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»Ich hätte es nicht anders gemacht als du«, sagte Uthman. »In solchen Momenten kann man nur eine gefühlsmäßige Entscheidung treffen. Und die war in diesem Falclass="underline" Wer einen vor dem sicheren Tod bewahrt und gesund gepflegt hat, den darf man nicht ans Messer liefern.«

»Nadjm Ghazi kam völlig verstört aus seinem Zelt getorkelt. Er sah über alle hinweg und starrte mir in die Augen. ›Wo ist meine Qayna‹, flüsterte er mit einer Stimme, die mir Furcht einjagte. Er liebte diese Frau mehr als alles andere. Das erkannte ich in diesem Augenblick. ›Komm mit mir in die Wüste!‹, befahl er. Aber diesmal ging er nicht mit mir allein, sondern ließ sich von einigen seiner treuesten Gefolgsleute begleiten.

Als er zu sprechen begann, war seine Stimme nicht mehr tonlos, sondern klang wie ein nahes Donnergrollen. Er wies mit seiner Rechten auf mich, und ich konnte beobachten, dass seine Hand vor Wut zitterte. ›Dieser Mann hier hat lange in der Wüste gelebt. Er ist ein Freund der Beduinen. Wenn ich beweisen könnte, dass er uns verraten und diesen Überfall angezettelt hat, würde ich ihm an Ort und Stelle die Kehle durchschneiden.‹

Ich war über diesen Verdacht entsetzt und hätte mich beinahe vor ihm auf den Boden geworfen.«

»Ganz abwegig waren seine Gedanken nicht«, gab Uthman zu bedenken. »Du hattest sie tanzen sehen. Der Emir hatte deine Ergriffenheit gespürt. Musste er nicht denken, dass du von deinen Beduinenfreunden diese Frau rauben ließest, um sie für dich alleine zu haben?«

»Wer mich kennt, der müsste wissen, dass ich niemals zu einer so verbrecherischen Tat fähig wäre.«

»Das weiß ich«, bestätigte Uthman. »Aber der Emir kannte dich eben nicht.«

»Ich wusste, dass jede Gegenrede vergeblich war, und senkte den Kopf, um ihn nicht vollends in Rage zu versetzen. ›Holt ihm sein Pferd und gebt ihm auch seine Satteldecke, die ihm unentbehrlich ist, weil die Beduinen sie ihm geschenkt haben. Auch eine Flasche Wasser dürft ihr ihm mit auf den Weg geben. Ich werde ihm aus meinem Schatz einige Goldmünzen zur Verfügung stellen. Denn der Stamm der Badu ist bestechlich.‹

Seine Gefolgsleute murrten. Am liebsten hätten sie mich nackt und ohne Wasser in die Wüste gejagt, den Kojoten zum Fraß. Sie waren erst zufrieden, als Nadjm Ghazi folgende Worte an mich richtete: ›Reite jetzt auf der Stelle los, als ob die Dschinnen hinter dir her wären. Sieh dich nicht um! Denn falls du nicht innerhalb weniger Atemzüge aus meinen Blicken entschwunden bist, werde ich dir mit der Nilpferdpeitsche Beine machen. Wage nicht, Tempelritter, ohne meine Qayna zurückzukehren. Denn dann werde ich dich so langsam zu Tode foltern, wie es bisher noch keiner erleiden musste.‹

Du kannst dir kaum vorstellen, Uthman, wie schnell ich seinem Blickfeld entkommen war.«

»Mir scheint«, warf Uthman ein, »dass die Wüste dein Schicksal war.« Aber Henri gab ihm eine merkwürdige Antwort. »Sie war mein Freund.

Während meines Aufenthaltes bei den Beduinen hatte ich gelernt, auf die Sprache der Wüste zu hören. Du magst über mich lachen! Aber sie wispert und grollt in allen Tonlagen. Ich ahnte im Voraus, wo die Sanddünen in Bewegung gerieten, wo ein Sturm ein Weiterkommen unmöglich machte, wann die Zeit gekommen war, sich mit geschlossenen Augen in die Decke einzuhüllen, um den Sandsturm über sich ergehen zu lassen. Ich wusste auch, wo eine Schlucht den Weg versperrte und wo wasserhaltige Pflanzen ihr kümmerliches Dasein fristeten, aber dennoch einen Verirrten vor dem Verdursten bewahren konnten. Was mir aber diesmal am meisten geholfen hatte, war meine Fähigkeit, in einer Felsenwüste wie der Hamada Spuren lesen zu können.

Mein Ruf, zu einem Freund der Wüste geworden zu sein, eilte mir voraus. Ich traf auf Beduinenzelte und wurde überall freundlich aufgenommen. Manchmal, wenn ich die Armut dieser Menschen erkannte, hinterließ ich ein oder zwei Goldmünzen aus dem Schatz des Emirs.

Nach vier Tagen stieß ich auf etwas, das mich sehr erschreckte. Vom Sand fast zugeweht, entdeckte ich die Hamisa – das wunderschön verzierte Kleidungsstück –, das die Qayna zuletzt getragen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man ihr die Kleider vom Leibe gerissen hatte, um ihr Gewalt anzutun. Weitere Spuren, die auf ein Verbrechen hindeuteten, waren nicht zu sehen. Ich beschleunigte die Gangart meines Pferdes.

Am fünften Abend gelangte ich zu einem verlassenen Rastplatz. Die Asche eines Lagerfeuers war noch warm. Ich untersuchte die Fußspuren im Sand und war mir sicher, dass die Qayna hier ihre zierlichen Fußabdrücke hinterlassen hatte. Mich ergriff eine kaum zu bändigende Unruhe. Darum machte ich in der Nacht noch einmal Rast, um mich zu beruhigen. Wie sollte ich mich verhalten, wenn die Beduinen sich weigerten, die Qayna freizulassen? Was sollte ich tun, wenn man sie geschändet oder verletzt hatte? War es nicht sogar möglich, dass sie sich weigerte, mit mir zu dem Emir zurückzukehren? Als ich ihn kennen gelernt hatte, war er ein jähzorniger Mann. Vielleicht hatte er sie manchmal geschlagen? Zumindest aber hatte er sie fernab von allen anderen Menschen wie eine Gefangene isoliert.

Nach und nach fielen in der Stille der Wüste unter dem gestirnten Firmament alle quälenden Gedanken von mir ab. Ich beeilte mich nicht, die letzte Wegstrecke zügig zurückzulegen. Die Sonne, die tagsüber den Sand zum Glühen gebracht hatte, legte sich langsam hinter den Felsen zur Ruhe. Ein leichter Wind brachte erst Kühlung. Übergangslos brach die Dämmerung herein. Das war die Stunde, in der die Beduinen ihre Feuer entfachten, um darauf das tagsüber spärlich erlegte Wild zu rösten.

Wenig später schon trug der Abendwind ihren Gesang zu mir herüber. Ich versetzte mein Pferd in Galopp, um schneller bei ihnen zu sein, und sah bald meine Freunde als Schatten vor den Flammen des Lagerfeuers.

Auch bei den Templern hatten wir im Heiligen Land abends oftmals gesungen, wenn uns das Heimweh packte. Immer waren diese Lieder wehmütig gewesen. Nach den Niederlagen und dem Verlust fast aller Burgen arteten die Gesänge der Troubadoure sogar in Anklagen gegen Gott aus, von dem sie sich im Stich gelassen fühlten. Ein Templer mit dem Namen Ricaut Bonomel hatte einige Zeit vor meiner Anwesenheit im Heiligen Land Verse gedichtet, die als Ire dolors bekannt geworden waren und immer noch für Zustimmung oder Empörung sorgten. Ich erinnere mich noch genau an meine Entrüstung. Als Sünde empfand ich diese Verse. Wie konnte man den Mut so schnell sinken lassen!

›Zorn und Schmerz haben mein Herz so erfüllt, dass nur wenig fehlt, dass ich mich töte oder das Kreuz aufgebe, das ich nahm zu Ehren dessen, der ans Kreuz geschlagen wurde. Denn weder Kreuz noch Glaube bringen mir Hilfe oder schützen mich.‹

Merkwürdig, dass mir diese Verse einfielen, als die Beduinen ihre abendlichen Gesänge anstimmten. Sie sangen vom Flüstern der Engel, von den ewigen Sternen, von den frischen Gewässern in den Oasen, von den Leben spendenden Quellen zwischen den Felsen, von dem Gaukelspiel einer Fata Morgana, von dem Mond, der den Wanderern den Weg zeigt, und von den schönen Mädchen, die in den Zelten auf die heimkehrenden Männer warten.

Unversehens sah ich sie, die Qayna, die abseits der singenden Beduinen saß und ihr zartes Profil dem Mondlicht zugewandt hatte. Sie war unverschleiert und noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Genau so hatte ich mir als Kind die Jungfrau Maria vorgestellt. Nur das Sternenkleid fehlte, das ich damals für eine unverzichtbare Bekleidung gehalten hatte. Ich ging auf sie zu. Die Beduinen wandten ihre Köpfe und verfolgten in der plötzlich eingetretenen Stille unsere Begegnung. Die Qayna blieb starr sitzen, als ob sie aus Elfenbein geschnitzt sei.

Der Ärger packte mich gegen meinen Willen. Viele Tage war ich durch die Wüste geritten, hatte Hitze und Kälte, Hunger und Durst auf mich genommen, um jetzt wie ein Knecht behandelt zu werden, von dem man nicht einmal Notiz nimmt. Ich wurde fast grob. ›Erinnert Ihr Euch noch an mich? Ihr habt in den Gemächern des Emir vor mir getanzt.‹ Sie erhob sich so abrupt, dass sie beinahe gegen mich gefallen wäre. Ihr Gesicht hatte alle Schönheit verloren. ›Na und? Ich habe auch vor diesen Beduinen jeden Abend an der Feuerstelle getanzt.‹ Ich war entsetzt. Was war mit diesem Mädchen geschehen? Aber damals war ich noch sehr jung. Mir mangelte es an Mitleid und der Fähigkeit, für ihre Verzweiflung die richtigen Worte zu finden. Ja, ich habe nicht einmal erkannt, dass sie verzweifelt war. Ich wollte einfach nur meinen Handel abwickeln, nämlich die Qayna dem Emir zurückbringen.