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Als Abu Hassan al-Masudi mich in die Intrigen am Sultanshof einweihte, da wusste ich, dass sich mein Aufenthalt in Jerusalem nicht nur als schwierig, sondern auch als gefährlich entwickeln würde.«

»Wie bei uns«, sagte Uthman. »Was uns zusammenschweißte, waren der Mord an König Philipp und der Giftanschlag auf den Papst. Es endete mit einer Flucht auf dieses Schiff. Ob uns die Kogge heil nach Menorca bringen wird, wage ich inzwischen zu bezweifeln. Aber in welche Gefahren gerietest du mit Abu Hassan?«

»Hast du schon einmal von Saladin gehört?«, fragte Henri. »Die Gefahren, in die wir gerieten, hingen mit Saladin zusammen, so merkwürdig das auch klingen mag. Manchmal haben augenblickliche Schwierigkeiten ihre Wurzel in längst zurückliegenden Ursachen.«

»Willst du mich beleidigen?«, rief Uthman empört. »Wer von uns würde nicht Saladin kennen! Für uns stellt Saladin das Vorbild des frommen und gerechten Sultans dar.«

»Das sehe ich etwas anders«, erwiderte Henri. »Denn sein ritterlicher Geist, den ich ihm nicht absprechen will, wurde durch seinen religiösen Starrsinn wieder zunichte gemacht. Sein Reich umfasste Ägypten, Syrien und den Jemen, und all diesen Untertanen predigte er den Heiligen Krieg, den Dschihad, gegen die Kreuzfahrer. Aber eigentlich muss doch nach euren Gesetzen dem Dschihad eine Aufforderung zur Bekehrung vorangehen! Tatsächlich war es jedoch Saladin gelungen, Türken, Kurden und Araber unter seinem Banner zu vereinigen, ehe er durch seinen Sieg bei Hattin dem Kreuzfahrer-Königreich von Jerusalem ein Ende bereitete.«

»Das ist mir nicht unbekannt«, warf Uthman ungeduldig ein. »Ich weiß auch, dass ihr Kreuzfahrer Saladin verächtlich als Kurden bezeichnet habt, obwohl er doch die prächtige Dynastie der Aijubiden begründet hat und sich zu Recht Sultan Salah ad-Din al Aijubi nennen durfte.«

Henri machte eine Handbewegung, die von dieser Auseinandersetzung ablenken sollte. Aber er konnte es doch nicht lassen, auf die Grausamkeit Saladins hinzuweisen, der sich nach seinem Sieg bei Hattin unversöhnlich gezeigt hatte. »Er händigte damals die Gefangenen seinen unbarmherzigen Kriegern aus. Was war der Erfolg? Zweiunddreißig Templer wurden geköpft.«

Henri hätte gut daran getan, dieses Thema vorzeitig zu beenden. Denn nun fühlte sich Uthman berechtigt, einiges aus seiner Sicht darzustellen. »Saladin war, wie jeder weiß, von Natur aus großzügig. Aber er war empört darüber, mit welcher Brutalität die Kreuzritter viele Jahre lang unschuldige Rechtgläubige behandelt hatten. Außerdem war die Wahl des Lagers durch euren anscheinend völlig unfähigen Großmeister Gerhard von Ridfort denkbar schlecht geplant. Da war Saladin bei weitem klüger. Er ließ die umliegenden Büsche in Brand stecken, und die Christen, die dem Feuersturm entkommen wollten, stürzten den felsigen Abhang herab oder verbrannten bei lebendigem Leib. 150 000 Männer fielen Saladin in die Hände. Schande über euren unfähigen Großmeister!«

Was sollte Henri dazu sagen? Die Niederlage der Kreuzfahrer bei Hattin war eine Katastrophe. Wohl hatte Saladin Ridfort verschont. Doch zu welchem Zweck? Hatte er doch die Hinrichtung der Templer und Johanniter mit einer Bemerkung gerechtfertigt, die Henri empört Uthman vorwarf. »Dein verehrter Saladin sagte: ›Ich will die Erde von diesen sonderbaren Organen reinigen, deren Handeln ohne Nutzen ist, die niemals ihre Feindschaft aufgeben und keinen Dienst als Sklaven leisten werden.‹ Für so unnütz hielt er uns.«

Uthman zögerte, ehe er Stellung nahm. »Nimm es mir nicht übel, Henri. Aber genau dasselbe, nur mit anderen Worten, sagte der Alte vom Berge, wie man das Oberhaupt der syrischen Assassinen nannte. Er hielt es nämlich für unnütz, seine Zeit damit zu vergeuden, die Großmeister der Ritterorden umbringen zu lassen. Denn es würde ja sogleich ein neuer gewählt, ohne dass dieses den Zusammenhalt des Ordens beeinträchtigen würde.«

Henri gefiel diese Einschätzung des Templerordens in keiner Weise. »Der Grund dieser außergewöhnlichen Milde Saladins war doch nur, dass er Nutzen daraus ziehen wollte. Denn er ließ Gerhard von Ridefort aus Damaskus herbeischaffen, damit er den Templerbesatzungen in der Umgegend befehlen solle, sich zu ergeben.«

»Ha ha!«, lachte Uthman. »Ausgerechnet Ridefort hat er dazu ausersehen? Jeder wusste doch, dass dieser unfähige Befehlshaber den Ausgang einer Schlacht als Gottesurteil ansah, oder doch zumindest als ein Schachspiel, bei dem man alles auf einmal in die Waagschale wirft und sich allzu schnell schachmatt setzen lässt, statt vorher noch eine andere Figur einzusetzen.«

Henri überging diesen Angriff auf einen Befehlshaber der Templer. Er hatte erkannt, dass diese Auseinandersetzung zu entgleisen drohte. »Wolltest du nicht hören, was Saladin mit den Schwierigkeiten von Abu Hassan zu tun hatte?«

»Ach ja«, gab Uthman zu, der sich zwar stets allzu schnell ereiferte, aber ebenso schnell wieder beruhigte. »Saladin war schließlich anfangs nur ein Offizier der Armee des türkischen Emirs von Mossul, mein Blutsverwandter Abu Hassan al-Masudi war dagegen ein hoher Beamter des Sultans von Al-Qudz.«

»Er fiel in Ungnade und geriet in die Hände seiner Gegner«, berichtete Henri, um mit seiner Erzählung bei der Sippe Uthmans zu bleiben. »Das war der Augenblick, in dem ich beweisen musste, dass ich als sein Bruder treu zu unserem Bündnis stand. Aber davon erzähle ich dir morgen.«

Henri unterbrach die Erzählung plötzlich. Soeben war der Kapitän auf dem Deck erschienen und kam mit einem heuchlerischen Lächeln auf sie zu. »Wir sollten über den vergangenen Gefahren nicht unsere jetzige Lage vergessen«, flüsterte er Uthman ins Ohr.

»Guten Abend, meine Herren. Ich hoffe, Ihr seid wohlauf. Hier an Bord ist etwas Seltsames geschehen. Eine Taube hat sich zu uns verirrt. So etwas kommt eigentlich nur in Küstennähe vor. Also hoffe ich, dass wir uns Mallorca nähern. Schaut nur, wie ängstlich dieses Tier ist! Ich werde es fliegen lassen. Man sagte mir, dass Tauben immer ihren heimatlichen Schlag wieder finden.«

Lügner! Heuchler! Kanaille!, dachte Uthman. Aber laut bat er: »Darf ich auch einmal das weiche Federkleid dieses Vögelchens berühren?«

Dem Kapitän war deutlich ein Erschrecken anzumerken. Er trat drei Schritte zurück und deckte die Taube mit zwei Händen zu.

»Dieses Täubchen ist sehr verstört. Ich möchte es nicht noch mehr verängstigen. Vielleicht wird es dann nicht mehr von seinem Schwarm aufgenommen, wenn seinen Federn ein fremder Geruch anhaftet.«

Aha, dachte Henri. Unter den Flügeln ist bereits die Botschaft verborgen. Darum will Ernesto di Vidalcosta das Tier nicht aus seinen Händen lassen. Er wird vor unseren Augen am helllichten Tag die Brieftaube zu dem Empfänger entsenden. Dass ich die Taube gesehen habe, ist ihm nicht verborgen geblieben. Aber er hat eine Lösung gefunden, kein Geheimnis daraus zu machen. Wir sind diesem raffinierten Menschen unterlegen.

Der Kapitän trat an die hölzerne Reling. »Kommt, meine Herren, und verpasst nicht das wunderschöne Schauspiel, wenn dieses Vögelchen der Sonne entgegenfliegt.« Er öffnete seine Hände. Die Brieftaube entfaltete ihre Schwingen und flog über das Meer so eilig davon, als ob sie die verlorengegangene Zeit einholen müsste.

»Hoffentlich findet sie wirklich ihre Heimat wieder«, sagte Uthman scheinheilig. »Von Brieftauben weiß man ja, dass sie immer zu ihrem Besitzer zurückfinden. Aber bei dieser jungen, unerfahrenen Taube, die sich verirrt hat, kann man das nicht wissen.«

Der Kapitän sah Uthman starr in die Augen, antwortete jedoch nicht. Obwohl Henri seinen Freund warnend anblickte, konnte Uthman sich nicht enthalten, noch eine Bemerkung anzufügen. »Vielleicht ist die nahe Küste gar nicht Mallorca, sondern irgendein anderes Land. Wer weiß, welchen weiten Weg dieses arme Tier schon zurückgelegt hat. Es wirkte jedenfalls ziemlich erschöpft. Gibt es keine Möglichkeit, seinen Flug zu bestimmen, oder wenigstens seinen Abflugort festzustellen?«