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Ich bedankte mich für seine wertvollen Auskünfte, während er mich umarmte und mir Gottes Segen wünschte.«

»Den konntest du allerdings auf diesem abenteuerlichen Ritt gebrauchen.«

Henri nickte bestätigend und wies zum Strand der Insel Cabrera. »Auch unsere abenteuerliche Seereise werden wir ohne den Segen Gottes nicht bestehen können.«

Die Bäume am Ufer lagen schon im Dunkel der schnell einfallenden Dämmerung. Nur die Wipfel einiger Baumriesen schimmerten noch rötlich von den Strahlen der untergehenden Sonne. Hinter dem Horizont versank sie wie ein glutroter Ball in den Wellen des Mittelmeers. Es wurde kühl an Deck, aber Henri und Uthman verharrten auf ihrem Beobachtungsplatz.

»Ich glaube, irgendeine Bewegung im Niederholz gesehen zu haben«, meinte Henri. »Vielleicht handelt es sich nur um ein Wild, das in der Abenddämmerung den schützenden Wald verlässt. Das Boot, in dem der Medicus zu unserem Schiff gerudert wurde, ist aber nicht weit von hier zu erkennen. Die Männer haben es offensichtlich auf den Strand gezogen. Solange sich dort niemand sehen lässt, können wir beruhigt sein.«

Die beiden hatten jedoch nicht an das Beiboot gedacht, das sich auf der Kogge befand. Sie wurden erst aufmerksam, als gegen Mitternacht zwei Seeleute die Befestigung lösten und das schmale Boot in der Nähe der Strickleiter zu Wasser ließen. Ernesto di Vidalcosta kam, so leise es dem vierschrötigen Mann möglich war, aus seiner Kajüte. Er sah sich nach allen Seiten um und winkte den beiden Seeleuten, sie sollten hinabklettern und das Boot hart an der Bordwand vertäuen.

Uthman ballte seine Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippen, damit ihm nur ja kein lauter Ton entkam. »Einen der beiden Männer erkenne ich. Es ist Arturo. Diesen Teufel würde ich auch in der schwärzesten Nacht erkennen. Ohne Zweifel ist er der treueste Gefolgsmann des Kapitäns.«

Ernesto di Vidalcosta ließ seine Blicke zum Ufer wandern, ehe er selbst den Männern auf der Strickleiter folgte. Zwischen den Bäumen war jetzt ein Licht zu sehen, eine Pechfackel, die als Erkennungszeichen im Kreis geschwenkt wurde. Ein leises Pfeifen ertönte. Aber das konnte auch ein Nachtvogel sein.

»Sehe ich das richtig, oder trügt mich das Licht des Mondes?«, flüsterte Uthman voller Zweifel. »Mir kam es so vor, als ob der Kapitän beim Heruntersteigen der Strickleiter einen Dolch zwischen den Zähnen gehabt hätte.«

Henri nickte. »Das stimmt! Ich konnte es jedoch kaum glauben. Denn das ist die Art der Seeräuber beim Entern eines Schiffes, wenn sie beide Hände frei haben müssen. Er braucht also zwei Hände zum Tragen, denn er ist misstrauisch und wird keinem Mitglied seiner Besatzung einen Kasten oder Korb anvertrauen, nicht einmal dem treu ergebenen Arturo.«

»Macht es dir etwas aus, für kurze Zeit ohne mich die weiteren Vorgänge zu beobachten?«, fragte Uthman. »Ich möchte die Abwesenheit von Arturo benutzen, um Brunella aufzusuchen. Vielleicht braucht sie meine Hilfe.«

»Geh nur, aber lass dich nicht zu Dummheiten hinreißen! Brunella muss gefesselt bleiben, damit Arturo keinen Verdacht schöpft. Falls der zweite Wachmann anwesend sein sollte, ziehst du dich augenblicklich wieder zurück! Lass dir nicht einfallen, ihn umzubringen und ins Meer zu werfen. Vielleicht hast du aber auch Glück, und der zweite Wachmann sitzt als Ruderer mit im Boot.«

Henri blieb mit einem unguten Gefühl zurück und verstärkte seine Wachsamkeit. Ernesto di Vidalcosta musste auf der Insel angekommen sein, denn der kreisende Lichtschein erlosch. Der schwarze Schatten der hohen Baumriesen ließ keine Bewegung erkennen, und der weiße Strand glänzte im Mondlicht wie eine leere Schneewüste. Wo war der Kapitän? Hatte er sich von seinen Männern begleiten lassen? Gab es hinter dem Wald eine Ansiedlung? Wenn ja, wer waren die Bewohner? Vor allem gab es die unlösbare Frage, welche Ware der Kapitän an Bord nehmen wollte. Das kleine Beiboot der Kogge ließ keinen schweren Ballast zu.

Es dauerte lange, viel zu lange, so empfand es Henri, bis im Dickicht unter den Bäumen Bewegung entstand. Er konnte nicht erkennen, ob es sich um den Kapitän und seine Männer handelte. Die Entfernung zum Ufer war so weit, dass er trotz seines scharfen Gehörs auch nicht feststellen konnte, ob ein Boot zu Wasser gelassen wurde. Plötzlich kam ihm dieses Erlebnis unwirklich und sinnlos vor.

Seine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit. Er hatte den französischen König Philipp wie ein Tier abgeschlachtet. Aber damals hatte er ein Ziel und einen Grund gehabt. Denn er wollte ein Gelübde einlösen, um den Fluch der beiden Großmeister des Templerordens zu erfüllen. Ihre Schreie und Anklagen gegen den König Philipp gellten ihm immer noch in den Ohren. Seine Augen begannen zu tränen. War es die Trauer, die ihn in der Erinnerung überfiel? Oder war es der beißende Rauch, den er auch jetzt noch zu verspüren glaubte, obwohl man die beiden Großmeister Jacques de Molay und Geoffrey de Charney schon vor vielen Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatte?

Heute, hier auf diesem Schiff, sah er keinen Grund, wie ein Soldat Wache zu halten. Was ging ihn eigentlich dieser Kapitän an, der vielleicht dunkle Geschäfte trieb? Denn dass der Kapitän ihn den französischen Schergen ausliefern wollte, das hielt er mittlerweile für völlig ausgeschlossen. Das hätte er längst und vor allem einfacher haben können. Gott würde die Untaten des Kapitäns richten. Nicht er, Henri de Roslin, sollte sich zum Richter aufschwingen.

Der beißende Rauch verstärkte sich, und Henri wurde jäh in die Gegenwart zurückgeholt. Am Ufer der Insel hatte man ein Feuer entzündet. Mehrere Gestalten umtanzten die Flammen wie Teufel ein Höllenfeuer. Was verbrannte man dort? Eine stinkende Qualmwolke wälzte sich über die niedrigen Wellen heran. Henri wurde von einem schrecklichen Verdacht übermannt. Es gab nur einen Grund, ein solches Feuer zu entfachen, das sogar den würzigen Duft der Äste vertrieb. Der Kapitän und seine Kumpane, allen voran wohl der falsche Medicus, verbrannten die Leiche des angeblichen Pestkranken, damit man keine verdächtigen Spuren entdecken könne, vielleicht einen Messerstich oder ein gebrochenes Genick. Im Gegenteil! Ernesto di Vidalcosta würde sich auf einen Befehl des Arztes berufen, man habe den toten Pestkranken verbrennen müssen, um jede Gefahr für die anderen Männer der Besatzung auszuschließen.

Uthman hatte sich vergewissert, dass keiner ihn beobachtete, als er die Treppe zu den oberen Aufbauten emporstieg. Von der Besatzung war niemand zu sehen. Sie benutzten die Abwesenheit des Kapitäns, um ungestört ihren Neigungen nachzugehen. Einige spielten mit bunten Karten, ein Zeitvertreib, der gerade groß in Mode war, andere würfelten, aber die meisten schliefen. Am Eingang zum Wachraum blieb Uthman stehen und lauschte. Nur ein leises Stöhnen war zu vernehmen. Er war sich sicher, dass Arturo keinen Aufpasser hinterlassen hatte. Zum einen, weil ein Seemann kräftige Geräusche von sich gegeben, geschnarcht, gerülpst oder sich geräuspert hätte. Zum anderen, weil Arturo fürchten musste, der zurückgelassene Matrose würde über die gefesselte Brunella herfallen und seine Lust befriedigen. Denn auf der langen Seereise drehte sich das Gespräch der frauenlosen Männer immer wieder um die Liebe und was sie alles mit ihren Frauen nach der Heimkehr anstellen würden. Ihre Phantasien wurden immer tollkühner und ausschweifender.

Uthman hatte sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er schlich langsam näher und legte Brunella eine Hand auf den Mund, weil er fürchtete, sie würde bei dem plötzlichen Erscheinen eines Mannes zu schreien beginnen. Beinahe aber hätte er selber einen lauten Schrei ausgestoßen. Denn Brunella hatte ihn kräftig in die Hand gebissen.

»Schweig still!«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich bin es, Uthman, der dich vor den Schlägen des Kapitäns geschützt hat.«