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»Falls uns der Kapitän oder sein Intimus Arturo nicht vorher umgebracht haben!«

Henri sah nach oben zur Mastspitze. »He du, Junge! Siehst du schon irgendeinen Küstenstrich?«

Der Gehilfe des Kochs, den man ab und zu in den Mastkorb schickte, formte die Hände zu einem Trichter. »Nichts zu sehen!«

»Das hätte mich auch gewundert«, meine Henri. »Nach meinen Berechnungen und den Versuchen einer Lagebestimmung mit dem Kegellot sind wir noch weit vom Land entfernt. Wenn du magst, berichte ich dir weiter über meine Abenteuer in der Burg von Tabuk.«

»Hoffentlich konntest du Abu Hassan finden und befreien!«

»Als Austräger von Fladenbroten konnte ich mich nicht mehr sehen lassen«, begann Henri. »Darum entwickelte ich einen neuen Plan. Vor allem musste ich mich anders herrichten, damit mich der Wachtposten nicht mehr erkennen würde. Am besten schien mir das Äußere eines Maurers geeignet. Ich verschaffte mir das notwendige Werkzeug und…«

»Wie? Verschaffen?«, rief Uthman mit gespielter Entrüstung. »Du meinst doch nicht etwa stehlen?«

»Führe dich hier nicht als Tugendbold auf!«, rief Henri. »Ich kenne dich und deine Moralauffassung nämlich ziemlich gut! Mit meinem Werkzeug, einer schmutzigen Mütze, die ich tief ins Gesicht zog, und mit einem Sack Dichtungsmittel machte ich mich auf den Weg. Ich kam ziemlich verschwitzt oben an. Das Glück war mir hold. Denn an diesem Tag stand eine andere Wache am Tor. Ich behauptete, dass sich in der Mauer des Kellers einige Steine gelockert hätten. ›Ich habe den Auftrag, diese Mauer wieder zu festigen‹, behauptete ich. Weil ich gar so dreckig war, verspürte der Wachmann offenbar keine Lust, mich näher zu untersuchen. Er hob nur mit der Lanzenspitze mein Hemd an, ob darunter vielleicht eine Waffe verborgen war. Aber ich hatte meinen Dolch vorsichtshalber im Stroh des Stalls versteckt, wo ich mein Pferd untergestellt hatte.

Ich ging mit festen Schritten die Treppe hinab, die ich von meinem vorigen Erkundungsgang schon kannte. Immer tiefer drang ich in die Gewölbe vor. Im untersten Gang machte ich mir die Mühe, ein paar Steine zu lockern. Ich hoffte, dass der Lärm nicht bis nach oben dringen würde. Für den Fall, dass man mich kontrollieren würde, fing ich an, das Dichtungsmittel in die Löcher zu schmieren. Ein paar Ohrfeigen wären mir sicher gewesen, wenn ein echter Maurer diese Arbeit begutachtet hätte.«

Uthman grinste. »Das glaube ich dir gern. Denn soviel ich weiß, gehörten im Templerorden die Maurer zu den dienenden Brüdern. Du aber warst ein Krieger und zum Kämpfen ausgebildet. Das war vielleicht noch wichtiger als eine solide Handwerksarbeit.«

»In diesem Fall schon«, setzte Henri seinen Bericht fort. »Ich entfernte mich von meiner Arbeit und schlich durch die Gänge. Nirgendwo konnte ich eine Eisentür entdecken, die zu einem Verlies geführt hätte. Dann aber kam mir die Idee, dass ich nach einer Eisenplatte im Boden suchen musste, die sich anheben ließ, um die Gefangenen in den tür- und fensterlosen Raum hinabzulassen. Ich begann meine Suche unter diesem Gesichtspunkt von neuem.«

»Ich bewundere deinen Mut«, gab Uthman sein Urteil ab. Seine Stimme klang aufrichtig.

»Du hättest es auch nicht anders gemacht«, erwiderte Henri. »Beinahe hätte ich einen lauten Freudenschrei ausgestoßen, als ich am Ende eines dunklen, verwinkelten Ganges eine Eisenplatte entdeckte, die in den felsigen Boden eingelassen war. Ich rannte zurück zu meiner Baustelle und ergriff eine eiserne Stange, die ich mir mitgebracht hatte, falls ich mich verteidigen müsste. Die Platte war lange nicht angehoben worden. Ich hebelte und hebelte. Die Stirnadern schwollen mir an, sodass ich fürchtete, sie würden bei weiterer Anstrengung platzen.

Schließlich gelang es mir, die Eisenplatte einen Fingerbreit anzuheben. In die schmale Öffnung klemmte ich die Stange, damit die Platte nicht wieder zufallen konnte. Ich legte mich auf den Boden und starrte in die dunkle Tiefe. Drunten war nichts zu sehen. Nur ein bestialischer Gestank schlug mir entgegen. Ich neigte meinen Mund über die Öffnung. ›Abu Hassan! Hörst du mich? Ich bin es! Henri, dein Bündnisbruder! Abu Hassan! Antworte mir!‹ Aber es kam keine Antwort. Nur meine eigenen Rufe hallten von den Mauern wider. Enttäuscht erhob ich mich und schaute genau in die Augen des Wachmanns. Bei dem verzweifelten Bemühen, Abu Hassan zu finden, hatte ich jede Vorsicht außer Acht gelassen.«

»Wie konnte das einem so erfahrenen Krieger wie dir nur zustoßen!«, rief Uthman anklagend.

»Das dachte ich auch«, stimmte Henri zu. »Aber es ging darum, einen Freund zu befreien. Darüber vergisst man manchmal die eigene Sicherheit. Ich ergriff die Eisenstange, obwohl ich wusste, dass ich damit dem Lanzenträger unterlegen sein würde. Aber er war sich seiner Sache wohl zu sicher. Als er schon die Lanze wurfbereit erhoben hatte, schlug ich ihm die schwere Stange mit Gewalt gegen beide Kniescheiben. Mit einem Aufschrei stürzte er zu Boden. Ich entriss ihm seine Waffe und stürmte davon. Verfolgen konnte er mich mit Sicherheit nicht mehr.«

»Aber schreien und rufen konnte er doch wohl noch«, gab Uthman zu bedenken.

»Allerdings, und wie! Er wand sich am Boden, brüllte und tobte, dass es von allen Mauern widerhallte. Diese Echowirkung gereichte mir zum Vorteil. Die Wächter, die von allen Seiten herbeistürmten, konnten nicht feststellen, woher das Gebrüll kam. Aber sie liefen mir entgegen, sodass ich eilends in einen anderen Gang umkehren musste. Sie kamen von oben und von unten, vom hinteren und vom vorderen Teil des Gewölbes. Ich wusste schon bald nicht mehr, wo ich mich befand.

Dann geschah etwas Merkwürdiges zu meiner Rettung. Einer der Krieger packte mich am Arm. Jetzt ist es um dich geschehen, dachte ich. Man wird mich in das Loch hinunterstoßen, und niemals mehr werde ich das Sonnenlicht sehen. Aber der schwer bewaffnete Mann zog mich zu einer kleinen Öffnung, die ich bisher übersehen hatte. Er gab mir einen leichten Stoß. ›Dieser Ausgang führt in den Garten. Spring über die Mauer! Von da gibt es einen schmalen Pfad, der in den Ort führt. Zögere nicht länger!‹ Von fern hörten wir das Geschrei der anderen Wächter. Mein Retter umarmte mich und flüsterte mir zu: ›Abu Hassan, nach dem du riefst, wurde von hier nach Taima verschleppt. Wir sind Gefährten derselben Bruderschaft, zu der auch du durch dein Bündnis mit Abu Hassan jetzt gehörst. Beeile dich! Rette dich! In Taima frage nach Al-Mirdas! Er wird dir weiterhelfen.‹

Es blieb keine Zeit, um ihm zu danken. Ich dankte aber Gott für die wundersame Rettung, rannte den Berg hinab in den Ort, sattelte mein Pferd, holte meine Waffe aus dem Stroh und galoppierte so schnell davon, wie der felsige Untergrund der Pilgerstraße es zuließ.

Ich hatte mich in Tabuk viel zu lange aufgehalten, um nach dem Verbleib von Abu Hassan zu forschen. Auf der Straße nach Taima bewegten sich lange Pilgerzüge in die Richtung von Medina. Ich wagte nicht, sie zu überholen, weil ich fürchtete, dass man mich als Christ entlarven würde. Ich wollte diese Anhänger eures Propheten nicht in ihrem Glauben verletzen. Zur Vorsicht hatte ich mich aber in lange weiße Gewänder gehüllt, wie sie die Pilger trugen.

Der Zug bewegte sich unendlich langsam voran, weil auch viele Frauen mit ihren Kindern an der Pilgerfahrt teilnahmen. Schließlich verlor ich nicht nur die Geduld, sondern vor allem fürchtete ich, dass ich zu spät kommen könnte, um Abu Hassan vor seinen Feinden zu retten. Ich versetzte mein Pferd in eine schnellere Gangart und galoppierte eilig an der Pilgergruppe vorbei. Was ich nicht bedacht hatte, war die riesige Staubwolke, die ich bei diesem Ritt verursachte, sodass die Pilger vom Sand der Straße eingehüllt wurden. Ein Protestschrei erhob sich. Für mich gab es aber kein Zurück.

Soeben hatte ich die Vorhut einer festlich gekleideten Gruppe auf geschmückten Pferden hinter mir gelassen, als ich den Hufschlag einiger Reiter hörte. Einer überholte mich und versperrte mir den Weg. Ein anderer rückte dicht von hinten auf, und zwei weitere bedrängten mich von den Seiten.