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»Sollte ich diesen Leuten etwa meine undurchsichtige Beziehung zu dem Emir auseinander setzen?«, fragte Henri leicht verärgert.

Uthman machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Das sollte doch nur ein Scherz sein.«

»Am nächsten Tag traf ich in Tabuk ein. Dort glaubte ich mich am Ziel. Auf dem höchsten Plateau einer Felswand erhob sich eine mächtige Burg. Die Sonne warf ihr Licht auf die rötlichen Steine der fest gefügten Mauern. Ich bewunderte die Konstruktion. Denn mir kam es so vor, als ob die riesigen Steine exakt zugeschnitten waren, sodass jedes Bindemittel überflüssig wurde. Diese Burg war uneinnehmbar. Das sah ich sogleich. Aber ich wollte sie ja auch gar nicht einnehmen, sondern in ihrem Inneren nach Abu Hassan forschen. Sicher gab es dort in den untersten lichtlosen Kammern ein türloses Verlies, in das man einen Gefangenen an einem Seil herunterschaffen könnte und niemals mehr zum Tageslicht zurückholen würde. Dieser Gedanke war mir schrecklich.«

»Weißt du zufällig, welchen Namen diese Burg trug?«, fragte Uthman. »In den Aussprüchen des Propheten – Friede sei mit ihm! – wird, so weit ich mich erinnere, Ashab Al-Aykah in Tabuk genannt. Das könnte dieser festungsartigen Burg entsprechen.«

»Vielleicht hätte mir die Erwähnung dieser Stelle geholfen, als ich in der streng bewachten Burg in höchste Gefahr geriet.«

»Meine Lehrer haben mir immer gesagt, wie wichtig es sei, den Koran und die Hadithe, die gesammelten Aussprüche des Propheten, auswendig zu können. Oft genug erhielt ich die Bastonade, wenn ich ins Stocken geriet. Aber erzähle weiter! Wie gelang es dir überhaupt, bis in das Innere dieser Burg vorzudringen? Hast du Abu Hassan gefunden, und konntet ihr miteinander flüchten?«

»Das sind viele Fragen auf einmal. Ich werde dir alles der Reihe nach berichten.«

Uthman war in die Unterkunft gegangen, um aus seinem Bündel den Koran zu holen, den er immer mit sich führte. Aber ein plötzlicher Windstoß fegte über das Deck, fuhr in das Heilige Buch und riss an den Blättern. Mit einem lauten Knall blähten sich die Segel, und die Kogge neigte sich zur Seite. Die Matrosen stürmten herbei und kletterten in die Wanten, um die Segelfläche in die passende Lage zu bringen. Der Kapitän rannte aus seiner Kajüte und brüllte seine Befehle, die in dem plötzlich aufgetretenen Wind als Wortfetzen nicht zu verstehen waren. Der Steuermann, der als Letzter erschien, ergriff das verwaiste Ruder und versuchte, den richtigen Kurs zu finden. Schließlich erschien noch der Koch und jammerte darüber, die unerwartet aufgetretene Böe habe die Töpfe und Kochlöffel durcheinander gewirbelt, die Suppe verschüttet und die Bohnen auf dem Boden der Kombüse verstreut. Weil alle anderen sich in den Wanten außer Reichweite befanden, gab ihm der Kapitän zwei Ohrfeigen und schickte ihn in die Kombüse zurück.

Ebenso plötzlich, wie der Wind sich erhoben hatte, legte er sich wieder. Die Seeleute fluchten und schimpften und veränderten aufs Neue die Segelfläche. Die Kogge nahm wieder ihre waagerechte Stellung ein und dümpelte still vor sich hin.

»Schockschwerenot!«, brüllte der Kapitän in die Stille hinein. »Wenn das noch lange so weitergeht, werde ich ein paar Leute an die Riemen setzen müssen.«

Die Matrosen kamen langsam herabgeklettert. Einige schauten flehend zum Himmel, als ob sie den Wind herbeibeten könnten, damit er ihnen die schwere Arbeit des Ruderns erspare. Wer sich als Erster nach unten auf das Deck gewagt hatte, bekam den Zorn des Kapitäns zu spüren, obwohl er doch völlig unschuldig an dieser Windstille war. Der Kapitän befahl ihm, sich vor ihm hinzuknien, und schlug ihm mehrmals kräftig mit dem Stock über den Rücken. »Hundsfott, warum hast du sinnlos die Segelfläche vergrößert, ohne vorher die Windverhältnisse zu beobachten?« Er ließ den Stock bei jedem Wort im Takt tanzen. Der Geschlagene heulte laut, und die anderen blieben in den Wanten, bis der Kapitän sein Mütchen gekühlt hatte und in der Unterkunft verschwunden war.

»Dieser widerliche Teufel!«, stieß Uthman wütend hervor. »Wenn wir es ihm doch einmal richtig heimzahlen könnten!«

»Beruhige dich!«, bat Henri. »Für einen Rachefeldzug ist es noch zu früh. Vorläufig müssen wir froh sein, wenn wir nicht auf dem Grund des Meeres landen.«

»Gibt es keine Möglichkeit, das Wetter vorauszusagen?«, fragte Uthman.

»An Land wäre das für mich vielleicht möglich. Die Bewegung und vor allem die Gestalt der Wolken lassen gewisse Rückschlüsse zu. Auch in der Wüste lässt sich am Verhalten der Tiere eine gewisse Wettervorhersage ablesen. Aber das Meer ist mir fremd.«

»Ich schlage vor, dass wir uns wieder im Bug niederlassen. Zu gerne möchte ich wissen, wie du in die Burg Ashab Al-Aykah eindringen konntest.«

»Vorher erzähle mir doch bitte, was Muhammad in Tabuk zu den Gläubigen sagte. Vielleicht gibt uns eine seiner Lehren eine Hilfe in unserer schwierigen Lage.«

Uthman zögerte. »Willst du wirklich die Stelle aus dem Koran hören, oder willst du mich nur prüfen, ob ich mich im Koran auskenne?«

Henri lachte. »Beides natürlich!«

»Die Rede, die der Prophet in Tabuk hielt, findet man in der Sure, die sich al-Taqwa nennt. Das bedeutet im Arabischen sowohl die reuige Hinwendung zu Gott als auch die gnädige Hinwendung Gottes zu dem Reuigen.«

»Ich sehe«, sagte Henri, »dass du deinen Koran gut gelernt hast. Die Bastonade hat jedenfalls ihre Wirkung getan.«

Uthman zog eine Grimasse und fuhr fort. »Der Prophet entwickelt dort seine Lehren, die dir wahrscheinlich nicht fremd sind, weil sie sich nicht gar so sehr vom Christentum unterscheiden. Aber er wandte sich auch an drei Männer, die am Feldzug gegen die Byzantiner nicht teilnehmen wollten. Die Zurückgebliebenen freuten sich darüber, dass sie im Gegensatz zum Gesandten daheim geblieben waren, weil es ihnen zuwider war, sich mit ihrem Vermögen und der eigenen Person auf dem Weg Gottes einzusetzen. Als Entschuldigung sagten sie: Rückt nicht in der Hitze aus! Der Prophet hielt dagegen: Das Feuer der Hölle ist noch heißer; wenn sie es doch begreifen könnten!«

»Gab es denn eine Möglichkeit, sich der Teilnahme an einem Feldzug zu entziehen? Bei uns Templern wäre das nicht möglich gewesen. Schon bei meiner Aufnahme in den Orden sagte man mir: Wenn ihr auf dieser Seite des Meeres sein wollt, so werdet ihr auf die andere Seite des Meeres geschickt, und umgekehrt. Wir unterstanden den Befehlen der Ordensoberen.«

Uthman klappte das Buch zu. »Hierin unterscheiden wir uns. Denn für uns gelten nur die Gebote Allahs und nicht die Befehle irgendwelcher Oberen.«

Henri dachte, dass es zu dieser Auslegung viel zu sagen gäbe. Aber er wollte es hier an Bord zu keinen Streitfragen über den Heiligen Krieg, den Dschihad, kommen lassen. Denn Uthman, der sich oft mit diesen Fragen beschäftigt hatte, würde auf die Schrift De laude hinweisen, in der Bernhard von Clairvaux geschrieben hatte: Kämpft ohne Furcht gegen die Feinde des Kreuzes Christi! Damit waren auch die Tempelritter zu einem heiligen Krieg ermächtigt worden.

Henri bemühte sich, das Thema zu wechseln. »Du wolltest wissen, wie es mir gelang, in diese stark befestigte Burg einzudringen. Mein Plan war ziemlich einfach, aber er kostete mich mehr Zeit, als ich veranschlagt hatte. Ich suchte bei einem Bäcker um Arbeit nach. Etliche Male musste ich vorsprechen, bis er sich erweichen ließ, mich als Austräger einzustellen. Weil ich mir Mühe gab, ein höfliches Wesen zu zeigen, schickte er mich eines Tages auf die Burg, um dort die frisch gebackenen Fladen abzuliefern. Eine Woche lang lauschte ich nur auf die Gespräche der Dienerschaft. Ihren Reden war nicht zu entnehmen, ob jemand in der Burg gefangen gehalten wurde. Vielleicht war es auch vor ihnen geheim gehalten worden.

Nach einer Woche wagte ich es, nachdem ich meine Fladen abgegeben hatte, nicht zum Ausgang zurückzukehren. Ich schlich stattdessen durch Gänge, die mir unbekannt waren, und suchte eine Treppe zu den Kellerräumen. Aber ich konnte sie nicht finden, da die Burganlage außerordentlich weiträumig war.