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Das Mädchen richtete sich auf, soweit das in ihren Fesseln möglich war. »Binde mich los! Arturo hat das Seil so fest angezogen, dass die Hanfschnur mir ins Fleisch schneidet. Ich habe große Schmerzen.«

Für Uthman waren Schmerzen etwas, das man aushalten musste. Auch bei Frauen konnte man da keine Ausnahme machen. Er hatte zugesehen, als man eine Ehebrecherin steinigte. Sie hatte keinen Laut von sich gegeben.

»Ich kann dich nicht losbinden«, sagte er ungerührt. »Wo willst du dich auf diesem Schiff verstecken? Arturo würde dich finden. Glaube mir, dass die Schmerzen der Prügel, die er dir zukommen lassen würde, bei weitem schlimmer sein werden als diese, die du jetzt aushalten musst. Aber ich werde dich für deine Schmerzen entschädigen.« Er beugte sich über sie und begann sie zu küssen.

Brunella drehte ihren Kopf beiseite und funkelte ihn wütend an. »Nach Zärtlichkeiten ist mir jetzt nicht zumute. Soll ich dir zeigen, was Arturo mit mir gemacht hat?«

Uthman trat einen Schritt zurück. Die arabischen Frauen waren immer bereit, Zärtlichkeiten zu empfangen und zu geben. Oder taten sie vielleicht nur so, um ihren Herrn nicht zu erzürnen? Er war zunächst ratlos. Aber dann kam ihm ein Gedanke. »Ich werde dir eine lustige Geschichte erzählen, bei der du all deinen Kummer vergessen wirst. Oft habe ich auch meine Schwester mit einer Erzählung getröstet, wenn sie traurig war. Leila, meine Schwester, wollte immer jene Geschichten aus den Tausendundein Nächten hören, in denen Liebende getrennt wurden und auf wundersame Weise doch wieder zusammenfanden. Für eine solche Erzählung ist hier nicht der richtige Ort, und es fehlt die Zeit. Aber die Geschichte von dem Dieb mit dem Affen wird dir sicher Vergnügen bereiten.«

Er hatte den richtigen Ton getroffen. Brunella ließ es zu, dass er sich neben sie setzte, ihre Hand ergriff und spielerisch ihre Finger hin und her bewegte, um die Fesseln ein wenig zu lockern.

Auch während er erzählte, rieb er ohne Unterlass die blaurot angelaufenen Finger. »Ein Dieb, der einen Affen bei sich hatte, bemerkte auf einem Marktplatz, wie ein Mann alte Kleider feilbot, in ein Bündel steckte und sich müde niedersetzte. Der Dieb aber ließ den Affen vor dem Mann seine Kunststücke machen, um die Aufmerksamkeit des Verkäufers abzulenken. Das gelang, sodass er ihm ohne Schwierigkeiten das Bündel stehlen konnte. Als er die alten Kleider sah, packte er sie in ein kostbares Tuch und bot dieses zum Verkauf an. Er machte aber zur Bedingung, dass der Inhalt des Bündels von dem Käufer erst zu Hause geöffnet werden dürfe.«

»So dumm wird doch wohl niemand gewesen sein!«, rief Brunella belustigt.

»Du solltest eigentlich wissen, wie dumm die Menschen sind«, sagte Uthman. »Der Käufer hatte sich durch den billigen Preis blenden lassen. Seine Frau war allerdings klüger. ›Du Narr‹, rief sie, ›wird etwa ein kostbarer Stoff unter Preis verkauft, es sei denn, dass er gestohlen ist? Weißt du nicht, dass derjenige, der etwas kauft, ohne es zu prüfen, immer schlecht abschneidet?‹«

Brunella hatte ihre Schmerzen vergessen und lachte vergnügt. »Du glaubst nicht, wie oft wir auf den Marktplätzen irgendwelchen Plunder verkauft haben, von dem die Leute annahmen, dass es sich um Kostbarkeiten handelte.«

»Es freut mich zu sehen, dass du dich besser fühlst. Darum werde ich dir jetzt die Geschichte aus der dreihundertunddreiundachtzigsten Nacht erzählen, die von dem Mann aus Basra und seiner Sklavin handelt.«

»Gar nichts wirst du mehr erzählen!«, ertönte Henris Stimme von der obersten Sprosse der Leiter. »Denn wenn du nicht augenblicklich auf dem Achterdeck erscheinst, werden dir Arturo und der Kapitän Geschichten zu Gehör bringen, die dir in deinen Ohren dröhnen werden.«

Uthman folgte augenblicklich. Er bewunderte Henri, der sich niemals gehen ließ und zu jeder Zeit seine Pflicht erfüllte. »Verzeih mir meine Nachlässigkeit!«, bat er zerknirscht.

Henri legte einen Finger auf die Lippen und wies zum Wasser. Fast lautlos näherte sich das Boot. Das leise Geräusch des Plätscherns hätte auch von einem Fisch herrühren können, der ab und zu hochschnellte und wieder in die Fluten eintauchte. Als das Boot längsseits anlegte, war kaum eine Erschütterung spürbar. Als Erster erklomm Arturo die Strickleiter, dann der Kapitän, während der Mann im Boot eine Kette in Empfang nahm, an der das schmale Beiboot an Bord gezogen wurde.

Ernesto di Vidalcosta trug seinen Dolch wieder zwischen den Zähnen. Seine Arme hielten rechts und links zwei Kisten umklammert. Er wartete nicht ab, bis die Matrosen das Boot ordnungsgemäß vertäut hatten, sondern schwankte unter der schweren Last der Unterkunft zu. Kurze Zeit später verschwanden auch die beiden anderen Männer.

Uthman schaute ihnen nach, als sie die Leiter zu den Aufbauten emporkletterten. Er horchte, ob von oben eine weinerliche Stimme zu hören war. Aber alles blieb still. »Mir wäre es lieber, wenn er sie schlüge, als wenn er sie losbinden würde, um etwas anderes mit ihr zu machen.«

»Dein Mitleid in allen Ehren!«, sagte Henri. »Aber wir haben jetzt andere Sorgen als das Wohlergehen einer Piratenbraut. Vor allem müssen wir einen Plan machen, wie wir den Inhalt der Kisten erforschen können. Es muss sich um etwas sehr Wertvolles handeln, das sich in Frankreich gut verkaufen lässt: fremdartige Gewürze, Schmuck oder Edelmetalle.«

Uthman schlug sich gegen die Stirn. »Wo hatte ich nur meinen Verstand! Der Inhalt besteht natürlich aus Silberbarren oder Geräten aus Silber. Denn für Gewürze und Schmuck sind die Kisten viel zu schwer. Bei meinem Aufenthalt in Cordoba habe ich erfahren, dass es in Spanien schon immer berühmte Silberminen gab. Weil mein Interesse geweckt war, habe ich in der Bibliothek nachgeforscht. Dir ist doch sicher der berühmte maurische Feldherr Hannibal bekannt, der mit 26 000 Mann und einigen Elefanten die Alpen überquerte. Das war lange Zeit, bevor der Prophet Jesus geboren wurde. Der Vater dieses berühmten Feldherrn Hannibal hieß Hamilkar, der bei seinen Eroberungszügen im erzreichen Hinterland der spanischen Ostküste nach den legendären Silberminen gesucht hat, um sie auszubeuten. Das ist ihm jedoch nicht gelungen. Aber der Reichtum dieser tatsächlich vorhandenen Silberminen scheint bis heute unerschöpflich geblieben zu sein. Wo Gold und Silber zu finden sind, tauchen aber immer auch Diebe und Gauner auf. Mit denen macht unser Kapitän sicher seine obskuren Geschäfte.«

»So muss es sein«, bestätigte Henri. »Unser famoser Ernesto di Vidalcosta hat Beziehungen zu Minenräubern und lässt sich von ihnen beliefern. Sobald wir den Anker gelichtet haben, werden wir diese Kisten untersuchen, während der Kapitän mit der Navigation beschäftigt ist.«

»Inshallah – wenn Gott will«, fügte Uthman noch hinzu.

12

Henri und Uthman erwachten gleichzeitig von einem lauten Gesang aus heiseren Männerkehlen. Wenn sich das Seemannslied auch ein wenig krächzend anhörte, so war ihm doch die fröhliche Stimmung der Matrosen anzuhören. Alle waren froh, dass die Quarantäne aufgehoben worden war. Der Kapitän hatte den Befehl gegeben, den Anker zu lichten. Er ließ seine gute Stimmung erkennen, und es hätte nicht viel gefehlt, dass er in den Matrosenchor mit eingestimmt hätte. Aber das vertrug sich nicht mit seiner Würde.

Im Laufe des Morgens gab er an die Besatzung eine doppelte Essensration aus. Henri und Uthman wurden von dem Kapitän zu einer Mahlzeit eingeladen, die ausnahmsweise auch Fleisch und frisches Obst darbot. Diese Köstlichkeiten muss er von seinem Inselausflug mitgebracht haben, dachte Uthman. Ganz so ärmlich, wie es vom Blick auf die einsame Bucht den Anschein hat, ist Cabrera jedenfalls nicht. Er sah sich in der Kajüte um, ob die geheimnisvollen Kästen zu sehen waren, konnte aber nichts entdecken.