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»Aber doch nicht als Sklave!«, rief Uthman entsetzt. »Auch als freier Mann war es dir nicht verwehrt, dem Emir zu folgen und ihm nützlich zu sein.«

»Genau das dachte ich auch, als das helle Licht der Morgensonne auf mein Lager schien. Nächtliche Gedanken sind wie Chimären, die einen bedrücken, als ob sie sich auf einem niedergelassen hätten. Bei Tageslicht sieht alles anders aus.

Ich hörte das Signal eines Horns und eilte nach draußen. Der Emir erwartete mich im Burghof. Sein Gefolge war schon abmarschbereit. ›Wenn du mit mir zu meinem Palast an der Weihrauchstraße ziehen willst, so bist du mir willkommen. Aber schlage dir aus dem Sinn, dass du Abu Hassan gegen meinen Willen befreien kannst!‹

Seit meinem Sieg über Nadjm Ghazi fühlte ich mich ihm überlegen. Das war vielleicht ein Fehler. Zwar folgte ich ihm als freier Mann, aber die Befehle gab immer noch der Emir.

›Ich sehe dir an, dass du immer noch daran denkst, Abu Hassan aus seinem Verlies zu befreien. Aber die Festung, in der ich ihn einkerkern ließ, steht so hoch auf einem Berg, dass die Türme auf dem Gipfel sich zwischen den Wolken verlieren. Wenn sich die Wolken nicht verziehen, sind die Gebäude auf dem Berg nicht zu sehen. Noch nie ist es jemandem gelungen, einen Gefangenen aus dieser Festung zu befreien.‹

Er setzte sich an die Spitze des Zuges und wies mir mit einem herrischen Wink einen Platz in seinem Gefolge an. Der Zauber der Nacht war verflogen.«

»Was ist los mit euch?«, ertönte unversehens eine helle Mädchenstimme. »Ihr seht so aus, als ob ihr die ganze Nacht nicht geschlafen hättet!« Mit diesem Ausruf holte Brunella die beiden auf dem Piratenschiff in die Wirklichkeit zurück. »Seht euch um! Die anderen Seeleute haben alle schon ihren nächtlichen Lagerplatz verlassen. Nur unser Schiffsjunge, der faule Strick, liegt noch zusammengerollt unter dem Mast. Aber ich werde ihn sogleich wecken, ehe Valentino ihm Beine macht.« Sie entfernte sich lachend und gab dem Jungen einen leichten Tritt.

»Schlaft in der kommenden Nacht nicht wieder ein!«, rief sie noch mahnend Henri und Uthman zu. »Denn wir nähern uns den Pityusen. Wer nicht rechtzeitig an Land geht, wird beim Verteilen der Beute übergangen. Das wollt ihr doch sicher nicht.« Sie lachte vergnügt.

Uthman erhob sich und tat so, als ob er sie ergreifen wolle. »Wir selbst sind doch eure Beute!«, rief er. »Ich hoffe, dass ich dir zugeteilt werde.«

»Das wünsche dir besser nicht!«, gab Brunella ernsthaft zur Antwort. »Ich pflege mit meiner Beute ziemlich ruppig umzugehen. Du wirst dich wundern.« Ihr Gelächter klang nicht sehr verheißungsvoll.

»Lieber werde ich von einem Emir versklavt als von einer Frau«, gab Henri sein Urteil ab.

»Da kann ich dir in keiner Weise zustimmen«, erwiderte Uthman. »Denn dem Emir ist es gestattet, Sklaven verprügeln zu lassen, wann es ihm beliebt. Die Versklavung eines Mannes durch eine Frau gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Es verhält sich doch so, dass der Mann seine Frau schlagen darf, wenn sie ihm nicht gehorcht, und zwar auch bei dem unsinnigsten Befehl.«

»Da mag es wohl am besten sein«, erwiderte Henri mit deutlicher Missbilligung in seinen Zügen, »wenn ihr von der Erlaubnis Gebrauch macht, die in eurem heiligen Buch, dem Koran, erwähnt wird. Bis zu vier Frauen dürft ihr heiraten. Irgendeine von den vieren wird schon euren Befehlen gehorchen.«

Uthman wusste, dass Henri die Sure An-Nisa, die Sure von den Frauen, meinte. Im dritten Zeichen stand da: »Und wenn ihr fürchtet, ihr würdet nicht gerecht gegen die Waisen handeln, dann heiratet Frauen, die euch genehm dünken, zwei oder drei oder vier; und wenn ihr fürchtet, ihr könnt nicht billig handeln, dann heiratet nur eine oder was eure Rechte besitzt. Also könnt ihr das Unrecht eher vermeiden.«

»Mach dich nicht über mich lustig!«, rief der Sarazene dann mit gespielter Entrüstung. »Zudem mache ich mich stark, bei Gelegenheit alle vier zu verprügeln. Es gibt ja auch noch die Möglichkeit, seine Frauen zu verstoßen, falls sie nicht dazu fähig sind, einem Mann das vorweggenommene Paradies zu schenken. Der Sohn von Ali war ein minkah. Er hatte mehr als 200 Frauen. Manchmal heiratete er vier Frauen auf einmal und entließ dafür vier andere. Von Al-Mughira behauptet man, dass er außer seinen achtzig Ehefrauen noch sechzig Sklavinnen gehabt hätte, die ihn in das vorweggenommene Paradies führen sollten.«

»Ich hatte bisher von eurem Paradies eine andere Vorstellung«, wandte Henri ein.

»Zwei Geistliche haben es so beschrieben, dass unser Paradies ein riesiger Garten mit acht Toren aus massivem Gold ist, die mit erlesensten Edelsteinen verziert sind. Zwischen den acht Häusern des Paradieses, die man diyar nennt, fließen Bäche mit klarem Wasser, Honig, Milch und Wein. Die Bäume des Paradieses sind von ewigem Grün. Auch die Nahrung ist immerwährend. Aber das Verlockendste sind die Huris, schöne, schwarzäugige Jungfrauen, deren Begabung, einen Mann zu beglücken, ich dir nicht beschreiben will. Aber vielleicht verstehst du jetzt, was ich mit dem vorweggenommenen Paradies meine.«

»Ja, ich habe dich durchaus verstanden, aber ich ziehe unser christliches Paradies vor.«

Henri dachte weniger an ein Paradies als vielmehr an die nahe Zukunft. »Ich wage nicht zu hoffen, dass die Pityusen für uns ein Paradies sein werden. Sie scheinen eine Zufluchtsinsel für unsere Piraten zu sein. Irgendwann werden sie sicher zu neuen Beutezügen aufbrechen. Aber was wird dann aus uns? Lassen sie uns in der Einsamkeit zurück, oder geben sie uns die Möglichkeit, irgendein Festland zu erreichen?«

»Vielleicht verlangen sie von uns unter Drohungen, dass wir an ihren Beutezügen teilnehmen. Dann haben wir zwei Auswege, die mir beide nicht gefallen. Entweder wir machen mit, werden von der Obrigkeit gefangen genommen und als Piraten aufgeknüpft, oder wir weigern uns und baumeln schon auf den Pityusen am nächsten Baum.«

»Wenn ich daran denke, lieber Freund, was wir alles zusammen durchgemacht haben, muss ich über deine düsteren Prophezeiungen staunen«, wunderte sich Henri.

Uthman reichte seinem Freund die Hand. »Verzeih mir! Ich schäme mich meiner dunklen Stimmung. Aber ich fühle mich nicht mutlos, sondern bin eher verärgert, dass wir in diese Schwierigkeiten geraten sind.«

16

»Schiff in Sicht!«, rief der Junge aus dem Mastkorb. Valentino war augenblicklich zur Stelle. »Es handelt sich um ein Frachtschiff«, stellte er fest. »Es könnte uns fette Beute verschaffen. Aber wir werden darauf verzichten, es zu entern. Man weiß nie, wie so ein Kampf ausgeht. Ich will unsere erbeuteten Silberkisten nicht in Gefahr bringen.« Er wandte sich zu Henri und Uthman um. »Habe ich nicht befohlen, dass Ihr Euch beim Nahen eines Schiffes hinter der Bordwand auf dem Deck flach hinlegt? Ihr wollt wohl wieder in der Gerätekammer eingeschlossen und gefesselt werden?«

Henri und Uthman beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. Sie wussten, dass ihnen keine andere Wahl blieb. Uthman hob noch einmal den Kopf zu einer trotzigen Entgegnung. »Wir haben gar nicht im Sinn, uns irgendwie bemerkbar zu machen. Uns gefällt es auf deinem Piratenschiff sehr gut.« Valentino gab ihm einen Tritt und rief zwei Leute aus seiner Mannschaft.