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Ich fühlte mich zurückgesetzt und spürte ein Gefühl der Eifersucht. Aus welchem Grund hatte mich Abu Hassan nicht eingeweiht? Darum klang meine Frage aggressiv. ›Könnt Ihr mir etwa sagen, wo ich nach einer geheimen Botschaft suchen soll?‹

Der Rabbi blieb ruhig. ›Es gibt unter uns ein Passwort. Wer an unseren geheimen Versammlungen teilnehmen will und das Passwort nicht sagen kann, ist dem Tod geweiht. Wenn du den Spuren Abu Hassans folgen und ihn finden willst, musst du dich mit diesem Passwort als einer der Unsrigen zu erkennen geben.‹«

Uthman machte eine verächtliche Handbewegung. »Das klingt zwar ganz wie Joshua, der uns half, dich aus dem Folterkerker zu befreien. Aber dieser Schriftgelehrte da spreizte sich mit seinem Wissen allzu sehr.«

»So unbedacht sollte man nicht urteilen«, erwiderte Henri. »Denn ohne die Hinweise, die er mir nun gab, hätte ich Abu Hassan niemals finden können.

Der Rabbi sprach noch leiser als zuvor. Ich musste mir Mühe geben, ihn zu verstehen, vor allem deswegen, weil mir die Materie unbekannt war, von der er sprach. ›Hast du schon einmal von der Zahl Pi gehört?‹ Beschämt schüttelte ich den Kopf, weil ich meine dürftigen Kenntnisse in der Mathematik erkannte.

Der jüdische Schriftgelehrte wunderte sich nicht über meine Unkenntnis und erklärte mir, was dieses Pi zu bedeuten hätte. ›Die griechische Zahl Pi wurde schon im Altertum erwähnt, obwohl heute viele Gelehrte ihren Wert abstreiten. Aber bereits Archimedes beschäftigte sich mit ihr, er errechnete gar ihren ungefähren Wert.‹

Nach diesen Ausführungen glaubte ich zu wissen, welches Wort die Bruderschaft als Erkennungszeichen benutzte.«

»Doch nicht einfach diese zwei Buchstaben?«, rief Uthman. »Das konnte doch jeder erraten.«

»An etwas Ähnliches hatte ich auch gedacht, vielleicht Kreis, Ellipse, Parabel oder Hebel. Denn Archimedes war nicht nur Mathematiker, sondern auch Physiker. Aber nichts von alledem galt als Passwort. Der Rabbi erzählte mir, dass einer, der in die Bruderschaft eindringen wollte und das Passwort nicht kannte, mit der Spitze eines Meißels erstochen werde.«

»Darfst du mir diese geheime Losung nennen?«, fragte Uthman. »Oder gilt das als Verrat?«

»Dir darf ich das Passwort sagen. Denn nach all den vergangenen Ereignissen giltst du mir als ein Bruder. Das Erkennungszeichen heißt: Noli turbare circulos meos – Störe meine Kreise nicht! Denn diese barschen Worte richtete Archimedes bei der Eroberung von Syrakus an einen römischen Soldaten, während er damit beschäftigt war, mathematische Formeln in den Sand zu malen. Obwohl der König befohlen hatte, das Leben dieses fähigen Menschen zu schonen, tötete ihn der Krieger.«

»Ich nehme an, dass der König die Forschungen des Archimedes für sich nutzbar machen wollte«, meinte Uthman. »Na, und der Krieger war nur ein ungebildeter Tölpel, der sich beleidigt fühlte, weil Archimedes im Sand saß und Anweisungen erteilte.«

»So muss es wohl gewesen sein«, bestätigte Henri und seufzte. »Diese Geschichte hat sich über zweihundert Jahre vor der Geburt unseres Herrn Jesu Christi zugetragen. Aber die Welt hat sich seitdem nicht geändert.«

Uthman äußerte Zweifel an der wirksamen Hilfe des jüdischen Schriftgelehrten. »Der Rabbi war offensichtlich sehr gelehrt, aber hatte er denn wirklich Verbindungen, die zu dem Aufenthaltsort von Abu Hassan führten?«

»Mehr, als du es für möglich hältst«, erwiderte Henri. »Die Bruderschaft dieser Bauleute hatte ein weit verzweigtes Nachrichtennetz aufgebaut. So war es ihnen gelungen, einen Boten abzufangen, der vom französischen König geschickt worden war. Einige Mitglieder hatten ihre besonderen Methoden in der Befragung solcher Boten. Sie erfuhren, als sie ihren schon mehrfach bewährten Meißel einsetzten, dass die Zeugen gegen Abu Hassan im Auftrag des französischen Königs handelten.«

Uthman schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Macht des Königs bis nach Jerusalem reichte.«

»Da bist du im Irrtum. Der König plante durch diese Maßnahme, Jerusalem die Ordnung zu nehmen, den Emir zu verwirren, seine treuesten Anhänger zu entfernen, um dann einzumarschieren und Jerusalem zu beherrschen.«

»Ein wahnwitziges Unterfangen!«, rief Uthman, um dann triumphierend fortzufahren: »Nun haben wir dem französischen König ja für immer das Handwerk gelegt.«

»Der Rabbi erklärte mir die eigentlichen Ziele der Bruderschaft. Diese Vereinigung hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Bundeslade wieder zu finden, die von König David nach Jerusalem gebracht und von König Salomo im Allerheiligsten des Tempels aufbewahrt wurde. Warum es denn so wichtig sei, diese Bundeslade wieder zu finden, fragte ich und erhielt zur Antwort, dass es nicht nur der materielle Wert sei, obwohl der Kasten aus Akazienholz mit Gold überzogen war, sondern deswegen, weil die Bundeslade ein Heiligtum sei, das alle israelitischen Stämme verbinde.

›Ich habe gehört‹, sagte ich, ›dass dieses Heiligtum schon vor undenklichen Zeiten bei der Eroberung von Jerusalem zerstört wurde.‹

›Eben daran zweifeln die Mitglieder unserer Bruderschaft‹, erwiderte mir der Rabbi. Zu diesen Zweiflern gehöre auch Abu Hassan. Vielleicht hätten ihn seine Gegner verschleppt, um seine Kenntnisse zu erpressen. Mir kam der Gedanke, dass auch ich als Templerbruder dazu benutzt werden sollte, die Geheimnisse der Ordensbrüder auszuplaudern. Denn im Orden ging das Gerücht, einige Kreuzritter hätten das Versteck der Bundeslade aufgespürt und als Beutegut mitgenommen. Ich erwähnte nichts von diesem Verdacht. Denn ich war misstrauisch geworden.

›Wo kann ich mit der Suche nach meinem Bündnisbruder Abu Hassan beginnen?‹, fragte ich, um erschöpfende Auskünfte zu erhalten. Der Rabbi trat nahe an mich heran und senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. ›Bei Qumran am Toten Meer befindet sich eine Höhle, wo man eine. Kupferrolle gefunden hat. Die Übersetzung der darauf angebrachten Schrift war nicht ganz einfach. Aber schließlich war es einem Gelehrten aus unserer Bruderschaft gelungen, die Schriftzeichen zu entziffern. Wir konnten dieser Kupferrolle entnehmen, wo sich der Tempelschatz befindet, den man verloren glaubte. Bisher wurde aber nichts gefunden. Darum halten sich immer noch einige Mitglieder unserer Bruderschaft in der Höhle auf. Sie können vielleicht Auskunft geben, wohin man Abu Hassan verschleppt hat.‹

Ich bedankte mich bei dem Rabbi und wandte mich schon zum Gehen, aber er zog mich am Ärmel zurück. ›Es gibt noch etwas Wichtiges, das Ihr wissen solltet. Denn auch Emir Nadjm Ghazi will die salomonischen Schätze finden. Er ist überzeugt, dass Abu Hassan mehr weiß, als er zu erkennen gibt. Vielleicht lässt er auch Euch überwachen. Darum seht Euch vor, falls Ihr dem Emir auf Eurer Suche begegnet!‹ Du kannst dir denken, Uthman, dass mich alle diese Nachrichten in höchste Verwirrung stürzten.«

»Sogar sehr gut kann ich mir das vorstellen. Meiner Meinung nach waren nun das Wichtigste ein gut durchdachter Plan, ein schnelles Pferd und eine wirkungsvolle Bewaffnung.«

»Das war auch meine Überlegung. Was mich tröstete, war die Hoffnung, dass man Abu Hassan zunächst am Leben lassen werde. Denn welchen Nutzen hätten sie von ihm gehabt, wenn sie ihn umgebracht hätten? Von einer Leiche kann man nichts mehr erfahren. Was mir aber zu denken gab, war die Frage, welche Rolle der Emir Nadjm Ghazi in dieser verworrenen Sache spielte. Ehe ich das nicht geklärt hätte, würde ich ihm nicht vertrauen. Ich zögerte jedenfalls nicht länger und machte mich auf den Weg nach Qumran.«

Henri schwieg und betrachtete das Meer. Es wirkte dunkel und beinahe bedrohlich. Vielleicht bedrängten ihn deshalb düstere Gedanken. Immer hatte er sich in der Gemeinschaft seiner Ordensbrüder geborgen gefühlt, sogar in den schrecklichen Kämpfen von Akkon. Nie hatte er es damals für möglich gehalten, dass es unter den Templerbrüdern Ränke, Intrigen, falsche Anschuldigungen und schädliche Bündnisse geben könnte. Und doch war es so gewesen. Das aber hatte er erst viel später erfahren, als Outremer, die Besitztümer des Ordens im Heiligen Land, verloren gegangen war. Was er aber trotz allem niemals verloren hatte, war sein starker Glaube an die göttliche Allmacht. Auch Menschen wie Ernesto di Vidalcosta konnten ihm nicht die Überzeugung nehmen, dass Gottes Schöpfung nicht schlecht sein konnte. In jedem Menschen musste ein guter Kern verborgen liegen.