Niemand bestritt das. Er hatte mehr Rebellionen gegen das Imperium angeführt als jeder andere, doch obwohl er ein paar berühmte Schlachten geschlagen hatte, waren seine Siege immer nur vorübergehend gewesen. Er besaß Charisma und war ein blendender Redner, aber das Imperium besaß die Mittel. Es hatte immer mehr Schiffe, mehr Kanonen und mehr Soldaten gehabt, die es zusammenrufen konnte. Und als die Jahre ins Land gingen, hatte Jakob Ohnesorg schließlich mehr Auseinandersetzungen verloren als gewonnen, und das Imperium jagte ihn von Planet zu Planet und von Kampf zu Kampf, ohne auch nur in seinem Fundament zu wanken.
Owen seufzte. Wenn er Jakob Ohnesorg schon nicht vertrauen konnte, wem sonst?
Er verringerte den Abstand zu Hazel und zog seinen Umhang fröstelnd enger. Ein bitterkalter Wind hatte sich erhoben und schien durch seine Kleidung hindurchzublasen. Allmählich zerrte die ewige Umstellung zwischen eiskaltem Draußen und glühendheißen Innenräumen an Owens Nerven. Wenn das so weiterging, würde er sich noch eine ernsthafte Erkältung zuziehen. Und das auf einem derart unzivilisierten Planeten, Lichtjahre von jedem qualifizierten Arzt entfernt.
Er versuchte den Gedanken an Quacksalber mit Blutegeln zu verdrängen.
Owen und Hazel trotteten nebeneinander durch verwaiste Straßen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken hinterher. Keiner von beiden bemerkte die vermummte Gestalt mit der Armbrust, die sich auf einem Balkon aufrichtete und Owens Rücken anvisierte. Der Finger des Assassinen krümmte sich um den Auslöser der Waffe, und ein Stein aus Katzes Schleuder traf ihn mitten zwischen die Augen. Der Mann kippte lautlos nach hinten, und der Bolzen verschwand ungezielt im Nebel. Ein Tier kreischte erschreckt auf. Katze grinste und fand sein Gleichgewicht auf dem vorspringenden Giebel auf der dem Balkon gegenüberliegenden Straßenseite wieder. Lustige Sache mit diesen Typen, dachte er. Es schien ihnen nie in den Sinn zu kommen, daß man sie verfolgen könnte, während sie ihre Opfer verfolgten. Das war jetzt schon der siebzehnte Kopfgeldjäger, den er außer Gefecht gesetzt hatte, und allmählich gingen ihm die Strategien aus. Ganz zu schweigen von Steinen für seine Schleuder. Er wünschte sich, Hazel und Owen könnten sich endlich einigen, wo sie hinwollten, und dann auch dort bleiben. Es war harte Arbeit, ihnen quer durch die Stadt auf den Fersen zu bleiben, von Dach zu Dach zu springen und sich um den scheinbar nicht versiegen wollenden Strom von Möchtegern-Kopfgeldjägern zu kümmern, die den beiden überall auflauerten. Jetzt waren sie schon wieder unterwegs, und zu allem Überfluß marschierten sie auch noch tiefer in das Diebesviertel hinein – in Gegenden, die normale Leute selbst am hellichten Tag nicht freiwillig betreten würden. Katze seufzte schwer und machte sich mit weitgeöffneten Augen hinter den beiden her. Hoffentlich hatte Cyder einen guten Plan, wie man aus dem Todtsteltzer Geld schlagen konnte. Er haßte den Gedanken, das alles für nichts auf sich zu nehmen.
Hazel hatte nicht übertrieben. Der Tollwütige Wolf war ein verrottender Müllhaufen von Kneipe. Er lag in einer unbeleuchteten Seitenstraße, wahrscheinlich deswegen unbeleuchtet, weil sich die Straße für ein Etablissement wie den Tollwütigen Wolf genierte. Das einzige Licht entstammte einer Kohlepfanne, die unbeaufsichtigt auf halbem Weg die Straße hinab brannte. Owen hatte keine Ahnung, was dort brannte, aber es stank entsetzlich. Und so wie es aussah, hatte sich auch eine ganze Reihe von Pferden die Zeit genommen, die Straße als Toilette zu benutzen. Zumindest hoffte Owen, daß es Pferde gewesen waren. Er warf einen Blick zu Hazel, die seelenruhig die Straße entlangblickte, als gäbe es noch Schlimmeres.
»Wir müssen doch nicht wirklich dort hindurch, oder?«
fragte Owen hoffnungsvoll. »Meine Stiefel werden das nicht überleben.«
»Sei nicht so ein Schlappschwanz, Todtsteltzer. Paß einfach auf, wo du hintrittst, und sprich keine fremden Frauen an, dann passiert dir nichts.«
Sie setzte sich in Bewegung, und Owen folgte ihr, wobei er sorgfältig darauf achtete, wo er hintrat. Der Tollwütige Wolf erweckte den Eindruck, als hätte er im Laufe der Jahre neben gelegentlichen Brandanschlägen und dem Ausbruch der Pest auch sonst noch eine ganze Menge mitgemacht. Die Vorderfront der Taverne war von Kratern, Narben und Flecken übersät, die verdächtig nach Blut aussahen. Die beiden Fenster waren anscheinend schon vor langer Zeit mit Brettern vernagelt worden. Die Tür wurde von einer großen, massigen Gestalt mit schwellenden Muskeln bewacht, die offensichtlich Probleme mit ihren Drüsen hatte. Das letzte Mal hatte Owen etwas so Großes, aufrecht Stehendes im Imperialen Zoo von Golgatha gesehen. Es hatte ihn durch die Gitter seines Käfigs hindurch mit einem Blick angefunkelt, der ganz deutlich verraten hatte, wohin Owen sich seine Nüsse stecken konnte.
Hazel marschierte direkt zu dem massiven Etwas und brachte ihr Gesicht ganz dicht vor seines. Einen Augenblick lang wechselten derbe Worte hin und her und schienen klarzustellen, daß beide harte, verzweifelte Typen waren; dann machte das Ding einen Schritt zur Seite und ließ Hazel und Owen eintreten. Hazel stapfte mit hoch erhobenem Kopf an ihm vorbei, und Owen beeilte sich, ihr zu folgen. Er hielt die Augen wachsam auf den Türsteher gerichtet, als er sich an ihm vorbeidrückte, und seine Hand blieb immer in der Nähe des Schwertes. Er brachte ein angespanntes Lächeln zustande. Der Türsteher verzog ebenfalls den Mund – und enthüllte vier Paar glänzender Stahlzähne. Scharfe, spitze Stahlzähne in zwei dichten Reihen. Owen wußte, wann er mit seinem Grinsen verloren hatte. Er blickte zur Seite und wäre beinahe gegen Hazel gerannt, die direkt hinter dem Eingang stehengeblieben war und sich mit unverschleierter Nostalgie im Innern der Spelunke umblickte.
Owen rümpfte die Nase, als ihn der Gestank mit voller Wucht traf. Er war fest überzeugt, unter all dem Rauch mindestens vier verschiedene Gerüche zu erkennen, die vom Verbrennen verschiedener Substanzen herrührten, deren Gebrauch im gesamten Imperium verboten war. Es wurde nämlich für alle Anwesenden gefährlich, wenn jemand das Zeug rauchte. Das Licht war gedämpft, und der dichte Qualm trug ein übriges zur schlechten Sicht bei. Die Gäste der Spelunke schienen diese Art von Atmosphäre zu bevorzugen.
Owen konnte sie gut verstehen – auch er hätte es bei einem so zwielichtigen Aussehen vorgezogen, sich hinter einem Rauchschleier zu verbergen.
Auf dem Boden lagen keine Sägespäne; wahrscheinlich hatten die Ratten alle aufgefressen. Jedenfalls wieselten einige in den dunkleren Ecken des Lokals zwischen den Stuhl- und Tischbeinen hindurch. Wenn eine näher kommt, fange ich an zu schreien, dachte Owen.
Hazel schlenderte lässig durch die Rauchschwaden zur Theke, und Owen trottete hinterher, weil er keine Lust hatte, alleine an der Tür stehenzubleiben. Das letzte Mal hatte er sich so bedroht gefühlt, als die beiden Imperialen Sternenkreuzer das Feuer auf die Sonnenschreiter eröffnet hatten. Die Theke war schmutzverkrustet und klebte von den Überresten verschütteter Getränke. Einige davon schienen förmlich Löcher in das Holz gefressen zu haben. Entweder das, oder es mußte hier wirklich gigantische Holzwürmer geben. Owen blickte über die Theke hinweg und entschied beinahe augenblicklich, sich nicht dagegenzulehnen. Auch nicht für einen winzigen Moment. Hazel gestikulierte herrisch den Schankkellner herbei, einen grobschlächtigen, dicken Kerl mit einer langen, fleckigen Schürze, die vielleicht vor Jahrzehnten einmal weiß gewesen sein mochte, und fragte ihn nach Ruby Reises Verbleib aus. Owen nutzte die Gelegenheit, die vielen Flaschen auf den Regalen zu studieren, bevor er sich entschied, keinen Durst mehr zu verspüren.