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Oben auf Deck ertönten die Befehle des Piratenhauptmanns. Das Schiff erzitterte, als die schweren Kisten abgeladen wurden. Hammer- und Beilschläge ertönten. Obwohl Valentino von der Notwendigkeit einer schnellen Abfahrt gesprochen hatte, ließ er die Kisten öffnen.

»Wenn die Kisten leer oder mit Plunder gefüllt gewesen wären, hätte er sie sogleich über Bord geworfen. Mit Ballast gibt er sich nicht ab«, bemerkte Henri.

»Und uns wahrscheinlich dazu!«, gab Uthman seiner Befürchtung Ausdruck.

Henri und Uthman waren inzwischen lange genug auf See, um die Geräusche des Absegelns zu erkennen. An den Bordwänden rauschten die Wellen entlang, und über ihnen war das Knattern der Segel zu hören, die jetzt vom Wind ergriffen wurden.

»Wir haben die Bucht verlassen«, stellte Uthman sachkundig fest. »Hast du irgendwelche Rufe unserer Besatzungsmitglieder gehört?«

»Nicht den leisesten Ton. Falls sie aus dem Inneren zur Küste zurückgekehrt sein sollten, werden sie sich gehütet haben, sich irgendwie bemerkbar zu machen.«

»Der Anblick des Kapitäns mit seinem gespaltenen Kopf war furchtbar.« Uthman seufzte. »Hoffentlich werden wir nicht ebenso aussehen. Mir kommen langsam Zweifel, ob man Brunella wirklich trauen konnte.«

»Über vergossene Milch soll man nicht jammern«, mahnte Henri. Er hatte einen Laut vor der hölzernen Tür gehört, die jetzt geöffnet wurde. Im Türrahmen stand Valentino. »Ihr habt nicht gelogen. Das rettet euch das Leben. Aber losbinden kann ich euch nicht, obwohl meine Braut für euch ein gutes Wort eingelegt hat. Wo kommen wir hin, wenn wir den Bitten eines Weibes nachgeben! Bei uns ist das nicht üblich. Ich habe sie in meine Unterkunft geschickt. Dort wird sie warten, bis ich zu ihr komme und das von ihr verlange, was eine Frau ihrem Mann geben muss.«

Henri spürte an den Bewegungen der Fesseln, dass Uthman wütend an dem Seil riss, mit dem sie zusammengebunden waren. Er versuchte, die Situation zu entschärfen. »Wie lange müssen wir in diesem Zustand ausharren?«

Valentino weigerte sich nicht, eine ausführliche Antwort zu geben. »Es ist bei uns Brauch, die Beute zu teilen. Sobald wir in unserem Versteck auf einer der Pityusen sind, wird das geschehen. Aber auch über das Schicksal von Gefangenen wird am Ende eines Beutezugs entschieden. Solange müsst Ihr Euch gedulden.«

Er verließ die finstere Kammer. Von draußen ertönten Jubelrufe. Die Beute war reichhaltiger, als die Seeräuber erwartet hatten.

»Vielleicht stimmt sie das friedlich, und sie bringen uns etwas zu essen«, hoffte Uthman. »Wenn sie auch die Kochkombüse geplündert haben, fällt unter Umständen auch für uns etwas ab.«

»Si deo placet – wenn es Gott gefällt«, fügte Henri hinzu.

Er dachte darüber nach, was Valentino über die Frauen gesagt hatte. Für ihn hatte es sehr verächtlich geklungen. Zwar wurden auch in den Templerorden keine Frauen aufgenommen, sondern nur Männer in waffenfähigem Alter. Oder Knaben, deren Erziehung im Orden vervollständigt werden sollte. Auch musste der Templer bei der Aufnahme in den Orden sich zur Keuschheit verpflichten. Dennoch wurden die Frauen geachtet. In der Bulle Militia Dei war es dem Orden ausdrücklich gestattet worden, in ihren Templerkirchen auch die Gemeindemitglieder und ihre Familien zum Gottesdienst zuzulassen.

Henri gelang es nicht, die Gedanken an Leila, die Schwester Uthmans, zu verscheuchen. Er hatte sie geliebt, aber ohne den Wunsch, ihren Körper zu besitzen. Seine Liebe zu diesem Mädchen war so, wie die Minnesänger die reinen Gefühle beschrieben. Sie hoben die Frau auf ein Podest und erniedrigten sie nicht zu einem Objekt, das ihrer Lust zu dienen hatte.

Er wollte Uthman nicht an seine Schwester erinnern, die von ihrem Vater an den reichen Besitzer einer Karawanserei verheiratet worden war. Darum brachte er das Gespräch auf ihre augenblicklichen Schwierigkeiten. »Unsere Lage hat sich verschlechtert. Soll ich dich mit der Fortsetzung meiner Geschichte auf andere Gedanken bringen?«

»Wenn es dir gelungen ist, Abu Hassan zu befreien, wäre das ein Lichtblick«, sagte Uthman. »Also lege los!«

Henri versuchte, sich in dieser feuchten dunklen Kammer auf den heißen Pilgerweg zurückzuversetzen.

»Ich war zornig«, begann er die Fortsetzung seiner Geschichte. »Aber der Zorn ist kein guter Wegbegleiter. Denn ich ritt am Schluss des Zuges und hatte nichts anderes im Sinn, als den Emir und sein Gefolge zu überholen. So kam es, dass ich den Weg nach Taima verfehlte. Als sich mir nämlich zur linken Hand ein Weg eröffnete, sah ich ihn als eine Möglichkeit an, schneller als der Pilgerzug mein Ziel zu erreichen. Aber ich landete in der Wüste Nefud. Jemand hat einmal zu mir gesagt, dass die Wüste weit und flehend ausgebreitet daläge wie ein endloses Gebet zu Gottes Barmherzigkeit. Aber zunächst konnte ich diese Gedanken nicht verstehen. Mir kam es eher so vor, dass der Teufel, in seiner Wut über seine Verstoßung aus dem Himmel, in diese rote Sandwüste Trümmerbrocken und zerstampfte Felsmassen geschmissen habe. Wenn ich durch meinen Zorn und die Rachegedanken gesündigt hatte, so habe ich das durch meine einsamen Tage in der Wüste gebüßt. Der Wüstenwind trieb mir glühend heiße Sandwolken entgegen. Gegen die eisige Kälte der Nacht hatte ich keinen anderen Schutz als meine Satteldecke. Der Himmel senkte sich wie flüssiges Blei auf mich herab. Zwischen dem Horizont und der endlosen Weite der Wüste verschwamm die Trennungslinie. Meine Sinne versagten, und meine Tatkraft hatte mich verlassen. Zuletzt fühlte ich nicht einmal mehr meinen Körper.«

Uthman legte seine Hand auf die Schulter seines Freundes. »Das ist Dschahannam – die Hölle –, die du da beschreibst.«

»Ich verfiel Trugbildern, bewegte mich in einer gestaltlosen Welt vorwärts. Die flirrende Luft der Wüste gaukelte mir das vor, das ich mir am meisten wünschte: Wasser für mein Pferd und mich. Diese Fata Morgana weckte noch einmal meine Hoffnung. Ich glaubte, in nicht zu weiter Ferne eine Oase zu sehen. Als ich meinen Irrtum erkannte, brach ich endgültig zusammen. Das Letzte, was ich vernahm, war das leise Rieseln einer Sanddüne, die im Wind zu wandern begann. Meine gestörte Sinneswahrnehmung empfand diesen Ton wie ein verhaltenes Tönen einer weit entfernten Glocke, die mich zum Gebet rief. Weißt du, was die Beduinen zu diesem Zustand sagen? Nein, wie solltest du auch? Sie nennen es das Flüstern der Engel.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich im Flimmern der Sonnenstrahlen merkwürdige Gestalten. Sie wirkten wie zerschnitten. Ihre Gesichter schwebten neben ihren Leibern, so als ob diese Körper aus zwei verschiedenen Hälften bestünden. Jemand benetzte meine Lippen mit einigen Tropfen Wasser, die ich gierig aufsaugen wollte. Aber sie verdunsteten schon auf meinen rissigen Lippen. Ich spürte, wie man mich in einen Sattel hob. Ein starker Arm umfasste mich, damit ich bei dem wiegenden Gang eines Kamels nicht den Halt verlor.«

»Wer hat dich vor dem Tod in der Wüste errettet?«, fragte Uthman. »Vielleicht einige Pilger, die von Norden kamen?«

»Nein, es waren Beduinen, denen ich mein Leben verdankte. Ich weiß nicht, wie viele Tage ich in einem ihrer Zelte verbrachte. Frauen versorgten mich, flößten mir Getränke ein und fütterten mich, weil ich zu schwach war, eine Essensschale zu halten. Damals habe ich gelernt, die Hilfe und das Mitleid der Frauen zu achten. Als ich eines Morgens zum ersten Mal den Ruf hörte: Haï alas Salah; Allah akbar; la llaha il Allah – Auf zum Gebet; Gott ist groß; es gibt keinen Gott außer Gott –, da fand auch ich endlich wieder zum Gebet. Glaube mir, Uthman, dass ich gerne in das Gebet der Beduinen mit einstimmte. Denn durch ihre Barmherzigkeit hatte ich gelernt, dass es für uns alle nur einen Gott gibt.«

Henri schwieg. Denn auf Deck waren Schritte zu hören, die sich ihrer Kammer näherten. Die Tür wurde aufgestoßen, und ein Mann trat ein. Er trug einen Wassereimer, der bei jedem seiner heftigen Bewegungen überschwappte und den engen Raum unter Wasser setzte. Nachdem er den Eimer abgesetzt hatte, lockerte er den Gefangenen die Fesseln, stellte zwei Blechbecher neben den Eimer und legte ein paar Zwiebäcke hinzu, über die sich sogleich die Kakerlaken hermachten.