Schweiß rann aus allen Poren und verdunstete innerhalb von Sekunden. Sie kroch weiter durch den glühenden Stahltunnel, und die rote Glut versengte ihre Hände und Knie selbst durch den schützenden Stoff hindurch. Hazel beeilte sich, doch der Raum war eng, und sie hatte nicht genügend Platz zum Manövrieren. Immer wieder streifte sie mit dem Rücken an der Decke entlang, und sie mußte die Zähne gegen den Schmerz und die Hitze zusammenbeißen. Die Stofflappen an ihren Händen begannen zu qualmen. Ihre Augen verengten sich in der feurigen Hitze zu tränenden Schlitzen, und ihre Lungen fühlten sich bei jedem Atemzug mehr verbrannt an. Das Metall kreischte und stöhnte ringsum, als würde der Tunnel in jedem Augenblick zusammenbrechen. Hazels Herz schlug bis zum Hals, und eine blinde, dumpfe Furcht zerrte an ihrer Selbstbeherrschung, bis sie das Bedürfnis hatte zu schreien.
Aber sie schrie nicht. Schreien würde sie keinen Schritt weiterbringen. Sie zwang sich weiter durch die Hitze, kroch auf Händen und Knien voran, die aus einer einzigen feurigen, schmerzenden Masse zu bestehen schienen. Hazel konnte den Gestank ihres verbrennenden Fleisches riechen. Tränen rannen über ihre Wangen, genausosehr aus Frustration wie wegen der Schmerzen, und sie verdunsteten, noch bevor sie an ihrem Hals ankommen konnten.
Dann war sie hindurch. Die Hitze blieb hinter ihr zurück wie ein brennendes Tuch. Sie hatte es geschafft. Hazel war in dem offenen Korridor auf der anderen Seite angekommen.
Die kühle Luft erschien ihr wie ein Segen. Sie erhob sich taumelnd auf die Beine und biß wegen der Schmerzen in Händen und Knien die Zähne zusammen. Ihre Hosen waren durchgesengt, und die geschwärzten Lappen an ihren Händen fielen auseinander, als sie versuchte, sie abzuwickeln. Hazel stolperte weiter, wagte nicht, auf ihre Hände zu blicken, und versuchte genügend Kraft zu sammeln, um weiterzueilen. Sie hatte keine Ahnung, wieviel Zeit ihr noch bleiben würde. Der Kampf mit der glühenden Röhre schien eine Ewigkeit gedauert zu haben.
Inzwischen war fast die gesamte Beleuchtung ausgefallen.
Der Korridor lag dunkel und hallte von Hazels Schritten wider. Der Geruch von Rauch lag schwer in der Luft. Hazel zwang sich weiterzugehen. Manchmal mußte sie den richtigen Weg erraten, aber schließlich erreichte sie die Rettungskapseln doch. Sie lagen ruhig in ihren Verankerungen, als hätten sie alle Zeit der Welt. Hazel blieb stehen und starrte einen Augenblick wie betäubt auf das Bild vor ihren Augen. Sie hatte alle Kraft gebraucht, um hierher zu gelangen, und jetzt schien es, als hätte sie keine mehr übrig, um noch irgend etwas anderes zu machen. Eine Reihe von Explosionen erschütterte das Schiff und brachte sie wieder zu Besinnung. Hazel stolperte zur nächstgelegenen Kapsel und hämmerte mit ihrer geschwärzten Faust auf den Aktivierungsknopf. Die Tür glitt mit einer Langsamkeit zur Seite, die Hazel fast den Verstand raubte; dann fuhren die Systeme hoch, und das Innere der Kapsel erhellte sich. Hazel kletterte hinein und ließ sich mit einem Gefühl von Erleichterung in das Haltenetz sinken. Es tat so gut, nicht mehr auf den eigenen Beinen stehen zu müssen. Hinter ihr schloß sich zischend das Schott, und der Luftdruck erhöhte sich. Hazel schluckte, und in ihren Ohren knackte es.
Die Kabine der Kapsel war kaum dreieinhalb Meter lang und bot gerade genügend Platz für zwei Passagiere. Hazel kam der halb amüsierte Gedanke, daß die Kabine ziemlich viel Ähnlichkeit mit einem Sarg besaß. Ein passendes Schicksal für einen Möchtergern-Grabräuber. Sie schob den Gedanken beiseite und zwang ihre schmerzenden, verbrannten und steifen Finger zur Eingabe der Reihe von Kommandos, die die Kapsel aus der Scherbe stoßen würden. Dann schnallte sie sich in Erwartung der Beschleunigung an… bis ihr allmählich dämmerte, daß nichts geschah.
Hazel ging die Startsequenz erneut durch und schrie laut wegen der Schmerzen in den Händen, doch die Kapsel reagierte nicht. Panik flackerte in ihr auf. Plötzlich schien der beengte Raum in der Rettungskapsel unerträglich. Hazel begann, sich aus dem Haltenetz zu befreien, und nur eine bewußte Willensanstrengung ließ sie in ihren Bemühungen innehalten. Es machte keinen Sinn, die Kapsel zu verlassen. Die Scherbe war bereits so gut wie tot, und Hazels einzige Hoffnung bestand darin, die Kapsel zu starten. Die Panik versiegte so rasch, wie sie gekommen war, als Hazel das Problem logisch anging. Die Kapsel arbeitete einwandfrei, ansonsten hätte sie Fehlermeldungen auf dem Schirm erhalten müssen.
Und das bedeutete, daß das Problem draußen lag. Im Startsystem. Einem System, das durch die KI kontrolliert wurde…
Hannah!
Hazel schaltete sich über ihr Implantat zur KI durch, aber niemand antwortete. Das Schweigen war irgendwie noch
beängstigender als das Gebrabbel vorhin. Hazel rief erneut. Irgend jemand hörte zu, sie konnte es beinahe spüren. Als schließlich die Antwort kam, klang es wie ein leises nächtliches Flüstern. Als käme das Geräusch aus einer unmöglichen Entfernung.
»Hazel, alles fühlt sich so falsch an. Teile von mir sind verschwunden, und ich kann sie nicht finden. Ich kann nicht klar denken. Schatten legen sich über mein Gedächtnis, und sie wachsen immer weiter. Hilf mir, Hazel! Bitte, hilf mir! Mach, daß die Schatten weggehen… es ist so kalt hier drin, und ich habe Angst…«
»Hannah! Hör zu, Hannah! Ich stecke in Rettungskapsel Sieben. Du mußt die Startsequenz für mich durchführen.
Kannst du mich hören, Hannah?«
»Vergiß Hannah«, erklang die Stimme Markees ruhig und beherrscht, als der Kapitän sich in den Kanal schaltete. »Sie fällt auseinander wie der ganze Rest des Schiffs. Die Scherbe ist auf ihrer letzten Tour. Es wird ein gewaltiges Feuerwerk, wenn wir vom Himmel fallen. Ich hab’ die Startsequenz von der Brücke aus aktiviert. Du wirst jeden Augenblick ausgestoßen… du hättest sowieso nie einen guten Klonpascher abgegeben, Hazel d’Ark. Zu weich, wenn es darauf ankommt.
Wenn du lebend aus dieser Geschichte kommst, dann trink einen auf mich und die Scherbe. Sie war ein gutes Schiff.«
Seine Stimme wurde gegen Ende immer leiser, und bevor Hazel etwas erwidern konnte, schoß die Rettungskapsel aus ihrer Verankerung und fiel dem Planeten entgegen.
Kapitän Schwejksam saß auf der Brücke der Sturmwind und betrachtete das kleine Schiff auf dem großen Hauptschirm, während es langsam näherkam. Die Disruptoren der Sturmwind hatten den größten Teil der Schilde des Piraten bereits weggehämmert, und es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis sie ganz zusammenbrechen würden. Wenn das erst geschehen war, dann wäre der Spuk innerhalb weniger Sekunden vorüber. Es war sowieso ein Wunder, daß die Schilde des Piraten so lange ausgehalten hatten. Der Kapitän des anderen Schiffs mußte seine Batterien bis auf den letzten Tropfen ausgequetscht haben, um genügend Energie bereitzustellen.
Das Piratenschiff kam unaufhaltsam näher, und Schwejksam runzelte nachdenklich die Stirn. Der Pirat hatte zweifellos etwas vor; Schwejksam spürte es in den Eingeweiden. Er blickte Investigator Frost neben sich an und bemerkte, daß auch sie mit verkniffenem Gesicht auf den großen Schirm starrte.
»Geschwindigkeit des Piraten steigt, Sir«, meldete der Komm-Offizier unvermittelt. »Er kommt immer schneller auf uns zu.«
»Er versucht uns zu rammen«, stellte Frost fest. »Unsere Schilde werden ihn aufhalten.«
»Aber er muß das wissen!« entgegnete Schwejksam. »Also warum macht er das?«
»Kapitän!« Die Stimme des Komm-Offiziers tönte schrill und besorgt. »Unsere Schilde entladen sich! Sie reagieren nicht mehr auf die Kontrollen!«
»Odin?« fragte Schwejksam. »Was ist da los?«
»Der Pirat hat meine Systeme mit einem Virus infiziert«, meldete die KI der Sturmwind. »Eigentlich sollte es unmöglich sein. Er umgeht all meine Schutzeinrichtungen. Ich habe so etwas noch nie erlebt! Meine Systeme brechen schneller zusammen, als ich sie isolieren kann! Unsere Schutzschilde sind unten, und ich bin außerstande, sie wieder hochzufahren.