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Uthman brachte ihn jedoch in die Wirklichkeit zurück. »Welche Lügen mag er sich jetzt wieder ausgedacht haben?«, fragte er leise und deutete auf den Herrn des Schiffes, der sich ihnen näherte. Die kurze Ansprache des Kapitäns brachte ihnen keine Überraschung.

»Sicher habt Ihr den Abtransport unseres Schwerkranken beobachten können. Sein Zustand ist sehr bedenklich. Es besteht der Verdacht auf Pest. Ehe nicht uneingeschränkt feststeht, dass an Bord kein weiterer Verdacht auf Pest besteht, werden wir unter Quarantäne hier liegen bleiben müssen. Gemäß strenger ärztlicher Anordnung darf niemand das Schiff verlassen.« Er verzog sein Gesicht zu einer sorgenvollen Grimasse.

Uthman hatte Mühe, ein lautes Gelächter zu unterdrücken. Er senkte sein Gesicht, während Henri dem Kapitän starr in die Augen schaute. »Wir werden selbstverständlich den ärztlichen Anordnungen Folge leisten. Im Übrigen sieht dieses Eiland auch nicht sehr einladend aus.«

Ernesto di Vidalcosta wirkte erleichtert. »Ich hatte von Euch Vernunft und Einsehen erwartet. Es zeigt sich, dass Ihr kluge und gebildete Herren seid. Leider gibt es in der Mannschaft einige Schwierigkeiten. Vor allem dieses Mädchen will unbedingt frei herumlaufen. Arturo musste sie leider anbinden.«

»Das wundert mich nicht«, meinte Uthman, nachdem der Kapitän gegangen war. »Sie wollte natürlich zu uns, um uns irgendeine Botschaft zu überbringen.«

»Ich nehme an, dass Ernesto di Vidalcosta innerhalb der nächsten drei Tage irgendwelche Waren an Bord nehmen wird. Wir werden also weiterhin abwechselnd Wache halten.«

»Was versprichst du dir davon?«, äußerte Uthman seine Zweifel an dem Erfolg dieser Maßnahme. »Eingreifen können wir doch nicht.«

Henri zuckte mit den Achseln. »Das Leben hat mich gelehrt, dass es immer besser ist, über obskure Vorgänge unterrichtet zu sein, als ahnungslos von irgendetwas überrascht zu werden. Ich übernehme die erste Wache.«

11

Am folgenden Tag erschien der angebliche Medicus erneut und begab sich sogleich zu Ernesto di Vidalcosta. Entgegen Henris Rat schlich sich Uthman in die Nähe der Kapitänskajüte, um vielleicht einige Wortfetzen des Gesprächs aufzufangen. Aber die beiden flüsterten so leise, dass er nichts verstehen konnte. Auf dem Rückweg zum Achtersteven begegnete ihm Arturo, der ihn spöttisch angrinste. »Na, freut Ihr Euch schon auf Menorca?«

Was hatte diese Frage zu bedeuten? Doch wohl die versteckte Drohung, dass sie diese Insel niemals erreichen würden. Uthman hielt es für angebracht, eine Gegenfrage zu stellen. »Wie geht es denn dem Schwerkranken, der von Bord geschafft wurde?«

Arturo hatte sogleich eine Antwort parat. »Er ist verstorben. Aber zum Glück ist kein Verdachtsmoment auf einen neuen Pestfall aufgetreten. Jedenfalls bis jetzt noch nicht«, fügte er hinzu. »Man weiß aber nie, wen es noch erwischen könnte.«

Uthman legte die letzten Worte als eine deutliche Warnung aus. Wenn dieser obskure Medicus bei ihnen einen Verdacht auf Pest feststellen würde, wäre ein schneller Tod, bei dem man nachhelfen würde, nicht mehr weit entfernt. Er berichtete Henri von diesem unerfreulichen Gespräch. »Sollten wir nicht doch versuchen, dieses Schiff im Schutze der Dunkelheit zu verlassen?«

Aber Henri schüttelte den Kopf. »Wir kennen diese Insel nicht. Vielleicht gibt es in Cabrera kein Hinterland, wo wir uns verstecken könnten. Am besten ist wohl, wenn wir in der kommenden Nacht Wache halten. Vielleicht nimmt Ernesto illegale Ware an Bord und lichtet die Anker. Meine Hoffnung richtet sich auf den Überfall der Piraten.«

Uthman lachte. »Das ist wirklich sehr merkwürdig, dass wir uns Hilfe von den Piraten erwarten. In Cordoba habe ich eine Geschichte von dem Seefahrer Odysseus gelesen. Er hatte bei der Fahrt durch eine Meerenge die Wahl, entweder an dem einen oder anderen Felsen zu zerschellen, an Skylla oder Charybdis. Skylla war ein Meeresungeheuer mit sechs langen Hälsen und zwölf Füßen, das in einer Höhle lebte. Jeweils sechs Seefahrer schnappte es sich von der Besatzung der Segelschiffe, die in seine Nähe kamen. In der gegenüberliegenden Felsenhöhle lebte das Meeresungeheuer Charybdis, das dreimal täglich die Flut einsog und wieder ausspie, sodass die vorüberfahrenden Schiffe kenterten.«

»Das hört sich ja schrecklich an«, sagte Henri. »Welches der beiden Seeungeheuer sollen wir nun bevorzugen?« Seine Frage klang wie ein Scherz, denn er glaubte nicht an Ungeheuer dieser Art.

Aber Uthman antwortete ernsthaft: »Wir werden eine dritte Meeresplage wählen, nämlich die Piraten.«

Sie hatten sich leise unterhalten und dabei immer den Eingang zu den Aufbauten im Auge behalten. Es dauerte nicht lange, bis Ernesto di Vidalcosta seinen Gast zur Strickleiter begleitete. Unten warteten diesmal zwei finster aussehende Burschen, die ihre Ruder schon ins Wasser tauchten, ehe der Medicus die letzte Sprosse erreicht hatte. Der Sprung in das Boot machte ihm offensichtlich keine Mühe. Aber er fluchte laut, während die beiden Männer schadenfroh lachten. Sehr viel Respekt hatten sie anscheinend nicht vor dem Medicus.

Henri und Uthman sahen sich an und dachten beide dasselbe. Dieser ungepflegte Mensch konnte nie und nimmer ein Arzt sein. »Ich hätte ihm gerne eine Fangfrage gestellt«, meinte Uthman. »Meine medizinischen Kenntnisse hätten durchaus ausgereicht.«

Henri nickte bestätigend. »Das fürchtete er wohl auch, denn er hat sich tunlichst von uns ferngehalten. Dafür kommt wieder einmal der Kapitän auf uns zu.«

Ernesto di Vidalcosta hatte seine sorgenvolle Miene aufgesetzt, die sie schon kannten. »Leider müssen wir noch einen weiteren Tag und die folgende Nacht hier verankert bleiben. Der Medicus war nicht bereit, die Quarantäne aufzuheben, bevor nicht zweifelsfrei feststeht, dass an Bord kein neuer Pestverdacht aufgetreten ist.«

»Dafür haben wir volles Verständnis«, sagte Henri betont gelassen, während Uthman dunkelrot anlief, weil er nur mit Mühe seinen Zorn unterdrücken konnte.

»Es tut mir Leid, dass durch den Schiffbruch und durch diese schwere Krankheit eines Besatzungsmitglieds Eure Schifffahrtspläne durcheinander geraten sind«, sagte Henri. Seine Stimme klang so mitleidig, dass Uthman ihn erstaunt ansah.

Aber Uthman hatte nun seinen Zorn unter Kontrolle. Auch seine Bemerkung klang durchaus aufrichtig. »Hoffentlich bleiben uns weitere Zwischenfälle erspart. Wir bewundern Euch, wie Ihr all diese Schwierigkeiten ruhig und umsichtig meistert.«

Ernesto di Vidalcosta war die Ironie nicht verborgen geblieben. Er drehte sich um und stampfte über das Deck davon. Einen der Seeleute, der das Pech hatte, ihm zu begegnen, schnauzte er wütend an. »Pumpe die Bolde aus, und benutze das Wasser, um das Deck zu säubern. Es war beschämend, wie ich den angesehenen Medicus empfangen musste. Wenn die Schweinerei hier nicht in einer Stunde gesäubert ist, werde ich dich auspeitschen lassen.«

Uthman feixte vor sich hin. »Der Herr des Schiffes geruht, höchst ungnädig zu sein.«

»Wir wollen ihn nicht weiter reizen«, meinte Henri. »Ich werde dir von Qumran erzählen, falls uns der Matrose nicht mit seinem Wassereimer davonscheucht.«

»Komm zum Vordersteven! Da sind wir vor einer Wasserflut verhältnismäßig sicher«, schlug Uthman vor.

»Der jüdische Schriftgelehrte hatte mir geraten, mich auf dem Nordwestufer des Toten Meeres zu halten«, begann Henri seine Geschichte. »Schon von weitem erkannte ich, dass es sich bei dieser Anlage nicht nur um Höhlen, sondern zugleich auch um den Wohnort irgendeiner Gemeinschaft handeln musste, die eine Oasenwirtschaft betrieb. Denn ich ritt durch eine Dattelplantage, die gepflegt aussah. Als ich näher kam, bemerkte ich nicht nur eine, sondern mindestens zehn Höhlen. Ich wusste nicht, wohin ich mich wenden sollte. Während ich unschlüssig herumstand, trat ein grimmig aussehender Mann auf mich zu, der mit einem Speer bewaffnet war. Ich ließ meinen Dolch im Gürtel, um meine friedlichen Absichten zu demonstrieren. Wie mir der Rabbi geraten hatte, begrüßte ich ihn mit dem Losungswort: Noli turbare circulos meos. Das stimmte ihn freundlicher. Er führte mich in eine Höhle, in der mehrere Männer tätig waren. Sie hatten den Inhalt von Tonkrügen auf dem Steinboden ausgeleert. Ich sah Schriftrollen und Fragmente aus Leder, Papyrus und Kupfer, auch Reste von Palmenhandschriften. Einer der Männer begrüßte mich höflich und fragte nach meinem Begehr: Ob ich den frühesten hebräischen Bibeltext einsehen wolle, eine Handschrift des Buches Jesaja oder vielleicht das Regelbuch, die Kriegsrolle oder die Loblieder?