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»In drei Tagen werden wir Menorca erreichen«, stellte der Kapitän in Aussicht. »Dann werdet Ihr von der ermüdenden Seefahrt endgültig erlöst.«

»Das Wort Erlösung klingt in meinen Ohren nicht gut«, gab Uthman später zu bedenken. »Endgültig erlöst wird man nämlich nur durch den Tod.«

Henri verzichtete auf eine Stellungnahme zu dieser düsteren Prophezeiung. »Ich schlage vor, dass wir die abendliche Navigation des Kapitäns zu einer Suche nach den Kästen ausnützen.«

»Abgemacht!«, stimmte Uthman zu. »Wenn es dir recht ist, wirst du den Kapitän ablenken, und ich werde seine Kajüte durchstöbern. Mit deinen ernsthaften Fragen wirkst du bei weitem glaubwürdiger als ich.«

»Während du waghalsiger und vor allem bereit bist, jedes Risiko einzugehen, das für solch ein Unternehmen vonnöten ist«, gab Henri Uthman das Lob, das dieser wohl erwartet hatte.

Die Morgenkühle wich der Wärme des Mittags. Uthman blinzelte in die Sonne und ließ sich auf den Brettern des Decks nieder. Er sog die salzige Luft ein, lauschte dem Plätschern der Wellen, die gegen die Bordwand schlugen, und streckte die Beine aus. »Dann wollen wir versuchen, uns bis zum Abend zu entspannen, und das geht am besten, wenn du uns mit der Fortsetzung deiner Geschichte nach Aqaba entführst.«

Henri war einverstanden und ließ sich neben Uthman nieder. »Mein Pferd war in Qumran gut versorgt worden. So konnte ich eine schnelle Gangart vorlegen und langte früher in Aqaba an, als ich das erhofft hatte. Ich wusste natürlich, dass die Kreuzfahrer vor mehr als hundert Jahren Aqaba einmal beherrscht hatten, diesen Ort jedoch wieder aufgeben mussten. Zwar hatten sie ihre Festung auf einer vorgelagerten Insel erbaut, aber die ägyptischen Sultane der Mamelucken hatten die Stadt erobert wie Akkon und unsere anderen Besitzungen im Outremer. Ich bildete mir ein, dass die Aura der Kreuzfahrer in Aqaba noch spürbar sei. Daher fühlte ich mich sogleich heimisch.«

»Gibt es für dich überhaupt noch eine Heimat?«, fragte Uthman.

»Ja, Heimat ist für mich immer noch der Templerorden – das heißt, seine moralischen Ansprüche und seine Regeln. Ebendies war für mich in Aqaba spürbar.

Es war nicht schwer, Ortokides zu finden. Der gelehrte Mann galt in diesem großen Fischerhafen als Berühmtheit, obwohl er nur ein bescheidenes Holzhaus in der Nähe der Moschee bewohnte. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass er nicht auffallen wollte. Er saß, wie einst Archimedes, vor seiner Hütte und malte Formeln in den Sand. Ortokides hatte sich in weiße Leinentücher gehüllt, wie sie die Pilger in Mekka tragen. Seine Füße steckten in schadhaften Sandalen. Ich deklamierte mein noli turbare circulos meos und hoffte, dass diese Losung mir Eintritt verschaffen würde. Er lächelte, erhob sich und führte mich in das schattige Innere seines Hauses.«

»Vielleicht war seine Armut aus Sicherheitsgründen nur gespielt«, vermutete Uthman.

»Dass er unendlich reich war, erkannte ich, als ich den einzigen Wohnraum seines Hauses betrat. Ein hölzerner Tisch war über und über mit Schriftrollen und Papyrusdokumenten beladen. Auf einer steinernen Bank türmten sich Leder- und Kupferrollen. Ortokides musste bemerkt haben, dass ich mich nach einer Sitzgelegenheit umsah.

›Folgt mir bitte auf das Dach, wo ich wegen des heißen Klimas zu schlafen pflege. Dort habe ich auf dem Boden einige Kissen ausgebreitet.‹

Zerbröckelte Stufen führten auf eine breite Plattform. Ich trat zu der steinernen Balustrade und war überwältigt. Unter uns dehnte sich das Häusergewirr der Stadt. Aber im Süden schimmerte bis weit zum Horizont das kobaltblaue Wasser der Bucht von Aqaba. Ich konnte mich von diesem Anblick erst trennen, als Ortokides das Wort an mich richtete. ›Man hat Euch in Qumran sicherlich erzählt, dass ich in alten Dokumenten dem Verbleib der Bundeslade und den Schätzen Suleimans, den die Juden und Christen Salomo nennen, nachspüre. Daher weiß ich, dass Salomo hier als Erster einen Seestützpunkt errichtete. Falls Ihr bibelkundig seid, werdet Ihr wissen, dass die Meeresbucht von Aqaba Schilfmeer genannt und Moses hier in seinem Weidenkörbchen gefunden wurde. Bei den Hebräern hieß dieses Gewässer jamsuf.‹

Natürlich kannte ich den Bericht des heiligen Moses, aber ich hatte diese Geschichte stets als Gleichnis darüber aufgefasst, wie sehr Gott über jeden einzelnen Menschen wacht. Ich wunderte mich, dass dieser gelehrte Mann die Erzählung wie ein Bauer nur wortwörtlich und nicht auch symbolisch in Erwägung ziehen konnte, und hielt die Zeit für gekommen, mein Papyrusdokument zu überreichen. Er las es stirnrunzelnd und schwieg lange, ehe er sich mir endlich zuwandte. ›Wenn man Euch in Qumran dieses geheime Dokument übergeben hat, zeugt das von ungeheurem Vertrauen, welches man Euch entgegenbringt. Denn ich glaube, wichtige Spuren herauslesen zu können, die auf den Verbleib der Bundeslade und der salomonischen Schätze hindeuten.‹

›Kann denn außer Euch noch ein anderer diese Schrift entziffern?‹, fragte ich. ›Die Gier nach diesen Schätzen würde vielleicht zu Mord und gewaltsamem Diebstahl führen.‹

›Das fürchte ich auch‹, bestätigte Ortokides meine Ängste. ›Der Inhalt des Dokumentes ist durchaus ernst zu nehmen, wenn er sich auch auf eine weit zurückliegende Zeit bezieht. Die Königin von Saba, die aus dem südlichen Arabien stammte, war mit einem riesigen Gefolge nach Jerusalem gekommen, um den herrlichen Tempel des Königs zu bewundern. Sie brachte nicht nur Spezereien, sondern auch Gold und Edelsteine mit. Der Besuch der Königin, der sehr lange dauerte, hat den Reichtum Salomos erheblich vergrößert. Über die Seefahrtsroute vom Roten Meer zum Golf von Aqaba gelangten die kostbarsten Güter nach Israel. Man sagt, dass das Gewicht des Goldes, das für Salomo in einem Jahr in Israel anlangte, sechshundertsechsundsechzig Zentner wog. Nicht nur sein Thron war aus reinem Gold, sondern auch seine Trinkgefäße und alle anderen Gebrauchsgegenstände und seine Schilde.‹ Du weißt ja, Uthman, dass man uns diese Geschichte auch in Äthiopien erzählt hatte. Es scheint so, als wollten sich die verschiedensten Königreiche mit dieser Tradition schmücken.«

Uthman nickte. Er erinnerte sich noch gut an diese gefahrvolle Reise, und natürlich war ihm die Geschichte vom König Suleiman und der Königin von Saba aus der Sure von den Ameisen, An-Naml, auf das Beste vertraut.

»Ich kannte diese Angaben natürlich aus der Bibel. ›Wurde denn auf dieser weiten Seereise durch das Rote Meer nichts von dem Gold gestohlen? Gab es keine Seeräuber, die diese mit Gold beladenen Schiffe enterten und die Besatzung töteten?‹

›Dazu gab es keine Möglichkeit, denn die Schifffahrtsroute wurde von Salomos Flotte kontrolliert. Er beschäftigte immer noch die kundigen Seeleute aus den Diensten Hirams, des Königs von Tyrus.‹

›Aber wo ist denn nun der gewaltige Schatz geblieben? Steht irgendetwas darüber in der Papyrusrolle?‹

›Das könnte man annehmen, wenn ich die Schrift richtig entziffert habe. Sie enthält die berühmte Legende des Baumeisters Hiram Abiff. Er kannte alle geheimen Gänge des Tempels. Angeblich wurde er von drei Steinmetzgesellen ermordet, weil er sich weigerte, ihnen geheime Kennworte und Zeichen zu verraten. Sie verscharrten ihn in der Nähe des Tempels. Aber der Schreiber dieses Papyrusdokumentes behauptet, dass Salomo an diesem Mord beteiligt gewesen sei.‹

Über diese Anschuldigung war ich empört. ›Was? Ausgerechnet Salomo beschuldigt man, die Gesellen zu diesem infamen Mord angestiftet zu haben? Das kann und will ich nicht glauben!‹«

Uthman stimmte zu: »Suleiman war ein Prophet. Er konnte nichts Falsches tun!«

»›Lassen wir einmal beiseite‹, fuhr der Gelehrte fort, ›ob Salomo diesen Mord gutgeheißen hat. Der Schreiber des Dokumentes behauptet, dass Hiram Abiff nicht verscharrt, sondern auf dem Tempelberg in einer Wand eingemauert wurde, damit sein Geist Wache halten solle und die Bundeslade vor einem Raub durch die Feinde Israels versteckt blieb. Wo dieser Baumeister lebendig begraben wurde, da sind auch Salomos Schätze und die Bundeslade zu finden.‹