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Als ich ohne Erfolg zum Ausgang zurückkehrte, begegnete mir eine bewaffnete Wache. Sie stellte sich mir in den Weg und rief: ›Halt, Bursche! Was hast du hier zu suchen?‹ Der Wächter packte mich beim Kragen und wollte mich in die Wachstube schleppen. Ich versuchte gar nicht erst, mich loszureißen, wies auf meine mehlbestäubte Kleidung und jammerte steinerweichend: ›Ich bin nur der Bäckerjunge, der Euch das Brot bringt. Der Meister wird mich schlagen, wenn ich nicht pünktlich zurückkehre.‹ Der Lanzenträger gab mir einen Tritt, der mich nach draußen beförderte. ›Dann sieh zu, dass du in deine Backstube zurückkehrst. Einem solchen langsamen Taugenichts wie dir könnte eine Tracht Prügel nicht schaden.‹«

»Hatte er damit nicht Recht?«, feixte Uthman. »Denn du hattest in der Burg herumgeschnüffelt und heimlich den Plan, einen Gefangenen zu befreien. Wenn es darauf ankommt, kannst du noch besser lügen als ich, verehrter Tempelbruder. Hoffentlich gelingt dir das morgen auch so gut. Ich will jedenfalls mein Bestes in dieser Kunst zeigen.«

Henri drehte sich zur Seite und schloss die Augen. »Für heute erzähle ich nicht mehr weiter.«

»Habe ich dich verletzt?«, fragte Uthman besorgt.

Henri reichte ihm die Hand. »Nein, mein Freund. Aber ich möchte ein wenig nachdenken, und zwar über mich selbst.«

13

In der Nacht hatte sich ein leichter Wind erhoben und fuhr in die schlaff hängenden Segel. Sie blähten sich matt, fielen wieder zurück und streckten sich aufs Neue. Das Meer, das flach wie ein Dorfteich dagelegen hatte, begann sich zu kräuseln, und erste kleine Wellen umspülten die Bordwand. Über dem Wasser lagerten Frühnebel, die sich nur langsam auflösten. Im Osten zeigte sich ein gelbfarbener Sonnenaufgang.

Nach einiger Zeit erschien Ernesto di Vidalcosta an Deck. Er ließ sich vom Steuermann das kegelförmige Lot bringen und schickte sich an, den Hohlraum mit Wachs zu füllen.

Uthman wandte sich Henri zu. »Das ist unsere Stunde. Stelle dem Kapitän Fragen, so viele dir nur einfallen! Am besten recht dumme, obwohl dir das schwer fallen wird. Aber dann hat er größere Mühe, sie zu beantworten. Das gibt mir mehr Zeit.« Er warf noch einen kurzen Blick auf die Seeleute, die den Navigationsvorgang beobachteten, und schlich zur Unterkunft des Kapitäns.

Der Tisch war übersät mit Land- und Seekarten. Irgendwelche Kästen hatten dort keinen Platz. Auch in den Ecken der Kajüte war nichts zu finden, weder leere noch volle Kisten. Er öffnete noch eine Truhe und fasste mit den Händen bis auf den Boden, ob unter den Kleidern vielleicht Silberbarren versteckt lagen. Aber auch dort war nichts zu finden.

Nach kurzer Überlegung entschloss sich Uthman, in den Rumpf des Schiffes hinabzusteigen. Da die Wasserbolde ab und zu ausgeleert werden musste, lehnte an dem Abstieg in die dunkle Tiefe eine Leiter, an der allerdings einige Sprossen fehlten. Uthman kletterte rasch abwärts. Eine Ratte huschte ihm über die Füße und entwich pfeifend in die hinterste Ecke.

Uthman tastete sich vorwärts. Über sich auf dem Deck hörte er Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was da gesprochen wurde. Beinahe wäre er über die beiden Kästen gestolpert, die etwas erhöht auf Brettern standen. Sie waren mit einem alten Segeltuch abgedeckt, um sie vor der Feuchtigkeit zu schützen. Aber gleich nach dem Fund folgte die Enttäuschung. Die Deckel waren mit schweren Eisenschlössern versehen. Ohne passendes Werkzeug ließen sich diese Kästen nicht öffnen, und dann auch nur, wenn man die Schlösser zertrümmerte. Das aber hätte einen gewaltigen Lärm verursacht.

Die Stimmen auf Deck waren leiser geworden. Er musste sich beeilen, wenn er unentdeckt zurückkehren wollte. Schon hatte er einen Fuß auf die unterste Sprosse gestellt, als sich der Einstieg verdunkelte. Irgendjemand kam in den Schiffsrumpf geklettert. Vielleicht hatte der Kapitän wieder den Befehl erteilt, die Bolde zu leeren. Aber eigentlich konnte ihm wohl kaum daran gelegen sein, einen Matrosen in die Nähe der Kästen zu lassen.

Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, handelte Uthman ohne weitere Verzögerung. Er sprang in die hinterste Ecke, wo die Ratte verschwunden war, und deckte sich mit einer Persenning zu. Die Ratte pfiff erneut, und der unerwünschte Eindringling auf der Leiter horchte einen Atemzug lang in die Tiefe. Als alles still blieb, kam er fast unhörbar nach unten geklettert. Er war wohl nicht zum ersten Mal hier. Denn er brauchte sich nicht vorwärts zu tasten, um zu den Kästen zu gelangen. Uthman lugte durch eine schmale Öse und war nicht einmal erstaunt, als er den Mann erkannte. Es war Arturo, der jetzt mit einem Schlüsselbund rasselte. Er öffnete den ersten Kasten ohne Schwierigkeiten, nachdem er aus einer Kanne etwas Öl in das Schloss geträufelt hatte.

Uthman konnte seine Bewunderung kaum verbergen. Das war die Lösung: Er hatte dem Kapitän die Schlüssel entwendet, die er nun eiligst wieder an Ort und Stelle zurückbringen würde. Arturo hatte wirklich an alles gedacht. Er legte ein Baumwolltuch auf den Boden und griff in den Holzkasten. Ein blitzender dreiarmiger Leuchter kam zum Vorschein. Ein weiterer Griff brachte einen Silberbarren zum Vorschein. Mit geschickten Bewegungen wickelte er seine Beutestücke ein und schloss den Kasten.

Uthman musste wohl eine unbedachte Bewegung gemacht haben. Denn die Ratte, die auf einem Sparren über ihm saß und den langen Schwanz vor seinem Gesicht baumeln ließ, pfiff laut und schrill. Arturo zuckte zusammen und kam einen Schritt näher. Aber dann entdeckte er die Ratte, nahm ein Holzscheit und warf es mit aller Kraft fluchend nach dem Tier. Die Ratte entfloh mit einem schrillen Schrei.

Uthman, der von dem Wurf an der Schulter getroffen worden war, verhielt sich still, ohne sich die schmerzende Stelle zu reiben. Er wartete, bis kein Tritt mehr zu hören war. Mit Sicherheit würde Arturo möglichst schnell in den oberen Aufbauten verschwinden.

Die Gruppe auf Deck hatte sich aufgelöst. Nur der Kapitän stand noch mit Henri an der Bordwand. Beide starrten ins Wasser, und Henri zog an einer Schnur. Uthman, der von hinten herangekommen war, machte sich durch lautes Räuspern bemerkbar.

»Tretet bitte näher, um Euren Gefährten zu bewundern!«, rief Ernesto di Vidalcosta. »Er beherrscht nämlich ausgezeichnet den Wurf des Lotes, nachdem ich ihn diese Kunst gelehrt habe.«

Was für ein schlauer Fuchs, dieser Henri, dachte Uthman. Wie ich ihn kenne, ist ihm sofort der erste Wurf gelungen. Aber dieser dumme Kapitän hat nicht bemerkt, dass Henri ihn mit immer neuen erfolglosen Versuchen möglichst lange aufhalten wollte.

Henri bedankte sich bei dem Kapitän für die unendliche Geduld, die er als Lehrer bewiesen habe. Ernesto di Vidalcosta lächelte geschmeichelt. »Wenn Ihr wieder einmal eine Lektion in der Kunst der Seefahrt erhalten wollt, dann lasst es mich wissen.«

»Das ist sehr liebenswürdig von Euch«, sagte Henri. Da es nun keinen Grund mehr gab, den Kapitän länger festzuhalten, forderte er Uthman zum Gehen auf. »Unser Kapitän ist sicher müde nach dieser anstrengenden Lehrstunde.«

Die beiden ließen sich in der äußersten Ecke des Achterstevens nieder, wo niemand ihre Gespräche mithören konnte. Dennoch berichtete Uthman nur flüsternd seine Abenteuer.

»Sieh mal einer an!«, sagte Henri. »Da hat sich unser Kapitän ja einen schönen Freund ausgesucht. Er vergilt ihm die Sonderstellung, indem er ihn bestiehlt.«

»Können wir denn mit der Entdeckung etwas anfangen?«, fragte Uthman skeptisch.

»Aber natürlich! Wie kannst du da nur Zweifel haben! Wenn es wirklich dazu kommt, dass die Piraten unser Schiff entern, können wir mit Hinweis auf den Silberschatz unser Leben retten.«