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Die beiden wagten nicht, den Genuss des Weines zu verweigern, denn sie wollten mit einer Ablehnung nicht erneut den Zorn des Kapitäns hervorrufen. Es blieb jedoch nicht bei dem einen Glas. Obwohl Uthman den Wein immer wieder ausspuckte, wenn er sich unbeobachtet fühlte, um ja nichts herunterzuschlucken, fühlten sie sich leicht schwindelig, als sie sich lange nach Mitternacht ein Lager auf den Planken des Decks bereiteten.

Uthman ließ sich fallen. »Wenn unserem Imam diese Ausschweifung zu Ohren gekommen wäre, hätte man mich für die Übertretung der Gesetze des Heiligen Korans zur Verantwortung gezogen. Fünfzig Peitschenhiebe wären mir sicher gewesen.«

»Gar so schlimm wäre es mir nicht ergangen«, bekannte Henri. »Es gab Vergehen, die als sehr viel strafwürdiger galten: zum Beispiel der Verlust des Ordensgewandes oder auch Veruntreuung von Ordensgütern, vor allem aber auch das Töten christlicher Kaufleute. Vergehen dieser Art wurden durch die Justiz der Templer verurteilt. Die Strafe bestand darin, dass die Verurteilten durch die Straßen gepeitscht wurden und dabei immerzu schreien mussten: Sehet hier die Gerechtigkeit, die das Haus an diesen bösen Männern übt. Je nach der Schwere des Falls wurden sie danach lebenslänglich in das Verlies der Pilgerburg geworfen.«

»Schrecklich«, seufzte Uthman. »Da ziehe ich die Bastonade vor, obwohl sie eigentlich in diesem Fall gar nicht sein dürfte. In der Sure An-Nahl, die Biene, im 69. Zeichen, wird Alkohol noch als bekömmlicher und heilender Trank bezeichnet. Es war nur verboten, betrunken zum Gebet zu gehen. Dann hieß es, dass Alkohol nutzen oder auch schaden könne. Erst später, in der Sure Al-Mâedah, der Tisch, im 90. Zeichen, wurde dann der Alkohol als Werk des Satans verdammt, der die Gläubigen von ihren religiösen Pflichten ablenken will. Unsere Gelehrten glauben, dass Gott so im Anfang den Ungläubigen die Annahme des wahren Glaubens erleichtern wollte, später dann, als ihr Wissen um Gott gefestigt war, wurden seine Gebote strenger.«

»Vielleicht aber treffen alle Gebote zu«, gab Henri ein abschließendes Urteil ab. »Jeder muss das für sich selbst entscheiden.«

Nach einem tiefen Schlaf, der von wirren Träumen beschwert war, wurden sie von lauten Kommandotönen geweckt. Der Steuermann scheuchte die Matrosen in die Takelage, um das Schiff zum Aussegeln vorzubereiten. Der Kapitän kam mit verquollenen Augen aus seiner Kajüte an Deck. Nachdem Henri und Uthman gegangen waren, hatte er sich offensichtlich noch eine zweite Flasche von diesem vorzüglichen andalusischen Wein genehmigt.

»Warum sind wir noch nicht ausgelaufen?«, schnauzte er seinen Steuermann an, der sich zu Unrecht beschuldigt fühlte. »Weil das Recht vorschreibt, dass nur der Kapitän den Befehl zum Auslaufen erteilen kann«, rechtfertigte der sich.

»Dann erteile ich hiermit den Befehl. Bummelt nicht unnötig herum!«

Wenige Minuten später lag die Kogge unter dem Wind. Die Segel blähten sich, die Unterkante des Kiels pflügte sich leicht durch die Wellen, die unablässig an den Bordwänden vorüberrauschten. Am Himmel war kein Wölkchen zu sehen, und die Matrosen begannen zu singen. Jeder an Bord war froh, dieses Unwetter überstanden zu haben.

Henri und Uthman hatten sich im Achtersteven niedergelassen. »Heute ist der richtige Tag, von deiner Ankunft in Jerusalem zu erzählen«, sagte Uthman. »Ich hoffe, dass es keine weiteren Störungen gibt.«

Aber die erste Störung verursachte Matteo, dem stets nach rüden Scherzen zumute war. Er hatte die beiden hinter den Aufbauten entdeckt und kam grinsend näher. »Was habt ihr und der Kapitän in der vergangenen Nacht denn mit der armen Brunella gemacht? Ich konnte gar nicht schlafen, weil ich sie immerzu weinen hörte.«

»Nichts!«, antwortete Uthman kurz angebunden. Er ärgerte sich, dass mit dieser dummen Frage Henris Erzählung verzögert wurde.

Matteo gab keine Ruhe. »Es könnte doch sein, dass Arturo die Piratenschlampe an euch weitergereicht hat.«

Uthman erhob sich. Er überragte den Matrosen um Haupteslänge. »Verschwinde, oder ich werde dir Beine machen!«

»Warum verstehst du keinen Spaß?«, fragte Matteo mit kläglicher Stimme. »Wenn ihr Brunella nicht zum Weinen gebracht habt, dann wird es ihr Arturo selbst besorgt haben. Schade! Ich hatte gehofft, dass man sich diese Piratenhure ab und zu ausleihen könnte.«

Uthman versetzte dem aufdringlichen Matrosen einen Tritt, der ihn bis zum Mast schleuderte. »Lass dich hier nicht mehr sehen, sonst könnte ich dich ein paar Meter höher befördern.«

Matteo machte eine obszöne Handbewegung und verschwand in der Mannschaftsunterkunft. Henri schüttelte den Kopf. »Hoffentlich haben wir uns da keinen zum Feind gemacht. Das können wir absolut nicht gebrauchen.«

»Keine Sorge«, erwiderte Uthman. »Mit Leuten dieser Art muss man rücksichtslos umspringen. Eine andere Sprache verstehen sie nicht. Aber nun beginne bitte mit deiner Erzählung!«

»Ich war also den Häschern in Haifa entkommen. Aber ich nahm mir Zeit für meinen Ritt nach Jerusalem«, begann Henri. »Ab und zu hielt ich an, suchte ein Versteck und beobachtete die Richtung, aus der ich gekommen war. Aber niemand folgte mir. Nach und nach fühlte ich mich sicherer und bezweifelte, dass meine Entführung etwas mit den Ismailiten zu tun haben könnte. Eher handelte es sich doch wohl um einen Racheakt, der sich auf meinen unbarmherzigen Kampf in Akkon bezog.

Als ich dann Jerusalem, die Heilige Stadt, vor mir liegen sah, sprang ich vom Pferd und kniete nieder. Dies war der Augenblick, in dem ich Louis verzieh, dass er mich an die ehemaligen Wirkungsstätten der Kreuzritter zurückgelockt hatte.

Ich führte meine Stute am Zügel und wandelte gleich einem Träumer durch diese Stadt. Wie ein glänzendes Juwel zog mich das neue Dach der al-Aksa-Moschee an, das Sultan Qualawun in Auftrag gegeben hatte. Überwältigt stand ich auf der großen Terrasse, die sich rings um den Felsendom zog. Mit beiden Händen schöpfte ich das kristallklare Wasser aus dem Brunnen, und ich ließ mich im Schatten der Arkaden an der Westseite des Tempelberges nieder.

Bis zu diesem Tag hatte ich nicht gewusst, dass es in Jerusalem zahlreiche Medressen gab, in denen euer koranisches Recht gelehrt wurde, dass unter der Herrschaft der Sultane Bäder und Märkte, Brunnen und Kanäle für die Wasserversorgung entstanden waren. Jerusalem war zu einer Stadt eures Propheten geworden, und an diesem Tag hätte man bei all dieser Pracht vergessen können, dass Jesus Christus hier gelebt und gelitten hatte.

Zu meinem Erstaunen stieß ich auf eine Synagoge, die sich Ramban nannte. Ein Jude, mit dem ich ins Gespräch kam, sagte mir, dass die allerdings kleine jüdische Gemeinschaft unter besonderen Auflagen sogar Grundeigentum besitzen und Handel treiben dürfe.

›Gilt das auch für die Christen?‹, fragte ich. ›Leben sie in einem besonderen Viertel? Wo könnte ich sie finden?‹

›Die Christen müssen zwar Abgaben zahlen, und zwar nicht zu knapp, aber ansonsten lässt man sie weitgehend in Ruhe, jedenfalls vorläufig. Man kann ja nie wissen, ob plötzlich ein Stimmungsumschwung entsteht. Das hängt von dem jeweiligen Herrscher ab.‹

Ich begab mich zu den Pilgerstätten, die es angeblich immer noch geben sollte, ›Bist du ein Christ?‹, wandte ich mich an einen Mann, der bewundernd die Mosaiken an der Außenfassade des Felsendoms betrachtete. Er nickte und sah sich nach allen Seiten um, ehe er mir antwortete. ›Es gibt immer noch Christen in Jerusalem. Aber die Pilger werden gezwungen, sich gegen eine Gebühr von mameluckischen Dolmetschern begleiten zu lassen. Angeblich sollen diese auch als Geleitschutz wirken. Darüber magst du denken, wie du magst.‹

Er betrachtete mich von oben bis unten, ob er mir vertrauen könne. Mit meiner zerrissenen Kleidung und meinem zerschlagenen Gesicht sah ich wie ein Straßenräuber und nicht wie eine vertrauenswürdige Gestalt aus.