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»Nun warst du doch wieder in die Gewalt dieses gemeinen Menschen geraten. Aber wie ich dich kenne, bist du ihm auch diesmal entkommen. Sonst wärst du heute nicht hier.«

»Ja, und meine Befreiung verdanke ich einem Mitglied deiner Sippe. Das ist eine lange Geschichte, die ich dir morgen erzählen werde. Der Kapitän hat uns soeben ein Zeichen gegeben. Vielleicht bittet er uns wieder zu einer exzellenten Mahlzeit.«

Uthman lachte. »Das hoffe ich nicht. Du wirst es mir kaum glauben: Deine Erzählung war so aufregend, dass mir jeder Hunger vergangen ist. Nun spielt auch noch ein Mitglied meiner Sippe eine entscheidende Rolle. Dass er dich retten konnte, darauf bin ich richtig stolz.«

5

Der Kapitän hatte, wie er sich ausdrückte, eine schlechte Nachricht. Wohl deswegen war er zu der förmlichen Anrede zurückgekehrt. Er drückte sich nämlich sehr höflich aus. »Es tut mir sehr Leid, meine Herren, dass ich Euch wieder eine Verzögerung zumuten muss. Einer unserer Matrosen ist schwer erkrankt. Wir müssen ihn, so schnell es uns möglich ist, zu einem Arzt bringen. An Bord haben wir leider keinen Medicus, der helfen könnte.«

»Handelt es sich um eine ansteckende Krankheit?«, fragte Henri besorgt.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Kapitän. »Es gehört zu meinen Pflichten, jedes Risiko auszuschalten. Darf ich Euch bitten, mit mir gemeinsam die Seekarte zu studieren?«

Henri fühlte eine innere Alarmglocke schrillen. Was steckte hinter dieser übertriebenen Höflichkeit? Warum hatte er nicht schon früher die ernsthafte Erkrankung des Matrosen erwähnt? So etwas kam doch nicht von heute auf morgen!

Ernesto di Vidalcosta deutete auf einen winzigen Punkt. »Wir befinden uns zur Zeit an dieser Stelle. Es besteht die Möglichkeit, unser Reiseziel Menorca vorläufig fallen zu lassen und stattdessen von Süden her Mallorca anzulaufen. Dort soll es ein ausgezeichnetes Hospital geben.« Der Kapitän hatte zwar nur von einer Möglichkeit gesprochen, aber er schien fest entschlossen, diese neue Route zu wählen.

»Kannst du dir diesen Sinneswandel erklären?«, fragte Uthman, als sie wieder ihren Platz auf dem Achterdeck eingenommen hatten.

Henri erbat sich Bedenkzeit, ehe er zu dieser Frage Stellung nehmen wollte. »Es könnte immerhin sein, dass einer der Seeleute krank geworden ist. Sobald wir in einen Hafen auf Mallorca eingelaufen sind, müssen wir beobachten, ob ein kranker Matrose das Schiff verlässt oder ob ein Medicus an Bord kommt. Vielleicht aber gibt es einen völlig anderen Grund. Es ist ja möglich, dass Ernesto di Vidalcosta beabsichtigt, illegale Ware an Bord zu nehmen, die er ohne Wissen seiner Reederei auf eigene Faust verkaufen will. Jedenfalls ist erhöhte Aufmerksamkeit angebracht.«

Am Abend führte der Kapitän wieder eine Orts- und Meeresbodenbestimmung mit dem Eisenkegel durch, schüttelte unzufrieden den Kopf und gab den Befehl, den Anker zu werfen.

Uthman äußerte leise seine Zweifel an der Rechtschaffenheit des Kapitäns. »Mir kommt es so vor, als ob diese erneute Verzögerung irgendeine taktische Maßnahme wäre, die wir nicht durchschauen. Wäre es nicht am besten, wenn wir in Mallorca das Schiff verließen?«

Henri fand diesen Vorschlag vernünftig. »Wir wären zwar auf Menorca sicherer gewesen. Aber es mag auch auf der Insel Mallorca für uns die Hoffnung geben, dass wir dort unerkannt bleiben. Hast du in der Bibliothek von Cordoba etwas gelesen, das uns helfen könnte?«

»Schon immer haben Piraten die einsam gelegenen Buchten überfallen. Aber nachdem ein Römer mit dem Namen Quinto Cecilio eine Strafexpedition gegen die Piraterie durchgeführt hatte, besetzten 3000 römische Soldaten die Insel.«

»Das hört sich gut an«, sagte Henri. »Aber wann war das?«

»Vor… vor etwa 1500 Jahren«, erwiderte Uthman kleinlaut.

Henri verbiss sich das Lachen. »Gibt es nicht eine Nachricht aus neuerer Zeit?«

»Doch, aber dann lässt es sich nicht vermeiden, dass ich wieder Cordoba erwähne. Ein reicher arabischer Kaufmann hatte nämlich den König von Cordoba überredet, die Balearen zu besetzen. Aber um das Jahr 393 verlor Cordoba die Kontrolle über die Insel, und Mallorca wurde dem arabischen Königreich in Südspanien zugeordnet.«

Henri errechnete im Kopf das Jahr der Fleischwerdung Christi – 1015. »Blieb Mallorca arabisch?«, fragte er dann. »Das wäre wichtig zu wissen.«

»Zunächst ja! Der zweite König von Mallorca ließ die Mauern der Madina Mayurqa, der Stadt von Mallorca, die heute Ciutat oder Palma heißt, errichten. Sie sollten die Angriffe der Christen abwehren. Leider nahm auch die Piraterie wieder Überhand, die bis heute nicht ausgerottet wurde.«

»Die Piraten stellen für uns also die größte Gefahr dar. Vielleicht sollten wir uns mit Brunella näher befassen«, schlug Henri vor. »Du hast sie doch verteidigt, als der Kapitän sie wegen ihrer mangelhaften Kochkunst schlagen wollte.«

Uthman war über diesen Vorschlag begeistert. Seit seiner Liebschaft mit der königlichen Kammerzofe in Philipps Stadtpalais fürchtete er, Henri könne ihn wegen seiner Vorliebe für das weibliche Geschlecht tadeln. Denn der Anschlag auf Philipp war eigentlich nur deshalb misslungen, weil diese Zofe aus Eifersucht Henris Plan durchkreuzt hatte. Nun aber schlug Henri selbst vor, dass er sich der Piratenbraut nähern solle. Uthman strahlte. Er zeigte sich gut gelaunt, obwohl es ihm nicht so recht ins Konzept passte, was er zur Vervollständigung seines Berichtes liefern musste.

»Unsere Herrschaft nahm leider in der Zeit der Kreuzzüge ein Ende. In der zweimonatigen Schlacht bei Santa Ponsa wurden wir besiegt.«

»Blieb Mallorca von da an christlich?«, erkundigte sich Henri.

Uthman unterdrückte trotz seiner guten Laune nur mit Mühe einen Seufzer. »Bis zum heutigen Tag. Das christliche Königreich Mallorca wurde von einem der Könige gegründet, die sich alle Jaime nannten. Bis auf ein kurzes Zwischenspiel unter Alfons III. herrschten sie – ich muss es leider sagen – erfolgreich und fruchtbringend über Mallorca.«

»Bravo!«, rief Henri. »Deine Zeit in der Bibliothek von Cordoba war nicht vergeudet. Du hast wirklich etwas gelernt. Auch mir hast du heute neue Kenntnisse vermittelt.«

»Wie man Mädchen behandelt, wirst du allerdings nie lernen«, behauptete Uthman. »Aber du hast eben freiwillig das Gelübde der Keuschheit abgelegt, das du niemals brechen wirst.«

Henri schwieg. Er wollte über seine Gelübde nicht sprechen und liebte auch keine Scherze über die Regeln und Gesetze der Tempelritter.

Uthman bemerkte, dass Henri über die Wendung des Gesprächs verstimmt war. Darum wechselte er das Thema. »Ich sollte vielleicht noch anfügen, dass vor kurzem die berühmte Festung El Castell de Bellver erbaut wurde. Vielleicht könnte sie uns als Versteck dienen.«

»Ja, vielleicht«, erwiderte Henri. Aber Mallorca schien ihm nicht der richtige Zufluchtsort zu sein. Vor allem beunruhigte ihn ein Gerücht, der König von Mallorca habe sich dem französischen König nicht widersetzen können und auch damit begonnen, Templer zu verhaften.

Uthman spürte die sorgenvollen Gedanken seines Freundes.

»Bist du in der Stimmung, mir zu erzählen, wie es dir weiter in Jerusalem erging?«, fragte Uthman möglichst rücksichtsvoll.

Henri legte seinen Arm um die Schulter seines Freundes. »Ich breche doch meinen Bericht nicht ausgerechnet an einer Stelle ab, wo einer aus deiner Sippe eine wichtige Rolle spielen wird!

Man hatte darauf verzichtet, mich in Ketten zu legen. Zuerst fürchtete ich, dass Louis mich ohne lange Vorreden in die Schlucht stürzen würde. Ich nahm mir aber fest vor, diesen Verräter mit mir zu nehmen. Denn noch fühlte ich genügend Kraft, um mich anzuklammern. Sie banden mich nicht allzu fest an einen Baum. Als sie zu dem Seil griffen, war ich mir fast sicher, dass sie mich kurzerhand aufknüpfen wollten. Ich war bereit, in Jerusalem zu leiden und zu sterben.«