An der Kreuzung der unbeleuchteten Gasse mit der Hauptstraße blieben Hazel und Owen wie angewurzelt stehen, als sie das unverwechselbare Geräusch einer feuernden Energiewaffe vernahmen. Sofort stellten sie sich wieder Rücken an Rücken und nahmen ihre Verteidigungspositionen ein. Owen versuchte, gleichzeitig in alle Richtungen zu blicken, aber wohin er auch sah, überall gab es weit mehr Schatten als Licht. Hazel hatte ihm erzählt, daß Energiewaffen auf Nebelwelt sehr selten waren, und er hatte aufgehört, sich auf dieser offensichtlich primitiven Welt deswegen Gedanken zu machen. Jetzt fühlte er sich nackt und verletzlich, und er wußte noch nicht einmal, aus welcher Richtung der Schuß gekommen war. Er hatte zwar seine eigene Pistole und sein Schwert gezückt, aber damit konnte er höchstens angreifen, nicht sich verteidigen. Ein Disruptorstrahl würde ihn zerreißen, ohne auch nur in seiner Intensität nachzulassen. Er wußte plötzlich, daß er besser einen Schutzschild hätte mitnehmen sollen.
Trotz der Kälte bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn.
Und dann kamen sie. Die Schatten schienen lebendig zu werden. Aus jeder Richtung zugleich, aus allen Ecken und Seitengassen. Eine kleine Armee von Männern und Frauen. Sie waren mit schmierigen, schlechtsitzenden Fellen bekleidet, und jeder trug etwas bei sich, das er als Waffe benutzen konnte. Sie bewegten sich mit langsamer Unerbittlichkeit voran und bildeten einen Kreis um ihre beiden Opfer. Owen leckte über seine trockenen Lippen. Es waren mindestens hundert, vielleicht sogar mehr. Dann löste sich ein großer Schatten aus der Menge, und Luzius Abbott trat vor. Er hielt einen Disruptor in der Hand. Owens Mut sank noch weiter, und der Wampyr grinste. Seine Zähne sahen groß und wirklich beunruhigend scharf aus.
»Du hast doch nicht gedacht, daß es so einfach werden würde, oder vielleicht doch, Todtsteltzer? Hast du wirklich gemeint, du könntest mich einfach zur Seite fegen und mich dann vergessen? Es braucht mehr als nur einen lächerlichen Schlag, um mich außer Gefecht zu setzen. Du darfst eines nicht vergessen: Ich bin ein Wampyr. Ich bin nicht länger menschlich. Nicht mehr, seit sie mich sterben ließen und wiedererweckten. Wie gefallen dir meine Freunde? Alles Plasmakinder. Blutsüchtige. Blutsbrüder und -Schwestern, die mir treu folgen. Unsere Bande sind stärker als die von Familien oder Liebe, Leben oder Tod. Du hast ihm nie die ganze Geschichte erzählt, Hazel, oder? Was es wirklich bedeutet, ein Plasmakind zu sein? Ich habe nicht nur ihr Blut getrunken, Todtsteltzer. Sie hat auch das meine getrunken, immer nur ein paar Tropfen, aber schon so wenig meines künstlichen Blutes bewirkt eine ganze Menge. Ich benötige menschliches Blut und verwandle es in etwas anderes. Sie sagen, es sei die wirkungsvollste Droge, die es überhaupt gibt. Sie erleben einen so intensiven Rausch, als würden sie zugleich leben und tot sein. Stimmt das etwa nicht, Hazel? Hast du es ihm erzählt?«
»Es ist schon so lange her, Luzius«, erwiderte Hazel bleich.
Ihre Stimme klang fest und entschlossen. »Ich habe mich von dir befreit. Es hat mich unglaublich viel Kraft gekostet, aber ich habe es geschafft. Du bedeutest mir nichts mehr.«
»Du gehörst mir«, erwiderte der Wampyr. »Genau wie all meine anderen Kinder. Komm zurück, Hazel. Nimm mein Blut, und ich lasse dich am Leben.«
»Ich würde eher einen Kakerlaken fressen«, sagte Hazel.
Der Wampyr grinste kalt. »Tötet beide. Aber laßt sie zuerst ein wenig leiden.«
Owen riß den Disruptor hoch und feuerte auf Abbott, doch der Wampyr schien mit der Menge zu verschmelzen. Der Strahl der Waffe fetzte durch eine zerlumpte Gestalt und setzte noch ein paar andere dahinter in Brand. Sie starben lautlos.
Unglaublicherweise rührte sich die Menge überhaupt nicht.
Ihre Hände Hieben ruhig, ihre Augen fest auf Owen und Hazel gerichtet. Der Wampyr trat erneut vor. Er grinste noch breiter.
»Ich hatte mir schon gedacht, daß ich dich dazu bringen könnte, deinen Disruptor abzufeuern, Todtsteltzer. Jetzt ist er nutzlos, bis der Energiekristall sich wieder aufgeladen hat. Ich werde meine Kinder nicht auf dich hetzen, Todtsteltzer. Ich will dich für mich selbst, mein Freund. Nicht, weil auf deinen Kopf ein hohes Lösegeld ausgesetzt ist, nein. Geld bedeutet für jemanden wie mich nichts mehr. Nein, ich will dich schlagen, dich zerbrechen, erniedrigen, verkrüppeln. Ich werde es genießen. Und anschließend werde ich dir von meinem Blut zu trinken geben. Dann gehörst du mir. Mit Leib und Seele.«
Owen steckte den Disruptor ein und fuchtelte mit dem Schwert vor Abbotts Nase. »Ihr redet zuviel, Wampyr. Fangt endlich an!«
Der Wampyr stürzte mit ausgestreckten Armen vor. Er war unglaublich schnell. Owen spannte sich zu einem perfekten Ausfall, mit gestrecktem Schwert, und Abbott wurde von seinem eigenen Schwung in die Klinge getrieben. Sie drang direkt unterhalb seines Herzens ein und trat auf seinem Rücken in einem Schwall schwarzen, zähen Blutes wieder aus. Abbott grunzte nur und drang weiter auf Owen ein. Er preßte seinen Körper gegen die immer weiter eindringende Klinge, um Owen zu packen. Der Todtsteltzer drehte sich in einer eleganten Pirouette auf einem Fuß, riß den anderen hoch und trat mit aller Kraft in Abbotts Unterleib, wodurch er sein Schwert frei bekam. Er wich zurück und beobachtete ungläubig, wie sich die Wunde in der Brust des Wampyrs in Sekundenschnelle wieder schloß.
Richtig, dachte er. Schnell, stark, selbstregenerierend. Ich frage mich, was der Kerl mir sonst noch so alles verheimlicht hat…
Owen erwischte Abbott an der Kehle, aber der Wampyr schlug die Klinge mit der bloßen Hand beiseite. Owen wich erneut zurück, und Abbott setzte nach. Plötzlich war Hazel hinter dem Wampyr und richtete ihren Disruptor auf ihn. Ein Dutzend Gestalten aus der Menge warf sich auf sie und riß ihr die Waffe aus den Händen. Hazel wurde zu Boden geworfen und festgehalten, obwohl sie sich mit aller Kraft wehrte. Owen verzog grimmig das Gesicht und murmelte sein Schlüsselwort.
Er hatte den Zorn in letzter Zeit viel zu häufig eingesetzt und haßte den Gedanken an die langfristigen Auswirkungen, aber ihm blieb gar keine andere Wahl. Die Welt schien sich zu verlangsamen, als der Zorn zu wirken begann und seinen Kreislauf zum Rasen brachte. Owen gewann kostbare Zeit zum Nachdenken. Der Wampyr war unglaublich schnell, aber das war Owen jetzt auch. Wenn es ihm nur gelang, die Verteidigung seines Gegners zu durchbrechen… ein einziger gutgezielter Schlag würde ausreichen, um ihn zu köpfen. Davon mußt du dich erst mal erholen, du verdammter Bastard.
Er tänzelte um den Wampyr, stieß und schnitt und vergoß schwarzes Blut, nur um zu sehen, wie Abbotts Wunden immer wieder innerhalb von Sekunden verheilten. Der Wampyr verfolgte ihn mit ausgestreckten Händen und Mord im Blick. Die beiden bewegten sich zu schnell, um ihnen mit bloßem Auge folgen zu können. Owen stieß und trat und schlug zu, wo sich nur eine Gelegenheit bot, zielte immer auf den Hals seines Gegners; trotzdem kamen Abbotts ausgestreckte Hände stetig näher. Owen leckte seine trockenen Lippen und schnappte nach Luft. Der Zorn verhalf auch seinem Körper zu einer gewissen Selbstheilung, aber Owen bezweifelte, daß es ausreichen würde, um mit dem fertig zu werden, was Abbott vorhatte.