klar?«

Plötzlich bemerkte Owen, ohne sich umzusehen, daß sich irgend etwas im Raum verändert hatte. Es war sehr leise, kein Ton war mehr zu hören – und mit einem Mal wurde ihm klar, daß die schlafenden Esper aufgehört hatten vor sich hin zu murmeln. Ohne seinen Griff zu lockern, drehte Owen den Kopf zur Seite und blickte sich um. Die Esper hatten ihre Köpfe gehoben, und fixierten ihn mit kalten, konzentrierten Gesichtern. Eine unheimliche Bedrohung schien von ihnen auszugehen.

»Laß ihn wieder runter, Owen«, sagte Hazel sanft. »Bitte, Owen. Laß ihn los.«

Owen ließ Chance los und trat einen Schritt zurück. Er versuchte nicht einmal, den Disruptor oder sein Schwert zu ziehen. Irgendwie wußte er, daß Waffen ihm in dieser Situation nicht helfen konnten. Das Gefühl von Gefahr schwebte beinahe greifbar in der Luft. Eine unheimliche Macht strahlte von den Kindern aus. Chance brachte seine Kleidung eifrig wieder in Ordnung und rümpfte Owen gegenüber die Nase.

»Meine Kinder schützen mich, Todtsteltzer. Immer. Ich schlage vor, Ihr verschwindet jetzt, bevor sie sich

entschließen, etwas Unangenehmes oder gar Endgültiges mit Euch anzustellen.«

»Zeit zu gehen«, sagte Hazel. »Er macht keine Witze, Owen. Diese Kinder sind gefährlich.«

»Das bin ich auch«, erwiderte Owen kaltblütig. »Ich bin ein Todtsteltzer, Chance. Vergeßt das niemals.«

»Die Imperatorin hat Euch Euren Namen genommen«, erwiderte Chance.

Owen lächelte kalt. »Das hätte sie gerne. Ich bin der Todtsteltzer. Bis zu meinem Tod. Und ein Todtsteltzer vergißt niemals einen Verrat oder einen Feind.«

Chance blickte zu ihm herab. »Genau das hat auch Euer Herr Vater gesagt, als er das letzte Mal hier war.«

»Ich bin nicht mein Vater, Chance. Ich arbeite auch mit schmutzigen Tricks, mein Freund.«

Owen wandte sich um und ging ohne weiteres Wort, Hazel dicht auf seinen Fersen. Die Esper in ihren Kojen blickten den beiden hinterher. Ihre Köpfe drehten sich, als wären sie eins.

In einer dunklen Seitengasse, die neben der Bäckerei von der Hauptstraße abzweigte, warteten in der Kälte und dem Nebel drei üble Gestalten mit gezogenen Schwertern darauf, daß ihr Opfer endlich aus dem Gebäude kommen würde. Sie hatten eine Menge Geld im Schwarzdorn gelassen, um die Spur des Todtsteltzers und der Frau zu finden, aber das Kopfgeld auf ihre Beute würde allemal reichen, ihre Auslagen in voller Höhe zu ersetzen. Darüber hinaus würde sogar noch eine höllische Menge Geld übrigbleiben.

Die drei Schläger aus der dunkelsten Gegend des Diebesviertels hießen Harley, Jude und Krähe. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt als Beutelschneider, Zuhälter und bezahlte Schläger. Normalerweise hätten sie genug Vernunft besessen, um nicht gegen einen berühmten Schwertkämpfer und Krieger wie Owen Todtsteltzer loszuziehen, aber die ausgesetzte Belohnung hatte ihren Verstand getrübt, und da sie zu dritt und aus dem Hinterhalt angriffen, fühlten sie sich auch relativ überlegen. Mit ein wenig Glück wäre bereits alles vorbei, bevor der Todtsteltzer auch nur ahnte, wie ihm geschah, und dann könnten sie sich mit der Frau abwechseln, bevor sie auch sie umbrachten. Die drei Schläger umklammerten die Griffe ihrer Schwerter und stampften ungeduldig im Schnee herum.

Sie hatten nicht geplant, so lange auf Todtsteltzer warten zu müssen. Aber planen gehörte sowieso nicht zu ihren Stärken, genausowenig wie Geduld.

Inzwischen schneite es wieder, und der Nebel wurde von Minute zu Minute dichter. Es war eiskalt. Krähe machte ein mürrisches Gesicht. Eigentlich war er der Anführer der drei, nicht nur, weil er den Mund am weitesten aufriß, sondern auch, weil er am lautesten redete. Jetzt beschlich ihn nach und nach das ungute Gefühl, daß die Idee mit dem Hinterhalt vielleicht nicht so gut gewesen war – und das, obwohl es eigentlich seine eigene Idee gewesen war. Es dauerte alles viel zu lange. Sie konnten nicht die ganze Zeit über mit dem Schwert in der Hand in der Gasse stehenbleiben. Irgend jemand würde es schließlich auffallen, selbst hier in einer Stadt wie Nebelhafen. Er wandte sich zu Jude um und wollte über das Warten im allgemeinen und die Kälte im besonderen lamentieren, doch dann erstarrte er mitten im Wort.

Jude war nicht da.

Krähe blinzelte. Noch vor einer Minute hatte Jude neben ihm gestanden. Lebensgroß und doppelt so stinkend. Krähe blickte schnell die enge Gasse hinab, aber es gab nirgendwo eine Stelle, wo Jude sich hätte verstecken können. Wenigstens Harley war noch da. Krähe packte ihn am Arm, und Harley wäre vor Schreck beinahe aus der Haut gefahren.

»He! Mach das nie wieder! Du weiß’, daß ich nervöse Zuckungen kriege, wenn mich jemand erschrecken tut. Was willst‘n?«

»Wo is ‘n Jude?«

Harley blickte Krähe argwöhnisch an, dann blickte er unsicher die Gasse entlang. »Weiß nich’. Ich dacht’, er wär’ bei dir? Vor ‘ner Minute war er doch noch da!«

»Weiß ich selbst, daß er vor ‘ner Minute noch da war. Aber jetz’ is’ er wech! Was is ‘n mit ihm, Mann?«

»Keine Ahnung, Mann. Vielleicht mußt’ er pinkeln un’ is’ … wechgegang’.«

»Ohne ein Wort zu sage’? Un’ warum haben wir nich’ bemerkt, wie er wechgegang’ is?«

Harley blickte zu Boden und dachte angestrengt nach. Das fiel ihm nicht eben leicht. Denken war ihm noch nie leichtgefallen, und er war ziemlich sauer auf Krähe, weil der ihm so viele schwierige Fragen stellte. Harley war schließlich nicht zum Denken in der Bande. Er war hier, um Befehle entgegenzunehmen und Leute zu verhauen. Voller Hoffnung hob er den Blick zu Krähe. Vielleicht würde der Boß ja selbst mit den Antworten rausrücken. Aber Krähe wartete noch immer auf Harleys Antwort, und so senkte er die Augen schnell wieder.

»Ich geh’ mal ans Ende der Gasse gucken«, sagte Harley hastig. »Nur für den Fall.«

Er wandte sich um und stapfte rasch durch den Schnee davon, bevor Krähe fragen konnte, für welchen Fall. Krähe blickte seinem Kumpan hinterher und fluchte lautlos. Der Hinterhalt hatte noch nicht mal richtig angefangen, und schon ging alles schief. Er blickte zur Bäckerei zurück, um sicherzugehen, daß die Beute noch nicht wieder aus dem Haus getreten war, dann blickte er wieder Harley hinterher. Nur um festzustellen, daß Harley nicht mehr da war. Über Krähes Lippen kam ein leises wimmerndes Geräusch. Harley konnte auf gar keinen Fall in der kurzen Zeit, in der Krähe weggesehen hatte, das Ende der Gasse erreicht haben, aber er konnte auch sonst nirgendwo abgebogen sein. Es sei denn, er hätte auch mal gemußt und… Krähe drehte sich um seine eigene Achse, für den Fall, daß er etwas übersehen hatte, mit dem einzigen Erfolg, daß ihm schwindlig wurde. Dann dachte er ernsthaft darüber nach, schreiend Fersengeld zu geben – aber eine dünne Drahtschlinge legte sich lautlos von oben um seinen Hals und drückte seine Kehle zusammen. Krähe ließ sein Schwert fallen und umklammerte mit beiden Händen den Draht, aber seine Augen wurden bereits glasig und drohten aus den Höhlen zu springen, als er plötzlich in die Höhe gezogen wurde.