Hazel erschauerte an ihren Feuerkontrollen. Durch ihre mentale Verbindung zu den Rechnern spürte sie jeden Treffer auf die Schutzschilde wie einen Hammerschlag. Sie schlug ungeduldig mit den Fäusten auf die Armlehnen ihres Sitzes, während sie die drei ewigen Minuten abwartete, die ihre antiquierten Disruptorkanonen zum Nachladen benötigten. Die Sturmwind hatte dieses Problem nicht. Sie feuerte in überlagernden Salven, so daß jede einzelne Waffe genügend Zeit zum Nachladen hatte. Außerdem besaß das Imperiale Schiff weitaus größere Energiereserven, auf die es zurückgreifen konnte. Die Scherbe war chancenlos, und jeder an Bord wußte das. Auf der Brücke brach an einem Dutzend verschiedener Stellen Feuer aus, und die Beleuchtung wurde noch
schwächer. Rauch bildete sich schneller, als die Extraktoren ihn absaugen konnten. Hazel hustete matt, während sie sich verzweifelt um die Feuerkontrollen bemühte. Die Station neben ihr explodierte, und der Mann davor war sofort in Flammen gehüllt. Er schrie, bis die Luft in seinen Lungen verbrannt war. Die KI brabbelte mit schriller Stimme zusammenhangloses Zeug in Hazels Ohren, während sie versuchte, das Schiff am Auseinanderbrechen zu hindern. Hazel drehte sich in ihrem Sitz und starrte den Kapitän feindselig an.
»Ergib dich, verdammt noch mal! Sie schießen uns in Fetzen!«
»Keine Chance«, erwiderte Markee gelassen. Er mußte schreien, um das Durcheinander auf der Brücke zu übertönen.
»Sie wissen anscheinend, daß wir Klonpascher sind. Sie haben kein Interesse daran, daß wir aufgeben. Wir können nicht kämpfen, wir können nicht fliehen, und es gibt verdammt noch mal keine Hoffnung, daß wir genug Energie für einen Hyperraumsprung zusammenkriegen. Uns bleibt nur eine Möglichkeit. Ich werde Liebesdiener auf ihre Schilde aussetzen und die verfluchten Bastarde rammen. Wenn ich schon sterben soll, dann nehm’ ich sie mit!«
Hazels Feuerleitstand explodierte. Sie wurde aus ihrem Sitz und quer durch die Brücke geschleudert und landete unsanft in einer Ecke. Der Aufprall preßte ihr die Luft aus den Lungen. Ihre Uniform war versengt, und sie hatte schlimme Verbrennungen erlitten, aber im Augenblick verhinderte der Schock, daß sie Schmerzen empfand. Langsam rollte Hazel sich auf die Seite und kämpfte darum, bei Bewußtsein zu bleiben. Sie hörte, wie Markee mit kalter, ruhiger Stimme Befehl gab. Liebesdiener. Hazel klammerte sich an den Gedanken während sie sich auf die Knie stemmte. Liebesdiener war ein experimentelles Programm, das der Käpten auf Brahmin II erstanden hatte. Es war ein Virus, das die Systeme anderer Schiffe verwirren und ausschalten sollte. Der Käpten würdet Liebesdiener einsetzen, um die KI der Sturmwind dazu zu bringen, ihre Schilde herunterzufahren. Anschließend würde er den Sternenkreuzer rammen. Die Scherbe würde wie ein riesengroßer Torpedo einschlagen, und das wäre das Ende der Sturmwind. Allerdings auch das Ende der Scherbe.
Hazel mühte sich auf die Beine und hielt sich an der nächsten Konsole fest, bis ihr Gleichgewichtssinn wieder halbwegs arbeitete. Sie funkelte Markee durch den Rauch und die Flammen an.
»Bist du übergeschnappt? Wir werden alle dabei draufgehen!«
Markee antwortete nicht. Sein Blick hing unverwandt an den Rechnerschirmen. Er lachte laut. Hazel blickte sich gehetzt nach Hilfe um und mußte feststellen, daß sie und der Kapitän die letzten Überlebenden auf der Brücke waren. Der Rest hing tot in den Sitzen vor den Kontrollen. Hazel stapfte los. Sie suchte nach einem Weg von der Brücke und stolperte durch Rauch und Trümmer. Wenn sie schnell genug war, konnte sie noch eine der Rettungskapseln erreichen, bevor die beiden Schiffe kollidierten. Und wenn sie wirklich viel Glück hatte, dann würde die Rettungskapsel sogar funktionieren.
Der Korridor schwankte hin und her, als Hazel sich zwang zu laufen. Adrenalin überschwemmte ihren Körper und gab ihren Beinen genügend Kraft, aber sie wußte, daß dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Solider Stahl kreischte und ächzte ringsum, als das Schiff allmählich begann auseinanderzubrechen. Markee mußte die meiste verbliebene Energie in die Schutzschilde umleiten, doch ein Teil der kinetischen Energie des feindlichen Feuers kam trotzdem durch. Die Lichter gingen nacheinander aus. Hazel versuchte, über ihr Komm-Implantat mit Hannah in Kontakt zu treten, aber die KI redete noch immer Unsinn und murmelte mit gereizter Stimme vor sich hin.
Hazel umrundete eine Biegung und hielt stolpernd an.
Eine der Schottenwände war durch eine Explosion eingedrückt worden und blockierte den Weg. Splitter von verdrehtem Metall ragten in alle Richtungen, einige noch immer rotglühend von der Hitze der erst vor einigen Augenblicken erfolgten Detonation. Hazel nutzte die Verzögerung, um Atem zu schöpfen, und bemühte sich, die Situation so ruhig anzugehen wie nur möglich. Vielleicht war es ein gutes Gefühl, wenn sie in Panik ausbrach und vor Wut laut schrie, aber es würde sie kein Stück voranbringen. Der erste wirkliche Schmerz der Verbrennungen erreichte ihr Gehirn, aber sie zwang die Wahrnehmung auf eine Ebene ihres Bewußtseins hinab, wo sie auszuhalten war. Sie packte eine ungemütlich heiße, vorstehende Niete und versuchte, die stählerne Masse zu bewegen, jedoch ohne Erfolg. Hazel biß sich auf die Unterlippe und verzog das Gesicht. Das war der einzige Weg zu den Rettungskapseln. Sie mußte einfach hier durch, Ihre Hand fiel auf die Waffe an der Hüfte. Es war ziemlich gefährlich, einen Disruptor in einem geschlossenen Raum zu benutzen, aber immer noch besser, als hier eingesperrt zu sein, wenn die beiden Schiffe kollidierten. Hazel zog den Disruptor, stellte den Fokus auf größtmögliche Streuung und feuerte, bevor sie Zeit hatte, über die Konsequenzen nachzudenken. Der wütende Energiestrahl fraß ein sauberes Loch durch das stählerne Hindernis und schuf einen Tunnel, der sich so weit durch das Metall erstreckte, wie Hazels Sicht richte. Der Tunnel war nicht besonders breit, höchstens einen Meter im Durchmesser, aber es mußte reichen. Hazel hoffte nur, daß sie auf der anderen Seite auch eine Öffnung vorfinden würde.
Die Ränder des Loches schimmerten in roter Glut, und Hazel war klar, daß sie die Wände nicht berühren durfte. Aber sie würde auf allen vieren hindurchkriechen müssen, und das bedeutete Kontakt mit Händen und Knien. Ihre Knie waren durch die Uniform geschützt, zumindest für eine Weile.
Fehlte noch etwas für die Hände. Hazel steckte die Waffe zurück ins Halfter und zog das Messer aus dem Stiefel. Dann schnitt sie einen ihrer Uniformärmel ab, steckte das Messer wieder weg und zerriß den Ärmel in zwei Fetzen, die sie um ihre Hände wickelte. Sie wandte sich um und warf einen erneuten Blick auf die noch immer rotglühenden Seitenwände des Durchgangs. Es würde ziemlich unangenehm werden.
Hazel schluckte schwer und krabbelte schnell in die Öffnung, bevor sie der Mut ganz verließ.
Hitze traf sie von allen Seiten. Hazel konnte spüren, wie sich die Haut auf ihrem Gesicht spannte und zusammenzog.