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Henri legte die Hand über die Augen, um im Sonnenlicht besser sehen zu können. »Das könnte eines der Schiffe sein, die gegen die Piraten ausgesandt werden. Entzünde den Holzhaufen, den du in weiser Voraussicht vorbereitet hast. Wie gut, dass du daran gedacht hast!«

Uthman hatte alles kundig angelegt, um das Feuer möglichst rasch zum Lodern zu bringen. Die trockenen Äste knisterten in den Flammen, die gierig nach den Hölzern griffen. In Sekundenschnelle verbreitete sich das Feuer und fraß die dürren Gräser in Ufernähe, um danach unerwartet in den Wald vorzudringen. Ein Windstoß fachte die Flammen an. Schwärzlicher Qualm und eine schier unerträgliche Hitze legten sich über die Insel. Kein Zweifel, jedes Schiff im Umkreis musste dieses Zeichen sehen.

»Der Hügel brennt!«, schrie Henri plötzlich auf. »Wir müssen uns ins Meer retten!« Sie liefen in das seichte Wasser, das zusehends tiefer wurde und ihnen bald bis zu den Schultern reichte. Unablässig winkten sie mit den Armen.

Längst jedoch war die Besatzung des Schiffes auf den Brand aufmerksam geworden und hatte ein Beiboot ausgesetzt, das sich schnell näherte. Kräftige Arme zogen Henri und Uthman ins Boot.

»Inschallah!«, sagte Uthman. Und Henri nickte ihm zu und sandte ein stummes Gebet zum Himmel.

Wer in Gefahr ist, soll nie zurückblicken – das Letzte, was sie von der Insel sahen, war ein weithin leuchtender Feuerberg.

19

Der Wind zerrte an ihren Haaren, die Wellen tanzten und schäumten. Möwen segelten an den Masten vorbei, und Henri und Uthman blickten zur Sonne hoch, die ihre Kleider trocknete. Weiße Wolken übersäten den blauen Himmel, und in der Ferne hoben sich schon die Umrisse einer größeren Insel über den Horizont. Sie leckten sich die salzige Seeluft von den Lippen. Erst jetzt begriffen sie richtig, dass sie gerettet und in Sicherheit waren, und die Farben, der Wind, der Geschmack des Meeres – das alles erschien viel intensiver als zuvor. Ja, die Welt war gut, sie war herrlich anzusehen. »Wer versteht, wie der Herr die Wolken türmt und donnern lässt aus seinem Gezelt?«, sprach Henri still Verse der Bibel. »Siehe, er breitet sein Licht um sich und bedeckt alle Tiefen des Meeres. Denn damit regiert er die Völker und gibt Speise die Fülle.«

Der Kapitän der Karavelle schritt über die knarzenden Bohlen des Decks auf Henri und Uthman zu und begrüßte sie außerordentlich ehrerbietig. Er hielt sie für reiche Handelsherren, die in die Gewalt der Seeräuber geraten waren. Die beiden ließen ihn bei dieser Meinung. Denn sie fürchteten natürlich, als Königsmörder entlarvt zu werden. Sie berichteten jedoch, wie die Kogge in einer menorquinischen Bucht von den Seeräubern überfallen und Ernesto di Vidalcosta grausam ermordet worden war.

»Dieses Piratennest werden wir ausräuchern«, versprach der Kommandant der Karavelle selbstbewusst. »Das Versteck der Seeräuber muss sich im Norden befinden, weil die raue zerklüftete Küste dort viele Schlupfwinkel aufweist.« Er fragte die beiden, ob sie ihm irgendwelche Kennzeichen der Pirateninsel nennen könnten. Henri erzählte ihm von den Mohnblumenfeldern und dem Duft der Hyazinthen. Ob es sehr windig gewesen sei, wollte der Kommandant wissen.

Henri bejahte, der königliche Offizier nickte zufrieden. Das sei der Tramontana, der heftige Nordwind, der über die Insel fege. »Ich werde meine Soldaten also in Ciutadella an Land setzen. Die Piraten meiden die großen Städte. Von Ciutadella aus sollen meine Leute ausschwärmen und alle Buchten durchsuchen. Ich nehme an, dass auch Ihr dort gerne das Schiff verlassen werdet, um Euren Geschäften nachzugehen.«

Henri verbeugte sich, dankte für die Rettung und die freundliche Aufnahme. »Der Zufluchtsort auf den Pityusen ist den Piraten nun hoffentlich versperrt«, sagte er. »Das Feuer wird ihre Verstecke zerstört haben.«

Der Kommandant hatte ihnen die Kajüte eines Offiziers zugewiesen, und Henri nahm an, dass auch Uthman zufrieden diese Bevorzugung annehmen werde. Der schien jedoch besorgt zu sein. Er wirkte brummig und verschlossen. Henri glaubte, den Grund der Verstimmung erraten zu haben. »Fürchtest du, dass die königlichen Soldaten auch Brunella ergreifen und vor Gericht bringen werden?«

Uthman nickte. »Ja, und das hat sie nicht verdient.«

Henri dachte kurz nach und machte dann einen Vorschlag. »Dem können wir abhelfen, indem wir dem Kommandanten erklären, dass sich in der Hand der Piraten die Tochter eines Advokaten befindet, die sie erst gegen ein stattliches Lösegeld aus der Gefangenschaft entlassen wollen.«

Die Miene seines Gefährten hellte sich auf. »Das wäre eine Möglichkeit, uns bei Brunella zu bedanken.«

Henri ließ sich in einer Hängematte nieder, die unter der niedrigen Kabinendecke gespannt war, und gab Uthman einen Wink, es ihm gleichzutun. Er war bestrebt, seinen Freund auf andere Gedanken zu bringen. »Ich berichte dir jetzt von einer weiteren geglückten Befreiung. Denn der Emir gab einem seiner Lanzenträger den Befehl, Abu Hassan aus seiner Kerkerhaft zu erlösen. Ich bat mir aus, den Lanzenträger in das Verlies zu begleiten.«

»Darüber möchte ich sehr gern etwas hören«, sagte Uthman. »Aber zunächst berichte mir, was mit den Verschwörern geschah.«

»Nadjm Ghazi ließ sie in eine Dunggrube werfen. Das entsprach eigentlich nicht meinen christlichen Glaubensvorstellungen, aber sie hatten es wohl nicht anders verdient.«

»Der Emir handelte richtig«, meinte Uthman. »Aber wie verlief das Wiedersehen mit deinem Bündnisbruder?«

»Es war schrecklich«, begann Henri seinen Bericht. »Als der Lanzenträger die schwere Kerkertür tief drunten in den Gewölben der Burg öffnete, schlug mir ein grauenvoller Gestank entgegen. Abu Hassan lag auf verrottetem Stroh in seinem eigenen Unrat. Er war bis auf die Knochen abgemagert. Die Augen glühten fiebrig in seinem eingefallenen, leichenblassen Gesicht. Seine zuvor glänzende Haarpracht war verschwunden. Nur einige Strähnen bedeckten fettig und wirr seine faltige Stirn. Die Ketten, mit denen man ihn an die Mauer geschmiedet hatte, schlotterten lose an ihm herab. Aber dass sie ihn anfangs tief in das Fleisch seines Körpers geschnitten hatten, konnte man an den eitrigen Schwären erkennen, die an Armen und Beinen zu sehen waren.

Das war der Augenblick, in dem ich es sogar als zu milde empfand, dass man die Verschwörer, ob sie nun noch lebten oder nicht, in die Dunggrube geworfen hatte.

Ich fiel neben meinem Bündnisbruder auf die Knie, umarmte ihn und versuchte, seinen Kopf zu heben, der tief auf sein eingefallenes Kinn gesunken war. ›Abu Hassan, mein Bruder!‹, rief ich laut. ›Erkennst du mich noch, Henri, den Templer, den du aus den Fängen der falschen Franziskaner gerettet hast?‹

Der Klang meiner Stimme musste eine Erinnerung in ihm wachrufen. Mühselig hob er den Kopf und sah mir in die Augen. Aber die Stimme versagte ihm, als er mir antworten wollte. Nur ein heiseres Krächzen entrang sich seiner Kehle.

Der Lanzenträger, der diesem Wiedersehen teilnahmslos zugesehen hatte, befolgte nun den Befehl seines Gebieters. Er löste die Fesseln. Weil aber Abu Hassan viel zu schwach und unfähig war, auch nur einen einzigen Schritt aus eigener Kraft zu gehen, lud er sich diesen abgemagerten Mann ohne Schwierigkeiten auf die Schultern. Als ich ihm meinen Bündnisbruder abnehmen wollte, wies er dieses Ansinnen unwillig ab.«

»Diese Behandlung eines treuen Hofbeamten hätte man dem Emir niemals verzeihen dürfen!«, rief Uthman empört. »Vielleicht hättest du ihn gar nicht vor dem Tod bewahren sollen.«

»Da bin ich anderer Meinung«, erwiderte Henri. »Jedem Menschen muss die Möglichkeit gegeben werden, seine Untaten zu bereuen und zu sühnen.«

»Wie sah denn diese Buße aus?«, wollte Uthman wissen. »Hoffentlich so, dass er sein schreckliches Verhalten niemals vergessen wird.«