Als die Feuer erloschen waren und der Abendwind die ersehnte Kühlung brachte, schlug Mahmud mir vor, nach dem langen Ritt zu Fuß die Burg zu umrunden, um uns zu entspannen. Ich stimmte sofort zu, weil ich ahnte, welchen Nutzen mir das bringen konnte. Mahmud war so stolz, als hätte er selbst diese Burg erbaut, oder zumindest bewohnt.
›Der Palast des Emirs ist unseren Palästen und Burgen in Mardin nachgebaut‹, wusste er zu berichten.
›Ich bin noch nie in Mardin gewesen‹, erwiderte ich. ›Kannst du mir nicht einmal die gesamte Anlage mit deinem Stock in den Sand malen?‹
Mahmud war begeistert. Denn schon lange hatte er keinen so geduldigen Zuhörer wie mich gehabt. ›Halt dein Maul, elender Schwätzer!‹ Mit diesen groben Worten wurde er zumeist abgewiesen. Man hätte ihn sogar mit Freuden verprügelt, sobald er auch nur das Wort Mardin in den Mund nahm. Aber man fürchtete eine Verbindung zum Emir.
Er zeichnete, löschte das Sandgemälde aus und begann von neuem. Ich schwieg und sah ihm zu. Lange Zeit verbrachten wir so im Sand, bis die Dunkelheit unserem Treiben ein Ende machte.
Bei den Händlern, die sich am Rand unseres Zeltplatzes niedergelassen hatten, kaufte ich mir ein Pilgergewand. Die langen weißen Tücher verschafften mir die Möglichkeit, mich einzuhüllen. Der Händler drängte mir noch eine Kopfbekleidung auf, die mich in einen Araber verwandelte. Später war ich dafür dankbar. Meine hellen Haare hätten mich sicherlich verraten. Mahmud klatschte in die Hände, als er mich so sah. ›Nun bist du einer der unsrigen. Du könntest sogar aus Mardin stammen.‹ Das war das höchste Lob, das er mir zollen konnte. Ich war sehr froh darüber.
Am nächsten Tag wanderte ich in meiner Pilgerkleidung den Burgberg hinauf. Ich kam mir vor wie Jakob auf der Himmelsleiter.
Das Eingangsportal war stark bewacht, wahrscheinlich weil der Emir und einige seiner Würdenträger anwesend waren. Höflich bat ich um Einlass, der mir gewährt wurde. Denn ich behauptete, dass ich der Anführer einer Pilgerabordnung sei und mit dem Emir die Wallfahrt nach Medina besprechen müsse. Das Wort Medina erwies sich als Zauberschlüssel. Die Lanzenträger verbeugten sich sogar vor mir und ließen ihre Waffen sinken. Ich gab mir Mühe, möglichst würdevoll das Tor zu durchschreiten.
Noch am Abend hatte ich mir Notizen gemacht, was mir von der Sandzeichnung in Erinnerung geblieben war.«
»Schade, dass dir kein Ariadnefaden zur Verfügung stand«, unterbrach ihn Uthman bedauernd. »Denn durch dieses Fadenknäuel, das Ariadne dem athenischen König Theseus geschenkt hatte, war es ihm möglich gewesen, den Rückweg zu finden, nachdem er den schrecklichen Minotaurus im Inneren des Labyrinths besiegt hatte.«
»Das wäre allerdings eine willkommene Hilfe gewesen«, bestätigte Henri. »Aber ich musste mich auf meine eigenen Kräfte verlassen.
An irgendeiner Stelle steckte in meiner Zeichnung ein Fehler. Denn ich landete nicht in den unterirdischen Gewölben bei den Verliesen, sondern befand mich zu meinem Schrecken unversehens vor den Privatgemächern. Manchmal webt das Schicksal Gespinste, die man zunächst als Unglück ansieht. Aber sie sind in Wirklichkeit eine Glück bringende Wendung.
Denn in dem Gang, der zu dem Schlafgemach des Emirs führte, hörte ich leise Stimmen. Aber auch bei dieser Lautstärke erkannte ich sofort, wer sich dort zu einer Verschwörung getroffen hatte. Die Stimmen der falschen Zeugen würden mich bis zu meinem Lebensende verfolgen. Ich konnte ihren Klang nicht aus meinen Ohren vertreiben. Und was ich hörte, das war höchst bedeutsam.
›Wir stürmen alle miteinander in die Gemächer des Emirs hinein‹, schlug einer vor. Aber ein anderer war dagegen. ›Es ist besser, wenn einer von uns unbewaffnet den Raum betritt, um dem Emir zu huldigen. Denn er ist eitel und wird sich ablenken lassen. Gleich darauf werden wir anderen bewaffnet folgen, uns auf den Emir stürzen und ihn ohne vorherigen Anruf niedermetzeln. Der König von Frankreich wird es uns danken und uns fürstlich belohnen.‹
›So sei es!‹, pflichteten ihm die anderen bei. Aber der Wortführer fügte noch etwas hinzu. ›Die Qayna wird sich wie immer in seinem Schlafgemach aufhalten. Wenn wir den Emir aus dem Weg geräumt haben, werden wir uns diesem knusprigen Hühnchen widmen.‹
Allgemeines Gelächter, wenn auch verhalten, folgte diesen Worten.«
»Damit hätte die Gerechtigkeit ihren Lauf genommen«, äußerte Uthman seine Meinung. »Von der Qayna wäre nicht viel übrig geblieben.«
»Tausend Gedanken wirbelten mir durch den Kopf«, fuhr Henri fort. »Sollte ich den Emir vorher warnen? Er würde mir genauso wenig glauben wie bisher. Ich konnte ihm nicht ersparen, von seinen Würdenträgern, denen er fast bedingungslos vertraute, überfallen und verletzt zu werden. Es würde schwierig sein, den richtigen Augenblick zu finden, in dem ich eingreifen musste, um ihm das Leben zu retten. Mindestens einen der Verschwörer musste ich sofort niederstrecken, noch ehe die anderen merkten, dass jemand dem Emir zu Hilfe geeilt war.
Ich war es gewohnt, schnelle Entschlüsse zu fassen. Aber mir blieb keine Sekunde Zeit, mein Vorgehen vernünftig abzuwägen. Der unbewaffnete Verschwörer hatte kaum das Privatgemach seines Herrn betreten, als die anderen schon voller Ungeduld mit lautem Gebrüll hinter ihm herstürzten. ›Stirb, Bestie von Al-Qudz!‹
Dieser Ruf war für mich das Signal, den Emir vor einem Meuchelmord zu schützen. Mit einem Sprung hatte ich einen der Verschwörer niedergeworfen und ihm die Kehle durchgeschnitten. Noch im Tod zeigte sich in seinen Augen verständnisloses Erstaunen. Nun hatten auch die anderen bemerkt, was in ihrem Rücken vor sich gegangen war. Einer umklammerte Nadjm Ghazi, und der andere führte einen Dolchstoß, den er in die Richtung des Herzens gelenkt hatte. Ich sah noch, wie der Emir erblasste und zu Boden sank. Die beiden waren sich sicher, dass ihre Tat zum Erfolg geführt hatte. Denn noch wandten sie mir ihren Rücken zu, um sich an dem Sterben des Emir zu weiden. Ich wusste, dass sich mir ein solch günstiger Augenblick kein zweites Mal bieten würde. Mit kraftvoll gezielten Dolchstößen durchbohrte ich die beiden Meuchelmörder.
Noch lebte der Emir, aber das Blut tropfte langsam zu Boden und bildete dort ein Rinnsal. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Ich zerriss mein Pilgergewand in lange Streifen und versah Nadjm Ghazi mit einem festen Verband. Wie oft hatte ich das schon bei meinen Ordensbrüdern während der Kämpfe im Heiligen Land gemacht. Einige Verwundete hatten überlebt, andere nicht. Ich war kein Medicus.
Erleichtert sah ich, dass der Emir seine Augen öffnete. Sie wirkten glasig und verschwommen, aber nach einer Weile erkannte er mich. Ich kniete nicht vor, sondern neben ihm. ›Haltet durch, Nadjm Ghazi! Ich werde einen Medicus herbeirufen.‹ Aber er packte mein Handgelenk und hielt mich fest. ›Nein, bleibt bei mir! Denn Ihr seid in dieser Burg der einzige Mensch, dem ich jetzt noch vertraue.‹
›Danke, mein Freund‹, sagte ich und wunderte mich nicht einmal, wie leicht mir diese Worte von den Lippen gekommen waren.«
»Beinahe könnte ich beleidigt sein, dass du diesen Menschen mit dem Ehrentitel Freund angeredet hast, den er nicht verdient hat«, stellte Uthman fest. »Aber die Freude hindert mich daran, dir zu zürnen. Wende deine Blicke zum Horizont, mein einziger Freund. Schau nur! Dort taucht gerade ein Schiff auf, das eine Flagge in den Farben des Königreichs Mallorca zeigt.«