»Eben dreht er ab!«, unterbrach Uthman. Beide atmeten auf. Es war offenbar doch nur ein einfacher Kaufmann auf dem Weg nach Spanien gewesen.
Jetzt kam der Kapitän des Schiffes, der sich bis dahin sehr wortkarg gezeigt hatte, auf Henri und Uthman zu. Vielleicht hatte es ihm gefallen, dass seine beiden Gäste sich für die schwierige Navigation einer Kogge interessiert hatten, vielleicht aber war er nur erleichtert und befreit, weil er ebenfalls keine französischen Soldaten in seiner Nähe wünschte.
»Darf ich Euch einladen, meine Herren, die Kogge zu besichtigen, meine Befugnisse und die Arbeit der Seeleute kennen zu lernen?«, fragte er freundlich.
Henri nahm dieses Angebot gerne an. Vielleicht könnte sich die Kenntnis des Schiffes während der Überfahrt noch als sehr wichtig erweisen, falls ein Unwetter die Kogge und ihre Besatzung in unerwartete Schwierigkeiten bringen würde.
Obwohl Henri von einer unerklärlichen Unruhe befallen wurde, gab er Uthman ein Zeichen, das Angebot des Kapitäns anzunehmen. Beide erhoben sich von den hölzernen Planken und folgten dem Herrn des Schiffes.
2
Sie merkten gleich, dass der Kapitän außerordentlich stolz auf seine Kogge war. Er pries die geräumigen Deckaufbauten, den zwanzig Meter hohen Mast und die Segelfläche von zweitausend Quadratfuß. Aber, wie sich bald herausstellte, war das nur eine Einführung, um sie gleich darauf mit einigen unangenehmen Begleiterscheinungen bekannt zu machen.
»Ich hoffe, dass Ihr mit Eurer Unterkunft in den Aufbauten zufrieden seid, meine Herren. Eine kleine Einschränkung ist allerdings vonnöten, weil das Deck wasserdurchlässig sein muss, damit sich kein schweres Gewicht auf der geneigten Deckfläche sammelt. Das würde die Kogge nämlich zum Kentern bringen. Manchmal muss jedoch das Wasser aus dem Rumpf herausgepumpt werden, wenn sich allzu viel Wasser in der Bolde gesammelt hat.«
Die beiden nickten zum Zeichen dafür, dass sie für diese Sicherheitsmaßnahme durchaus Verständnis aufbrachten.
»Leider können wir uns auf der Route nach Menorca nicht immer in Küstennähe halten«, erklärte der Kapitän, »um uns eventuell bei einem allzu kräftigen Wind in eine windgeschützte Bucht retten zu können. Das hat aber durchaus auch seine Vorteile. Denn ich kann die Kogge mit ihrem Rahsegel natürlich nicht gegen den Wind kreuzen und sie so aus der Gefahrenzone küstennaher Klippen steuern. Bei größerer Entfernung von der Küste ist die Gefahr weitgehend gebannt, auf irgendwelchen Klippen zu zerschellen.«
»Gut zu wissen«, murmelte Uthman spöttisch vor sich hin.
Henri versuchte vergeblich, eine Erinnerung an das prachtvolle Schiff der Templer zu verdrängen. Sie hatten es von den Genuesern erworben und einem Ordensbruder namens Roger von Flor anvertraut. Diesen Roger sah man schon in seiner frühesten Jugend als einen der besten Seeleute der Welt an. Als Akkon verloren ging, befand er sich gerade dort im Hafen. Neider beschuldigten ihn später beim Großmeister, er habe sich nach dem Fall von Akkon gewaltige Schätze zusammengerafft. Aber das war eine Verleumdung. Roger war darüber so verbittert, dass er abtakelte und nach Genua ging.
Dem Kapitän war nicht entgangen, dass Henri mit seinen Gedanken abgeschweift war. »Schenkt mir bitte noch einen Augenblick Eure Aufmerksamkeit! Ich muss noch einige Kleinigkeiten erwähnen, die ich für wichtig halte.«
Trotz der höflichen Stimme erfasste Henri die böse Vorahnung, dass der Kapitän erst am Schluss seiner Rede mit der größten Gefahr herausrücken würde. Seine Ahnung trog ihn nicht.
Der Kapitän, mit dem klangvollen Namen Ernesto di Vidalcosta, räusperte sich mehrmals, ehe er sie mit einer Gefahr bekannt machte, die sie nicht unterschätzen sollten.
»Das Mittelmeer wird immer noch von Piraten heimgesucht. Dabei richten sich die Attacken der Seeräuber hauptsächlich gegen Handelsschiffe, weil sie es auf deren Ladung abgesehen haben. Leider gehören auch wir zu diesem Schiffstyp. Wir sind jedoch nicht ganz schutzlos. Zu unserer Mannschaft gehören zehn Matrosen. Zusätzlich sind auf einer der obersten Aufbauten Männer postiert, die mit der Waffe umzugehen verstehen.« Er sah die beiden an, als ob er eine Antwort erwartete. Als Henri und Uthman schwiegen, räusperte er sich noch einmal kräftig und sagte dann mit einem verlegenen Lächeln: »Mir ist so, als ob ich auch bei Euch Waffen gesehen hätte.«
Er hatte also ihr Gepäck kontrolliert. Diese Entdeckung verursachte den beiden ein unangenehmes Gefühl. Ernesto di Vidalcosta wollte die Stille möglichst schnell überbrücken und fuhr in seinen Ausführungen fort. »Der Kapitän entscheidet nicht nur über den Zeitpunkt des Aussegelns und Anlaufens eines Hafens sowie über notwendige Reparaturen, sondern er ist zudem der unumschränkte Herr an Bord. Ich muss Euch also bitten, meine Herren, in jedem Belange meinen Anordnungen zu gehorchen.«
»Für den Fall eines Sturmes sehe ich das durchaus ein. Denn wir kennen uns in der Schifffahrt nicht aus«, gab Uthman zu. »Was nun aber einen Überfall durch Piraten betrifft, so sind wir es gewohnt, uns selbst zu verteidigen. In diesem Fall zählen wir uns nicht zu Eurer Mannschaft.«
Der Kapitän konnte seinen Unmut nicht verbergen. »Ein solche Ausnahme kann ich zu Eurer eigenen Sicherheit nicht dulden. Ich bin ein erfahrener Seemann und habe so manchen Angriff der Piraten abgewehrt. Mit Eurer eigenen Verteidigung könntet Ihr mein Schiff und die gesamte Besatzung ins Verderben stürzen. Guten Morgen, meine Herren!«
Die Unterweisung war beendet. Uthmans erster Gang führte ihn in ihre Unterkunft. Die Waffen waren unberührt. Dennoch steckte er sich seinen Damaszenerdolch in den Gürtel. »Irgendetwas gefällt mir nicht«, gab er zu bedenken. »Wäre es vielleicht nicht sogar möglich, dass der Kapitän gemeinsame Sache mit den Piraten macht? Er verkauft seine Ladung, übergibt vielleicht sogar sein Schiff mit der Besatzung.«
Henri überlegte eine Weile. Er traf niemals Entscheidungen, bevor er nicht das Für und Wider sorgsam bedacht hatte. »Deine Sorge ist durchaus begründet. Aber welche Ladung? Es gibt keine für unsere Überfahrt nach Menorca. Eine Ladung ist erst für die Rückfahrt vorgesehen. Der Bestimmungsort ist Ciutadella, dessen Hafen am westlichsten Punkt der Insel gelegen ist. Angeblich will er dort Fässer mit Olivenöl laden.« Henri blickte Uthman nachdenklich an. »Aber wir sollten wieder an Deck gehen!«, sagte er dann.
Uthman beugte sich zu ihm hinab und sah sich nach allen Seiten um. »Es gibt also nur einen Grund, sich den Piraten zu ergeben«, flüsterte er leise. »Das sind wir. Der Kapitän kann niemals verlieren. Entweder erpresst er von uns ein Schutzgeld, oder er übergibt uns den Seeräubern, die uns als Sklaven auf dem Markt feilbieten. Ich jedenfalls werde meine Haut so teuer wie möglich verkaufen.«
Henri hob beschwichtigend die Hände. »Ich schlage vor, dass wir zunächst den drei Wachen einen Besuch abstatten. Wir spielen die Unwissenden und versuchen, sie mit Fangfragen auszuhorchen. Ein zu schnelles und ungestümes Vorgehen kann uns nur schaden.«
»Wie immer hast du Recht«, gab Uthman zu. »Wie hast du dir diese Fragen gedacht?«
»Welchen Eindruck sie auch immer auf uns machen, selbst wenn sie auf uns wie rechte Galgenvögel wirken, wir werden sie als erfahrene Seemänner bewundern. Dann versuchen wir, sie in ein Gespräch über Piraten zu verwickeln. Vielleicht gelingt es sogar, dass sie uns, um Eindruck zu machen, ihre Bewaffnung vorführen.«
»Dein Plan ist gut«, lobte Uthman. »Es wäre natürlich am besten, wenn sie uns über erfolgreich bestandene Kämpfe mit den Piraten berichten würden. Vielleicht aber zählen sie ja selber unter die Seeräuber und sind als Verräter an Bord untergebracht.«
»Lege dich entspannt auf die Planken«, sagte Henri leise. »Ernesto beobachtet uns. Wir müssen unseren Besuch bei den Wachen auf später verschieben.«