Выбрать главу

»Brunella«, rief Uthman. »Das werde ich dir nie vergessen! Falls du einmal Hilfe brauchst, schicke mir eine Nachricht nach Cordoba. Ich werde kommen, wo immer du dich auch befindest.«

»Ich muss gehen«, wisperte die Stimme vor der Tür. Sie vernahmen noch das Rascheln des Laubes. Dann blieb alles still. Aber beide glaubten, schon das Murmeln der Quelle zu vernehmen.

18

Henri hatte vorgeschlagen, mit dem Gang durch die Höhle auf das Tageslicht zu warten. Einerseits deshalb, weil die aufgehende Sonne vielleicht einen kleinen Strahl durch das verborgene Luftloch werfen könne, andererseits aber auch, weil man sicher sein müsse, dass die Piraten wirklich die Insel verlassen hätten.

Uthman hatte sofort zugestimmt. Über dieses schnelle Einverständnis war Henri ein wenig besorgt. Wäre Uthman wieder voll bei Kräften gewesen, hätte er mit Sicherheit stürmisch auf einen sofortigen Aufbruch gedrungen. Uthman war nach seiner Krankheit immer noch sehr erschöpft. Er zog es vor, sich seinen Schlafplatz in der Nähe der Skelette einzurichten, um nur ja keinen unnötigen Schritt gehen zu müssen.

Als sich der Morgen durch ein trübes Licht erahnen ließ, erhob sich Henri. Sein erster Blick galt Uthman. Des Alchemisten Salbe hatte gewirkt, das Fuoco di San Antonio hatte keine neuen Spuren hinterlassen.

Uthman war schon wach. »Schade, dass uns Valentino nicht gefesselt hier herabgestoßen hat. Dann stünden uns Seile oder Ketten zur Verfügung, mit denen wir uns gegenseitig Halt geben könnten.«

Henri lachte. »Ich bin froh, dass du schon wieder scherzen kannst.«

»So scherzhaft war das gar nicht gemeint«, erwiderte Uthman und begann, den Haufen der Skelette auseinander zu breiten. »Irgendeiner von diesen armen Gesellen ist vielleicht mit Ketten gefesselt gewesen.«

Henri dachte, dass man die Totenruhe eigentlich nicht stören dürfe. Aber Uthman zog tatsächlich das Stück einer Kette hervor.

»Besser diese als gar keine«, murmelte Uthman. »Ich habe nämlich keine Lust, jahrhundertelang hier in der Höhle zu verweilen wie die sieben Jünglinge von Ephesos. Sie wurden zwar nicht von Seeräubern, sondern von einem römischen Kaiser verfolgt, und suchten selbst Schutz in einer Höhle. Sie blieben 309 lange Jahre dort! Im Koran kannst du alles über die Jünglinge in der Sure Al-Kahf, der Sure von der Höhle, lesen. So eine spannende Geschichte habe ich natürlich behalten. Ich weiß sogar noch, was diese Ashabu’l Kahf, die Gefährten der Höhle, nach ihrem Erwachen sagten: Unser Herr ist der Herr der Himmel und der Erde. Wir werden niemals außer Ihm einen anderen Gott anrufen. Der Kaiser hatte sie nämlich zwingen wollen, ihren Glauben zu verleugnen.«

Henri fühlte sich beschämt. »Zu Recht erinnerst du mich daran, Gott um seine Hilfe zu bitten. Nach einem Gebet wollen wir aufbrechen.«

Uthman schlug sich ein Stück der Kette um die Taille und übergab Henri das andere Ende. Vorsichtig begaben sie sich in das Innere der Höhle. »Findest du nicht auch, dass es ein wenig heller wird?«, fragte Uthman hoffnungsvoll. »Das könnte doch auf die Nähe des Ausgangs deuten.«

»Hmm«, brummte Henri. Er glaubte das nicht. Aber etwas anderes hatte er bemerkt. Mit jedem Schritt wurde der Erdboden feuchter. Zweimal musste er seinen Gefährten durch einen festen Griff vor dem Ausrutschen bewahren.

»Wir brauchen uns nicht zu beeilen«, mahnte Henri. »Denn wir haben ja über 300 Jahre Zeit, um hier herauszufinden. Jünglinge, wie die Ashabu’l Kahf, werden wir dann allerdings nicht mehr sein.«

Uthman gab keine Antwort und zügelte auch seinen Schritt nicht. Er hechelte wie ein Jagdhund, der eine Beute nahe vor sich sieht. Wenn er im Halbdunkel an die Decke stieß, rieselte Kalk auf ihn herab. Mehrmals mussten sie sich bücken. Plötzlich blieb Uthman so abrupt stehen, dass nun Henri beinahe ins Straucheln geriet. »Vor mir liegt der See«, sagte er nach rückwärts gewandt zu Henri. »Ich glaube nicht, dass wir hindurchwaten können.«

Henri versuchte, in dem trüben Gewässer die Tiefe zu ergründen. »Ich halte für möglich, dass das, was wir in der vergangenen Nacht gehört haben, nicht das ersehnte Plätschern der Quelle war, sondern Regen, der zum Steigen des Grundwassers geführt hat. Es wird uns nicht erspart bleiben, den See zu durchschwimmen.«

Uthman ließ sich am Rand des unterirdischen Gewässers nieder. »Halt mich fest!«, bat er Henri. »Ich möchte ergründen, ob sich der Grund erreichen lässt. Vielleicht gibt es in diesem trüben Gewässer sogar Giftschlangen oder ähnliche Viecher, die einem das Fleisch von den Knochen nagen. Denk nur an die Skelette, die wir gefunden haben!«

Henri fand beruhigende Worte. »Niemand hat bis jetzt davon gesprochen, dass es im Gebiet der Balearen Schlangen oder Raubfische dieser Art gibt. Außerdem hätte uns Brunella bestimmt vor dieser Gefahr gewarnt. Du hast ihr doch bis jetzt vertraut. Warum bist du auf einmal so misstrauisch?«

Uthman zog die Füße aus dem Wasser und schaute nachdenklich vor sich hin. »Ich hatte gehofft, dass es genügen würde, durch eine kleine Pfütze zu waten. Denn ich beherrsche die Kunst des Schwimmens nur sehr mangelhaft. Niemand hat es mich gelehrt. Wer hätte das auch übernehmen sollen? In Haleb kann fast niemand schwimmen.«

Henri war erschrocken, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Habe Vertrauen zu dir selbst! In höchster Not kann man alles. Gib mir deine Kleidung, ich werde sie schwimmend auf dem Kopf hinüberbringen! Wenn ich das jenseitige Ufer erreicht habe, gehst du in das Wasser und machst die Schwimmbewegungen, die du mir abgeschaut hast! Ich werde dich an der Kette herüberziehen. Oder willst du noch weitere 300 Jahre hier in der Höhle verbringen?«

Uthman wirkte entschlossen, diese Prüfung zu überstehen. »Wenn ich lebend drüben angekommen bin, werde ich zur Übung noch ein paar Mal hin- und herschwimmen.«

Das ist der Uthman, wie ich ihn kenne, dachte Henri. Er verlangte Uthmans Kleidung, legte sie sich auf den Kopf und hielt sie mit einer Hand fest. Uthman verfolgte gelassen die Vorbereitungen. Mit wenigen Stößen hatte Henri das jenseitige Ufer erreicht. »Nur Mut! Jetzt bist du dran!«, rief er aufmunternd.

Uthman zögerte nicht länger. Er will wohl nicht als Feigling dastehen, dachte Henri. Es ging besser, als er erwartet hatte. Henri zog kräftig an der Kette, und Uthman vollführte Schwimmbewegungen, die er für richtig hielt. Aber dann, drei Schritte vom Ufer entfernt, geschah ein unvorgesehener Zwischenfall. Die alte rostige Kette riss, und die beiden losen Enden versanken im Wasser.

Jetzt gerät er in Panik und wird untergehen, dachte Henri. Er machte sich schon bereit, um zur Rettung ins Wasser zu springen. Aber da hatte er seinen immer draufgängerischen Gefährten unterschätzt. Mit ruhigen Bewegungen erreichte Uthman das Ufer und wollte zu einer neuen Runde ansetzen.

»Uthman!«, rief Henri gebieterisch. »Du kannst sehr gut schwimmen. Was sollte diese Vorstellung? Komm sofort an Land! Vielleicht gibt es doch giftige Schlangen hier!«

Als Uthman vor ihm stand, hätte er ihm am liebsten eine Backpfeife gegeben. Warum musste dieser erwachsene Mann immer noch solche kindischen Kapriolen machen? »Bekleide dich wieder!«, befahl er ziemlich unwirsch. »Oder soll ich deine Kleider auch noch die Stufen hinauf zu der kleinen Plattform tragen, von der Brunella sprach?«