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»Wo bringt Ihr uns hin?«, fragte Henri, während Uthman versuchte, mit den Füßen ein paar Kakerlaken zu erreichen und totzutreten. Der Seeräuber schüttelte den Kopf. Entweder hatte er Henri nicht verstanden, oder es war ihm verboten worden, den Gefangenen Auskunft zu erteilen. Er verschwand wieder, ohne ein Wort von sich gegeben zu haben.

»Eine so höfliche Frage versteht so ein Mistkerl nicht!«, sagte Uthman wütend. »Man muss solchen Leuten eins aufs Maul geben und ihnen ein paar Zähne ausschlagen. Vielleicht klappt es dann mit der Verständigung.«

Henri reichte ihm einen Becher und entriss den Kakerlaken ein paar Brocken der Zwiebäcke. »Iss und trink, wenn du hungrig und durstig bist! In Aleppo, im Haus deines Vaters, pflegte man allerdings andere Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Aber dafür gab es dann zum Vorgericht auch manchmal eine Bastonade, während man uns hier noch nicht geschlagen hat.«

»Was nicht ist, kann noch werden«, brummte Uthman.

Gegen Abend öffnete sich abermals die Tür. Valentino erschien und sah wütend auf sie herab. »Seid froh, dass Ihr eine so hartnäckige Fürsprecherin habt. Brunella hat sich geweigert, meine allerdings manchmal – wie soll ich sagen? – ausgefallenen Wünsche zu erfüllen, bevor ich Euch nicht befreit und an Deck gelassen habe.« Er zog ein Messer hervor und schnitt die Fesseln durch. »Los! Auf! Begebt Euch zum Bug, wo ich Euch unter Kontrolle halten kann. Falls uns ein fremdes Schiff begegnet, legt Euch augenblicklich flach zu Boden! Wenn Euch das Leben lieb ist, lasst Euch nicht einfallen, irgendwelche Signale zu geben!« Er versetzte ihnen ein paar kräftige Tritte in die von ihm gewünschte Richtung, sodass die beiden auf den Knien im Vorderbug landeten. Valentino schenkte ihnen keinen Blick mehr.

»Sieh mal, die Piraten haben die Segel gewechselt«, sagte Henri und wies auf das leuchtend blaue Tuch.

»Auch die verräterische Piratenflagge mit dem Totenkopf haben sie eingezogen«, bemerkte Uthman.

»Ja, wenn mich nicht alles täuscht, ist dies jetzt die Flagge in den Farben von Mallorca. Valentino ist wirklich ein sehr schlauer Bursche. So wird niemand Verdacht schöpfen.«

»Hast du schon gesehen, wer oben im Mastkorb sitzt?«, fragte Uthman, der seine Augen überall herumwandern ließ. »Es ist Brunella, die uns sogar zuwinkt.«

Aber auch Valentino musste bemerkt haben, was seine Braut dort oben trieb.

»Komm herunter, du Miststück!«, rief er ziemlich unfreundlich. »Hier sitzen wohlbehalten deine Freunde. Jetzt erfülle auch du deinen Teil unserer Abmachung!«

Brunella kam an dem Mast herabgerutscht, geradewegs in die Arme von Valentino. Entgegen seiner groben Anrede fing er sie sanft auf. Er nahm sie an der Hand und brauchte keinerlei Gewalt, um sie wegzuführen. »Komm, mein Schatz! Wir werden uns im Achtersteven niederlassen.« Er legte einen Arm um ihre Taille, und es machte nicht den Eindruck, als ob Brunella etwas dagegen hätte.

»Merkwürdig, diese Piratenbräute!«, meinte Uthman. »Sie haben anscheinend doch größeren Einfluss, als ich angenommen hatte. Eine arabische Frau hätte niemals bestimmen dürfen, ob ein Gefangener befreit werden solle oder nicht. Ihr Gebieter hätte sie mit Prügeln zur Räson gebracht, und das sogar mit Billigung des Propheten.«

Henri streckte die Beine aus, die während der langen Zeit in den Fesseln gefühllos geworden waren. Er blickte zum Himmel, an dem sich die ersten Sterne zeigten. »So lässt es sich aushalten. Ich hoffe nur, dass man uns nicht zwingt, eine Unterkunft aufzusuchen, wo uns Ratten und Flöhe anfallen.«

Uthman ließ sich seufzend neben ihm nieder. »Wenn ich an das grauenvolle Ende unseres Kapitäns Ernesto di Vidalcosta denke, dann haben wir doch bei weitem das bessere Los erwischt. Alhamdu lillah – Gott sei Dank! Wie wäre es, wenn du mir jetzt von deiner wundersamen Errettung aus der Wüste weiter erzähltest?«

15

»Der Anblick des Sternenzeltes eignet sich recht gut, um über meinen weiteren Aufenthalt bei den Beduinen zu erzählen«, begann Henri seine abenteuerliche Geschichte. »Als es mir nämlich besser ging, verließ ich nachts das Zelt und legte mich zum Schlafen nach draußen. Wie die Beduinen hüllte ich mich in eine Decke. Aber während sie schliefen, habe ich die Pracht der Sterne bewundert, die über der Wüste heller und strahlender blinken als sonst wo auf der Welt. Ich musste daran denken, dass dieses Firmament in seiner Pracht den Menschen immer noch Ruhe und Frieden schenken wird, wenn mein kurzes Leben längst vorüber ist. Mehr als die kräftigende Kamelmilch und das Brot aus Hirse, die spärlich zwischen den Felsen wuchs, gab mir diese nächtliche Sternenwelt meine alte Widerstandskraft zurück. Beinahe widerwillig dachte ich an meine Pflichten, die auf mich warteten.

Auch mein Pferd hatte sich inzwischen erholt. Es gab keinen Grund mehr, länger am Leben der Beduinen teilzunehmen. Sie spürten meine Unruhe und führten eines Tages in der noch kühlen Morgenstunde mein Pferd gesattelt vor das Zelt. Einige Männer hatten sich eingefunden und lächelten mir aufmunternd zu. Ich verstand, dass sie mich begleiten wollten. An meinem Sattel hingen mehrere Wasserflaschen. Sie hatten für alles gesorgt. Ich wusste nicht, wie ich ihnen danken sollte. Aber sie erwarteten gar keinen Dank. Die Wüste hatte sie dazu erzogen, dass einer für den anderen da sein müsse, ohne Gegendienste zu erwarten.

Wir ritten viele Tage durch Sand und Felsen, bis wir eines Abends die Pilgerstraße wieder erreicht hatten.

Aber nicht dort, wo ich abgebogen war, sondern am Ortseingang von Taima. Ein letztes Mal legte ich mich mit den anderen in meiner Beduinendecke zur Ruhe. Als ich aufwachte, waren meine Begleiter verschwunden. In der Ferne hörte ich den Ruf des Muezzins, der zum Gebet rief. Der erste Sonnenstrahl hatte die oberste Balustrade des Minaretts erreicht und mahnte mich zum Aufbruch. Einen Atemzug lang musste ich mich darauf besinnen, was mich denn eigentlich nach Taima geführt hatte. Ich sehnte mich nach der Ruhe der Wüste zurück.«

»Aber Henri«, sagte Uthman verwundert. »So kenne ich dich ja gar nicht. Kann die Wüste wirklich einen Menschen so verändern?«

»Bis zu einem gewissen Grade schon. Aber die Wirklichkeit holte mich schnell zurück. Taima liegt an einer Handelsstraße, die Mekka und Damaskus miteinander verbindet, so dass Taima Händlern und Pilgern in gleicher Weise als Treffpunkt dient. Durch die engen Straßen wälzte sich eine Menschenmenge, die fast kein Durchkommen zuließ. Aber während ich noch auf der Suche nach einer Gasse war, die vielleicht zum Hauptplatz führte, wurde die Menge plötzlich nach hinten zurückgedrängt. Ich konnte zunächst nicht feststellen, was denn die Ursache dieser Flucht nach hinten war. Aber dann geriet ich selbst in diesen Stau.

Soldaten auf Pferden, die immer wieder scheuten und mit der Peitsche vorangetrieben werden mussten, drängten rücksichtslos die Menge zurück. Wer nicht schnell genug ausweichen konnte, geriet erbarmungslos unter die Hufe. Und wer etwa versuchte, sich den Soldaten entgegenzustellen, wurde niedergeknüppelt.

In dem allgemeinen Geschrei konnte ich zunächst nicht die Befehle der Soldaten verstehen. Aber dann gellte es mir in den Ohren: ›Platz da, Ihr nichtsnutziges Gewürm! Der Emir kommt! Macht Platz für Euren Herrscher!‹

Es gelang mir endlich, mich hinter einer Mauer in Sicherheit zu bringen. Der Emir war also noch immer in der Stadt, während ich ihn längst in seinem Palast an der Weihrauchstraße wähnte. Was hielt ihn hier auf? Ich glaubte nicht an eine Krankheit. Vielleicht wartete er auf einen Boten, der ihm eine wichtige Nachricht überbringen sollte. Vielleicht aber ließ er die Burg von Taima beobachten, wo angeblich Abu Hassan eingekerkert sein sollte. Eine vage Hoffnung befiel mich, dass ihn Zweifel an der Zeugenaussage seiner Hofbeamten ergriffen hatten und er der Wahrheit auf den Grund gehen wollte. Andererseits war es aber auch möglich, dass die Hinrichtung meines Bündnisbruders bevorstand, und zwar zur Abschreckung in aller Öffentlichkeit. Die Teilnahme an solch einem Schauspiel konnte sich schon herumgesprochen haben. Darum hielten sich all diese Menschen noch in Taima auf.«