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Der Lanzenträger ergriff meinen Arm, den ich abschüttelte, um meine Furchtlosigkeit und mein gutes Gewissen zu zeigen. Er packte erneut zu und hielt mich fest. ›Der Emir befiehlt Euch, ohne Zögern vor ihm zu erscheinen. Ich bin bevollmächtigt, Gewalt anzuwenden, falls Ihr Euch widersetzt.‹ Das hatte ich allerdings in keiner Weise beabsichtigt. Die mameluckischen Lanzenträger kannte ich inzwischen zur Genüge. Aber als sich Abu Hassan anschickte, uns zu begleiten, verwehrte er ihm ein solches Ansinnen mit quer gestellter Lanze. ›Nach dir ist nicht gefragt worden!‹, brüllte er lautstark. Abu Hassan wich hastig zurück. Ich blickte mich noch einmal nach ihm um. Der hohe Beamte, der sich mein Bruder nannte, blieb starr auf einer Stelle stehen. Seine Blässe und sein grimassenhafter Gesichtsausdruck erschreckten mich. Er hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Würdenträger, der mich aus den Fäusten der falschen Franziskaner errettet hatte. Das war das Letzte, was ich für lange Zeit von ihm sah.«

»Man wird doch nicht Abu Hassan aufgrund falscher Anschuldigungen hingerichtet haben?«, fragte Uthman entsetzt. »Konntest du ihm helfen, obwohl du inzwischen Zweifel an seiner Unbescholtenheit hattest?«

»Diese Zweifel waren nur entstanden, weil mich beim Anblick der Mosaiken ein Schwindel erfasst hatte. Ich glaube nicht an Geister. Sonst wäre ich in diesem Felsendom überzeugt gewesen, dass sie meine Sinne verwirrt hätten.«

»Vielleicht war es Iblis, der Schaitan, oder ein übel wollender Dschinn, der dich zu dem verstellten Blick verführte«, gab Uthman ernsthaft zu bedenken.

Aber Henri schüttelte den Kopf. »Die Verwirrung meiner Sinne war ganz allein meine eigene Schuld. Nach all den vorausgegangenen Erlebnissen hatte ich meine Konzentration verloren. So etwas muss man büßen.«

»Warum bist du immer so streng gegen dich selbst?«, fragte Uthman, ohne eine Antwort zu erwarten.

Henri überging die Frage und fuhr in seiner Erzählung fort: »Der Emir empfing mich äußerst ungnädig und nahm stirnrunzelnd zur Kenntnis, dass ich nicht vor ihm niederkniete. Er überschüttete mich mit einer Flut von Fragen:

Ob ich denn wirklich dem christlichen Glauben abgeschworen und zum Islam übergetreten sei?

Ob ich ein Verwandter von Abu Hassan al-Masudi sei?

Ob ich Verbindung zu Franziskanern hätte?

Ob ich mit Juden und Christen in Al-Qudz gesprochen hätte?

Ob ich bereit sei, bei meinem Leben zu schwören, keinerlei christliche Symbole in den Mosaiken des Felsendoms entdeckt zu haben?

Wie sollte ich auf diese vielen Fragen antworten, ohne Abu Hassan und auch mich in Gefahr zu bringen?«

»Eigentlich hätte ein kurzes Ja oder auch Nein genügt«, gab Uthman sein Urteil ab.

»Eben, das war ja die Hürde, die es zu überspringen galt. So einfach war das nicht. Dem christlichen Glauben hatte ich niemals abgeschworen. Aber durfte ich das zugeben? Bei dem Gespräch mit dem Juden war ich ohne Zweifel beobachtet worden. Das durfte ich nicht abstreiten, ohne Verdacht zu erregen. Ich entschloss mich, erst einmal mit einem klaren Nein auf die Fragen zu antworten, die ich guten Gewissens verneinen konnte. Nein, verwandt sei ich nicht mit Abu Hassan, sagte ich, und Verbindung zu Franziskanern hätte es von meiner Seite aus nicht gegeben, und ich sei bereit, einen Schwur zu leisten, dass ich keinerlei christliche Symbole zwischen den Mosaiken entdeckt hätte.«

»Damit sprachst du die Wahrheit!«, sagte Uthman und ließ seine Befriedigung erkennen.

»Ja, aber der Emir glaubte mir nicht. Seine Miene hatte sich verfinstert, wenn das überhaupt noch möglich war. Er klatschte in die Hände, und ein riesengroßer dunkelhäutiger Mensch erschien, den ich für einen nubischen Negersklaven hielt. Er warf sich vor dem Emir zu Boden. ›Welches sind deine Befehle, o Herr?‹ Ich sah, dass er zitterte. Eigentlich hätte ich dazu eher Anlass gehabt.

Der Emir schaute über ihn hinweg, während er ihm mit strenger Stimme seinen Befehl erteilte. ›Schaffe mir die Zeugen her, die im Nebenraum warten! Aber ich bitte mir Höflichkeit aus! Diese Männer sind ehrenwerte Leute. Wird sich auch nur ein einziger von ihnen beschweren, werde ich dich mit hundert Peitschenhieben bestrafen.‹«

»Das verstehe ich nicht«, unterbrach Uthman die Erzählung. »Warum hat er die Zeugen denn nicht durch einen seiner angesehenen Lanzenträger rufen lassen?«

»Die Maßnahmen der Könige, Sultane und Emire sind schwer durchschaubar und für uns weniger Erlauchte selten zu begreifen«, erwiderte Henri. »Auch ich konnte das früher nicht verstehen. Aber nachdem der Emir mein Freund geworden war, habe ich nach und nach ein Verständnis für die orientalischen Gepflogenheiten entwickelt. Er beabsichtigte, die so genannten Zeugen einzuschüchtern. Denn insgeheim hoffte er, dass sich ihre Anklagen als Verleumdungen herausstellen würden.«

»Das soll nun unsereiner verstehen!«, rief Uthman. »Ich bin sehr gespannt, wie die Befragung ausging.«

»Der Emir brüllte, tobte und schrie. Aber die drei Zeugen ließen sich nicht einschüchtern. Sie alle bestätigten, sie hätten mit eigenen Augen gesehen, wie Abu Hassan viele Goldstücke von Christen empfangen hätte. Und nicht nur das! Sie hätten mit eigenen Ohren gehört, wie Abu Hassan ihnen versprochen hätte, die Mosaiken in christlichem Sinne zu verfälschen.

Ich hatte mich wohlweislich in den Hintergrund verzogen. Aber der Emir winkte mich mit einer herrischen Gebärde herbei. ›Dieser junge Mann, der in frühester Jugend gegen seinen Willen bei den Tempelrittern erzogen wurde, ist ohne Zweifel ein Kenner christlicher Symbole. Er hat geschworen, dass in den Mosaiken des Felsendoms keinerlei christliche Bilder oder Zeichen zu entdecken seien.‹

Einer der Zeugen brach in schallendes Gelächter aus.

›Ein verkappter Tempelritter?‹, rief er. ›Hat Euch niemand berichtet, erhabener Herrscher, wie die Tempelritter damals in der Heiligen Stadt gewütet haben, als ihnen die Eroberung gelungen war? Ein Blutbad haben sie angerichtet! Weder Frauen noch Kinder und natürlich kein rechtgläubiger Mann wurden von ihnen verschont. Den Keim zu ihren verbrecherischen Taten haben sie diesem jungen Mann schon in frühester Jugend eingepflanzt. Wie sollte er nicht ein Lügner und Betrüger sein!‹

Ich beobachtete mit Sorge, dass der Emir schwankend wurde. ›Geht und haltet Euch für weitere Befragungen bereit!‹ Mit diesen Worten entließ er die Zeugen. Ich fürchtete für Abu Hassan das Schlimmste. Und ich rechnete damit, dass man mich wieder in ein Verlies werfen würde.«

Uthman hielt den Atem an und wartete schweigend auf die Fortsetzung.

»Der Emir winkte mich herbei. ›Auch dir befehle ich, die Stadt nicht zu verlassen, ehe ich eine Entscheidung getroffen habe. Es täte mir Leid, wenn ich dich hart bestrafen müsste. Verlasse dich darauf, dass nach einer Bestrafung, die ich angeordnet habe, keiner mehr derjenige ist, der er vorher war.‹

Ich hatte von vielen orientalischen Foltermethoden gehört. Ein junger Ordensbruder war in Gefangenschaft geraten, wurde aber zur Abschreckung der Templer von den Feinden zurückgeschickt. Sein Anblick war furchtbar. Ihm war es nur noch möglich, sich auf allen vieren fortzubewegen. Mit irrem Gelächter, das uns allen einen Schauder über den Rücken jagte, bewegte er sich durch unser Lager. Bis zu seinem Tod ließ ihn der Wahnsinn nicht mehr aus den Fängen. Nur seinen lallenden Wortfetzen konnten wir entnehmen, was sie mit ihm gemacht hatten. Mit Knüppeln hatten sie ihm so lange auf die Hüften geschlagen, bis die Knochen zerschmettert waren, und zwar nicht sofort mit einem Schlag, sondern langsam während mehrerer Tage.«