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Der Mann hinter dem Schreibtisch war eine kleine, eifrige Gestalt mit permanent verdrießlichem Blick. Er war lässig oder eher nachlässig gekleidet, und sein dickes schwarzes Haar stand wirr in alle Richtungen ab, obwohl er dauernd glättend mit der Hand über seinen Kopf fuhr. Hazel setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf, und der Schalterbeamte starrte mit einer Mischung aus Verzweiflung und drohendem Schlaganfall zurück. Sie öffnete den Mund, um zu reden, aber er fuhr ihr mit einer lauten, durchdringenden Stimme dazwischen, die keinerlei Mühe hatte, den allgemeinen Lärm zu durchdringen.

»Ich weiß es nicht! Was auch immer es ist, ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal! Ich sitze bis zum Hals in Papierkram und versinke bald darin. Verschwinde! Kommt nächste Woche wieder. Oder nächsten Monat. Am besten gar nicht. Was steht Ihr noch hier herum?«

»Ich brauche einen Namen, sonst nichts«, sagte Hazel.

»Das sagt jeder«, schnappte der Beamte zurück. »Habt Ihr eine Vorstellung, wieviel Arbeit es macht, auch nur einen einzigen Namen herauszusuchen? Nein, natürlich habt Ihr keine Ahnung. Und es ist Euch auch vollkommen egal, oder?

Niemand schert sich darum«, endete er wehmütig. »Niemand weiß zu schätzen, was wir hier leisten. Die Frühstückspause ist der reinste Witz, es gibt nur eine einzige Toilette, und das Gehalt ist jämmerlich. Wenn es nicht die Pension gäbe, dann hätte ich schon längst gekündigt. Und die sich immer wieder bietenden Gelegenheiten, den Leuten das Leben schwerzumachen. Ich sehe meine Arbeit als eine Art Rache an der gleichgültigen Gesellschaft. Entweder ich arbeite hier, oder ich zünde auf öffentlichen Plätzen Bomben. Aber Bomben sind ziemlich teuer, also sitze ich hier. Ihr seid ja immer noch da!«

»Und warum sitzt du hier?« fragte Hazel. »Kannst du dir deinen Existentialismus nicht für später aufheben? Such mir einfach nur einen Namen und eine dazu passende Adresse heraus, und wir gehen und lassen dich in Frieden. Meinst du nicht, das wäre für uns alle das beste? Und nicht nur das – wenn du uns hilfst, dann verspreche ich dir in die Hand, daß ich meinen Begleiter hier daran hindern werde, all die Papiere auf deinem Schreibtisch in die vier Ecken dieses Büros zu verstreuen.«

Der Beamte legte schützend die Hände über den nächstgelegenen Stapel. »Das haben wir gern. Bedroht mich nur. Feindet mich nur ruhig an. Wer bin ich denn schon? Ein kleiner Schalterbeamter, nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe.

Ich glaube, ich kriege wieder einen meiner Anfälle!«

»Was hältst du davon, wenn wir dir einen kleinen Bonus anbieten?« fragte Hazel.

»Was haltet Ihr davon, wenn Ihr mir einen großen Bonus anbietet?« fragte der Beamte.

Hazel zog eine Silbermünze aus ihrer Geldbörse und warf sie vor dem Beamten auf den Tisch. Der Bürokrat blickte traurig auf die Münze, ohne sich zu rühren. Hazel mußte noch drei weitere Geldstücke hinzufügen, bevor der verhinderte Anarchist resignierend seufzte und das Geld mit geübter Handbewegung einstrich.

»Also gut. Nennt mir den Namen. Ich will sehen, was ich tun kann. Aber ich kann Euch nichts versprechen.«

»Ruby Reise.«

»Ach die! Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt? Sie arbeitet als Rausschmeißerin unten im Tollwütigen Wolf. Und dort kann sie meinetwegen auch bleiben, weit weg von zivilisierten Menschen. Seit sie nicht mehr hier ist, herrscht plötzlich Frieden in der Gegend. Wenn Ihr Ruby Reise findet, dann sagt ihr doch gleich, daß ihre Lizenz nächste Woche abläuft.

Aber achtet darauf, vorher in Deckung zu gehen. Und jetzt verschwindet endlich und geht jemand anderem auf die Nerven! Ich muß Akten durcheinanderbringen und Bürgeraufstände planen.«

Er nahm das nächstliegende Schriftstück auf und fixierte es mit starrem Blick. Hazel und Owen sahen sich an, zuckten die Schultern und wandten sich grinsend um. Sie schoben und stießen sich den Weg durch die Menge nach draußen auf die ruhige, stille Straße zurück.

»Nun«, begann Owen, »das war irgendwie… eigenartig.

Gibt es viele Leute von seiner Sorte in dieser Stadt?«

»Unglücklicherweise ja«, antwortete Hazel. »Viele Menschen werden auf der Flucht vor dem Imperium nach hier verschlagen, und alle erwarten, eine Art freies, zivilisiertes Utopia vorzufinden. Die ganz andere, harte Wirklichkeit mit all den Mühen, sich den Lebensunterhalt auf einem unwirtlichen, vereisten Felsbrocken zusammenzukratzen, der hauptsächlich von Banditen, Kriminellen und Gesetzlosen bewohnt wird, bringt viele der Neuankömmlinge völlig außer Fassung. Die meisten erholen sich nie wieder von diesem Schock.«

»Und findet Ihr das nicht ziemlich besorgniserregend?«

fragte Owen.

»Nicht, solange Sprengstoff und Bomben wirklich teuer bleiben.«

»Also Ihr kennt diese Ruby Reise schon lange, ja?« bohrte Owen weiter, während sie die Straße hinuntermarschierten.

Unbehaglich stellte er fest, daß sie noch immer nicht nach Norden gingen.

»Ich war selbst mal ‘ne Zeitlang Kopfgeldjägerin«, erklärte Hazel zögernd. »Aber ich habe nicht lange durchgehalten. Ich war zu weich. Habe meine Gefangenen immer lebend abgeliefert, und dafür gab’s kein Geld. Ruby hat mich damals unter ihre Fittiche genommen und mir geholfen. Sie war eine gute Freundin, wenn auch meistens ein klein wenig… unberechenbar. Ich kann nicht glauben, daß die Dinge sich so gegen sie entwickelt haben sollen, daß sie jetzt gezwungen ist, als Rausschmeißerin zu arbeiten. Aber ich könnte wetten, daß sie eine gute Rausschmeißerin abgibt. Niemand legt sich freiwillig ein zweites Mal mit ihr an.«

»Was ist das für ein Laden, der Tollwütige Wolf? «

»Eine üble Spelunke. Jedenfalls war er das beim letzten Mal, als ich dort war. Rauschgift, Glücksspiel, ein paar Mädchen und eine Bar, die immer geöffnet hat. Du kennst diese Sorte von Kneipen.«

»Ja. Also, ich meine, eigentlich nicht, nein«, erwiderte Owen. »Aber es klingt zumindest… interessant. Trotzdem, ich denke immer noch, daß Ruby Reise warten kann. Ich bin sicher, wir sollten zuerst Jakob Ohnesorg finden, bevor jemand anderes uns findet. Jakob kann uns sicher vor jedem schützen, der uns an den Fersen klebt. Jakob Ohnesorg kann eine ganze Armee aufhalten. Der Mann ist eine lebende Legende!«

»Er war eine Legende, meinst du wohl«, entgegnete Hazel.

Sie blickte unverwandt nach vorn und verlangsamte ihre Schritte keinen Deut. »Der Mann hat seine beste Zeit schon lange hinter sich. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, trieb er sich in Bars herum und erzählte gegen freie Drinks Geschichten aus seiner Vergangenheit.«

»Seid Ihr sicher, daß wir von der gleichen Person sprechen?

Jakob Ohnesorg, der professionelle Rebell?«

Hazel seufzte und hielt den Blick unverwandt nach vorn gerichtet. »Rebell und Gesetzloser zu sein ist ein ziemlich hartes Geschäft, Todtsteltzer. Es zehrt einen aus. Jakob Ohnesorg ist nicht mehr der gleiche Mann wie früher. Seit dem Fiasko auf Blauer Engel, wo sie ihm ganz eindeutig in den Arsch getreten haben, hat er keinen Aufstand mehr angezettelt. Wenn du mich fragst, ist es ein Wunder, daß er überhaupt lebend und mit größtenteils heiler Haut davongekommen ist, und alle wissen das. Seitdem sind Jahre vergangen. Ohnesorg ist… eine unbekannte Größe in deinem Plan. Ich weiß, daß ich mich auf Ruby verlassen kann, aber er…? Ruby ist brandgefährlich, und sie hat die richtige Einstellung zu ihrem Geschäft. Sie ist die beste.«

»Und arbeitet jetzt als Rausschmeißerin.«

Hazel funkelte ihn wütend an und beschleunigte ihren Schritt. Owen trottete hinter ihr her und schwieg diplomatisch. Er hatte das Gefühl, als müßte er Jakob Ohnesorg stärker verteidigen, aber je länger er darüber nachdachte, desto weniger Argumente fielen ihm ein, die seinen Standpunkt untermauern konnten. Sicher, der Mann war eine Legende.