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Ich winkte dem Stammesältesten, dass ich mit ihm eine Unterredung führen wolle. Im Zelt packte ich das Ledertäschchen aus und zeigte ihm die Münzen aus dem Schatz des Emirs. Ich machte ihm klar, dass ich für dieses Lösegeld die Qayna mitnehmen wolle. Er stimmte sofort zu.«

»Weißt du, was ich fürchte?«, fragte Uthman, der Henris Erzählung schweigend zugehört hatte. »Die Qayna war inzwischen zu einem Handelsobjekt geworden. Im Orient gelten andere Gesetze.«

»Das wusste wohl auch der Emir. Warum hätte er mich sonst mit einem ansehnlichen Lösegeld ausstatten sollen?«

»Was ich noch gerne wissen möchte!«, sprach Uthman weiter. »Hat er sie in diesem Zustand zurückgenommen, oder hat er sie verstoßen?«

»Was heißt hier: in diesem Zustand? Diese Verzweiflung war eine ganz persönliche Wahrnehmung von mir. Ich schlief wie immer im Freien. Sie hüllte sich in eine Beduinendecke drei Schritte von mir entfernt. Ich bildete mir ein, dass ich sie nachts weinen hörte. Aber ich tat nichts, um sie zu trösten. ›Morgen werde ich dich zu deinem Herrn zurückbringen‹, sagte ich, als ob es sich um einen Gegenstand handelte.«

»War es vielleicht deshalb, weil du dich gefürchtet hast, dein Gelübde zu brechen?«

»Ich glaube, dass ich das mit gutem Gewissen verneinen kann. Aber ich kann dir auch nicht erklären, warum ich mich so verhielt.«

»Vielleicht deswegen, weil sie das Eigentum eines Emirs war, der nach Belieben mit ihr verfahren konnte. Das ist sehr orientalisch gedacht. Aber so ist es eben bei uns. Mir macht etwas ganz anderes Sorgen. Wie hat sich der Emir benommen, als du ihm seine Tänzerin zurückbrachtest? Glaubte er immer noch, dass du die Beduinen zu diesem Überfall angestiftet hattest?«

»Ich gebe zu, dass ich mir auch Sorgen machte, der Emir würde mir die Schuld zuweisen. Dann hätte er endlich Gelegenheit gehabt, mir fünfzig Schläge verabreichen zu lassen.«

»Ich glaube nicht, dass er das wirklich wollte. Zwischen euch bestand eine Hassliebe. Er drohte dir immer wieder Strafen an, die er in Wirklichkeit gar nicht vollziehen wollte.«

Henri sah seinen Freund verständnislos an. »Das ist wohl auch wieder orientalisch gedacht. In unseren Komtureien gab es eine Justiz des Hauses. Das Kollegium tagte einmal wöchentlich. Vor ihm wurden die Vergehen erörtert und bestraft. War das Urteil einmal gefällt, wurde es auch vollstreckt: Fastentage, entwürdigende Arbeiten, das Verbot, sich hinzusetzen, das Gebot, die Mahlzeiten am Boden zu sich zu nehmen, oder auch ein Redeverbot. Es ging überhaupt nicht darum, Strafen anzudrohen, die dann erlassen wurden. Wer sich schuldig gemacht hatte, musste auch die Sühne auf sich nehmen. Aber aus Hass- oder Rachegedanken eine Prügelstrafe zu vollstrecken, bei der man sogar den Tod finden konnte, das war bei uns Templern nicht üblich.«

»Wie benahm sich denn die Qayna unterwegs, als ihr auf dem Rückritt wart?«

»Mit dem Geld des Emirs hatte ich auch ein Pferd für die Qayna erworben. Sie ritt mit gesenktem Kopf hinter mir her, nicht etwa neben mir wie unsere Edelfräulein im Okzident. Sie sprach jedoch ausgezeichnet Französisch. Um sie aufzuheitern, machte ich sie auf die rosafarbenen Felsen aufmerksam, auf eine Gazelle, die vor uns flüchtete, auf eine seltene Wüstenblume, auf eine Fata Morgana, die sich im flirrenden Licht der Sonne verheißungsvoll am Horizont zeigte. Es half alles nichts. Sie schwieg beharrlich und schaute nicht einmal hin.«

»Ich hätte ein gutes Heilmittel gewusst, um sie aus ihrer Teilnahmslosigkeit zu wecken. Aber das ist natürlich auch wieder orientalisch gedacht, bei unseren Frauen jedoch sehr wirksam. Was denkst du, wie schnell sie einen Ton von sich gegeben hätte, wenn ich sie aus dem Sattel geholt und ihr eine Tracht Prügel verpasst hätte.«

Henri enthielt sich jeder Stellungnahme. »Wir verbrachten die Nächte gemeinsam im Freien. Ich wies auf die einzelnen Sternbilder und erklärte ihr Namen und Bedeutung. Sie tat so, als ob sie das Funkeln und Glitzern der Sterne über uns überhaupt nicht bemerken würde. Ich erzählte ihr von den Tierkreiszeichen, durch die nach ganz bestimmten Gesetzen und Regeln die Sonne auf ihrer Bahn um die Erde kreiste, und dass sie Einfluss auf unser Leben hätten. Besonders zur Zeit der Geburt sei der Einfluss der Gestirne außerordentlich wirksam. Dann beging ich den Fehler, sie zu fragen, ob sie ihr Geburtsdatum wüsste. Da spuckte sie sogar aus. Da hätte ich gerne das von dir gepriesene Mittel angewandt. Aber ich wusste nicht, ob sie sich nur von dem Sand befreien wollte, der ihr zwischen die Zähne geraten war. Ich wollte nicht mürrisch vor ihr herreiten. Darum forderte ich sie auf, sich neben mir zu halten. Sie warf mir einen scheuen Blick zu und gehorchte mir sofort. Gehorsam hatte ihr der Emir offenbar beigebracht.

Wie sehr sehnte ich mich nach einem Gefährten, mit dem ich Freud und Leid teilen konnte, der verstand, wovon ich sprach, der mir zuhörte und Antworten gab. Ich weiß nicht, wie viele Tage wir durch die Wüste ritten. Als nach langer Zeit die Zelte unseres Lagers sichtbar wurden, fühlte ich mich unendlich müde. Der Wächter kam auf uns zugeritten, als er uns am Horizont auftauchen sah. Jeder wusste inzwischen, dass man die Qayna geraubt und mich unter Drohungen ausgeschickt hatte, um dem Emir die Geliebte zurückzubringen. Der Wachtposten konnte sich vor Freude kaum fassen. Die Laune des Emirs sei unerträglich gewesen, berichtete er uns. Nach dem Überfall und der misslungenen Verteidigung gegen die Beduinen habe er willkürlich einige Reiter herausgegriffen und auspeitschen lassen. Allah sei Dank, dass ich nun die Qayna zurückbringe. Alamdu lillah – Gott sei Dank, fügte ich aus aufrichtigem Herzen hinzu.

Kurz darauf ertönte ein Hornsignal, und die Trommler begannen, die Darabukka – die große Trommel – mit ihren Stöcken zu bearbeiten. Der Emir trat aus seinem Zelt, ging aber der Qayna mit keinem einzigen Schritt entgegen. Sie sprang vom Pferd, warf mir wie einem Reitknecht die Zügel zu, flog ihrem Gebieter entgegen und schmiegte sich an seine Brust. Unter Weinen und Schluchzen überschüttete sie ihn mit einem Wortschwall, die falsche Schlange. Der Emir streichelte sie, hob sie auf und trug sie in das Zelt. Ab und zu hatte er mir einen Blick zugeworfen. Ich konnte nicht ergründen, ob er mir zürnte oder dankbar war. Ich hielt es durchaus für möglich, dass die Qayna sich über mein Benehmen beklagt hatte.«

»So sind unsere Frauen!«, stellte Uthman fest. »Wenn sie Strafe fürchten, fangen sie an zu weinen und klagen einen Unschuldigen an, der dann die Suppe auslöffeln muss, die manchmal allzu gesalzen ist!«

»Hätte ich mich nicht verpflichtet gefühlt, meinen Bündnisbruder Abu Hassan aufzuspüren und zu befreien, dann hätte ich erst einmal meine eigene Haut in Sicherheit gebracht.

Der Emir und die Qayna ließen sich für den Rest der Nacht nicht mehr sehen. Damit hatte ich zwar Zeit zu der Überlegung gefunden, wie ich meine Unschuld beweisen könnte. Aber mir fiel keine Lösung ein. Als am nächsten Morgen die Trommeln zum Aufbruch riefen, war ich genauso ratlos wie zuvor.«

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