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Als Katze ihn endlich oben auf dem Dach hatte, war Krähe bereits bewußtlos. Katze legte den reglosen Schläger neben seine beiden schlafenden Kumpane und grinste breit. Er war so schlau, und sie waren so dumm. Der junge Dieb lockerte die Drahtschlinge, zog sie von Krähes Hals und wickelte sie wieder um seinen Bauch. Nachdenklich musterte er die drei schlafenden Gestalten. Er konnte sie nicht töten. So etwas lag ihm nicht. Trotzdem gab er Harley einen kräftigen Tritt in die Eier, weil er so unnötig schwer gewesen war. Er hätte sich beinahe verhoben, als er das Riesenrindvieh aufs Dach gezogen hatte. Aber Cyder hatte ihm schließlich befohlen, dafür zu sorgen, daß Hazel und Owen unbehelligt blieben, und Katze machte immer, was Cyder ihm befahl. Teils, weil er Cyder liebte, aber hauptsächlich, weil sie mit Gegenständen nach ihm warf, wenn er es nicht tat. Mit Messern zum Beispiel. Er kauerte sich am Rand des Dachs nieder, beinahe vollkommen unsichtbar in seinem weißen Thermoanzug, der sich kaum vom nebligen Wabern abhob, und lächelte zufrieden, als Hazel und Owen schließlich aus der Bäckerei kamen und sich über die Hauptstraße entfernten. Er folgte ihnen leise, ein unsichtbarer Schatten hoch oben über den Dächern von Nebelhafen.

»Owen«, begann Hazel mit fester Stimme, »was auch immer du tust oder nicht tust, hier in Nebelhafen – eins solltest du niemals machen, und zwar einen Esper ärgern. Ganz zu schweigen von einer ganzen Bande verrückter Esper. Sie haben schrecklich viele Möglichkeiten, einem die Freude am Leben so richtig gründlich zu verderben. Außerdem können sie deine Lebensspanne ziemlich drastisch verkürzen. Wenn du weiterhin so risikofreudig sein willst, dann sag mir bitte beim nächsten Mal früh genug Bescheid, damit ich mich von dir trennen kann.«

»Ich verstehe das einfach nicht«, brummte Owen. Seine Finger umklammerten wütend den Griff des Schwertes. »Er beutet diese Kinder aus! Er verbrennt den Rest Leben, der noch in ihnen steckt, und trotzdem waren sie fest entschlossen, ihn mit allen Mitteln zu verteidigen!«

»Du muß es auch gar nicht verstehen«, sagte Hazel. »Du mußt dir nur eins merken: Steck deine Nase nicht in die Angelegenheiten anderer Leute, oder jemand wird sie dir abschneiden. So ist diese Stadt eben. Zum größten Teil jedenfalls.«

Owen seufzte und schüttelte den Kopf. »Also gut. Wohin gehen wir jetzt? Ihr sagtet, daß der Sportpalast, den wir suchen, nördlich vom Abraxus-Informationszentrum liegt. Meinem internen Kompaß zufolge bewegen wir uns jetzt aber in südwestliche Richtung.«

Hazel starrte ihn verblüfft an. »Du hast einen eingebauten Kompaß? Ich hatte keine Ahnung, daß ich die ganze Zeit mit einem Hadenmann durch die Gegend gelaufen bin. Was hast du sonst noch alles an Überraschungen in dir eingebaut, von denen ich nichts weiß?«

»Das geht Euch gar nichts an, und wechselt gefälligst nicht das Thema! Wohin gehen wir?«

»Ich muß vorher noch was erledigen«, wich Hazel aus.

»Nur für den Fall, daß die Ohnesorg-Sache sich nicht nach Plan entwickelt. Ich fühle mich sicherer, wenn wir Rückendeckung haben. Ruby Reise war eine brandgefährliche Kopfgeldjägerin, aber sie schuldet mir einige ziemlich große Gefälligkeiten. Wenn überhaupt jemand weiß, wo er uns verstecken und wie er uns beschützen kann, dann sie. Unglücklicherweise haben wir sie bisher an keinem der üblichen Orte gefunden, was nur noch eine einzige Möglichkeit offenläßt. Alle Kopfgeldjäger auf Nebelwelt benötigen eine Lizenz, nach dem Motto: Wenn du es nicht kontrollieren kannst, dann erhebe Steuern darauf. Die Behörde, die diese Lizenzen vergibt, befindet sich ein Stück weit die Straße hinunter, durch die wir im Augenblick gehen, und dann um die Ecke. Außer, wenn sie wieder umgezogen sind. Die Leute sind nicht davon abzubringen, die Behörde immer wieder in Brand zu stecken.

Scheint irgendwie ums Prinzip zu gehen.«

Während Hazel die Straße hinunter und dann ein Stück weit um die Ecke vorausging, dachte Owen über ihre Worte nach.

Er war sich ziemlich sicher, daß ihnen jemand folgte, aber bisher hatte dieser jemand seinen Zug noch nicht gemacht.

Beinahe wünschte er sich, daß endlich etwas geschehen würde, damit er wenigstens reagieren könnte. Die dauernde Anspannung verursachte allmählich Schmerzen zwischen seinen Schulterblättern. Owen wußte nicht genau, wie viele von ihnen da draußen waren. Er sah oder hörte sie immer beinahe, nur wenn er dann erneut hinblickte… war niemand mehr da.

Owen geriet ernsthaft in Versuchung, herumzuwirbeln und, so laut er konnte, ›Buuuh!!!‹ zu rufen, nur um zu sehen, wer wo in Deckung sprang, als Hazel unvermittelt anhielt. Owen blieb neben ihr stehen und betrachtete nachdenklich die umliegenden Gebäude. Er hatte schon Schlimmeres gesehen, und das meiste davon hier in Nebelhafen.

Das neue Gebäude war definitiv luxuriöser als die Bäckerei

– nicht, daß das besonders schwierig gewesen wäre. Anscheinend blühte das Kopfgeldjägergeschäft in Nebelhafen. Es war ein großes Gebäude mit verschnörkelten Dekorationen und Stuck. Ein steter Strom von Menschen ging ein und aus. Hazel stapfte durch die geöffnete breite Doppeltür, als wäre das Haus ihr eigenes, und Owen beeilte sich, ihr zu folgen. Sie gingen beinahe unter in dem vollständigen Chaos, das die große Eingangshalle von einer Wand bis zur anderen ausfüllte. Überall, wo Owen hinblickte, standen Schalter und Schreibtische, die unter Stapeln von Akten zusammenzubrechen drohten. Menschen rannten zwischen den Tischen hin und her, als würde ihr Leben davon abhängen. Aber das hier ist schließlich Nebelhafen, dachte Owen. Vielleicht hängt ihr Leben tatsächlich davon ab. Eine große, buntgewürfelte Menschenmenge füllte den restlichen Raum aus. Sie brüllten die Leute hinter den Schreibtischen und sich gegenseitig sowohl laut als auch hartnäckig an. Die Wände waren übersät mit Steckbriefen, und oben an der Decke hatte jemand eine Reihe von detaillierten Gemälden des menschlichen Körpers geschaffen – und die Punkte hell hervorgehoben, wo großkalibrige Waffen die beste Wirkung erzielten.

Der Lärm war ohrenbetäubend, die Luft heiß und stickig und der Gestank beinahe unerträglich. Hazel schob sich unter freizügigem Gebrauch von Fäusten und Ellbogen mitten durch das dichteste Gewühl. Anscheinend war ihr Benehmen gängige Praxis oder zumindest gängig genug, daß nur ganz wenige Leute nach ihren Schwertern griffen – freilich zu spät, denn da waren sie und O wen schon wieder im Gedränge verschwunden. Owen hielt sich immer dichter hinter seiner Gefährtin, murmelte höfliche Entschuldigungen, die keiner hörte, und blitzte diejenigen an, die ihre Waffen nicht schnell genug wieder losgelassen hatten. Es war ein sehr wirkungsvolles Blitzen, und Owen hatte seit seiner Ankunft auf Nebelwelt massenweise Gelegenheiten gehabt, diesen Blick zu vervollkommnen. Ein sorgfältig ausbalanciertes Gemisch aus mühsam bezähmter Wut und drohender Gewalt mit einer unterschwelligen Note von purem Wahnsinn. Als er die Menge zur Hälfte durchquert hatte, begannen die Leute vor ihm bereits freiwillig zurückzuweichen.

Vor einem Schreibtisch auf der Rückseite des Raums kam er neben Hazel zum Stehen. Auf dem Schreibtisch befanden sich zwei Ablagekörbe. Auf einem stand ›Eingegangen‹, auf dem anderen ›Dringend‹. Zwischen den beiden Körben stapelte sich Papier. Das meiste davon sah nach billiger Recyclingware aus, und Owen bemerkte fasziniert, daß fast alle Texte handgeschrieben waren. In den Kreisen, in denen er früher verkehrt hatte, fanden sich nur ganz selten handgeschriebene Briefe. Üblicherweise schrieben nur Liebespaare oder Spione mit der Hand.