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»Ich sagte sühnen und nicht büßen«, erwiderte Henri. »Denn Nadjm Ghazi hatte längst eingesehen, warum die falschen Zeugen Abu Hassan beseitigen wollten. Der alleinige Grund war die Treue seines Hofbeamten. Niemals nämlich hätte Abu Hassan zugelassen, dass man den Emir tötete. Nadjm Ghazi ließ Abu Hassan pflegen, wie er es besser nicht hätte tun können. Als sich beide auf dem Weg zur Gesundung befanden, ordnete der Emir an, Abu Hassan zu ihm ins Schlafgemach zu bringen. Dort lagen sie nun gemeinsam und führten lange Gespräche. Oft hörte ich auch ihre Gebete, die sie an Allah richteten.«

»Aber was war mit dir?«, fragte Uthman. »Du hattest dein Versprechen eingelöst und hättest doch nun nach Frankreich zurückkehren können, obwohl dir vielleicht Louis und die falschen Franziskaner im Hafen von Haifa auflauerten.«

»Das hatte ich auch erwogen. Aber dann ließ mich der Emir rufen und eröffnete mir, dass er gemeinsam mit Abu Hassan eine Wallfahrt nach Medina plane, um dort für ihre Rettung aus der Not zu danken. ›Wir möchten dich bitten, dass du uns begleitest‹, sagte der Emir, während Abu Hassan heftig mit dem Kopf nickte.

Ich erbat mir einen Tag Bedenkzeit. Viele Fragen bedrückten mich. War es mir als einem Christen überhaupt erlaubt, in eurer Kirche dort zu beten? Ich hatte gehört, dass in dieser Moschee ein Gebet so viel gelte wie tausend Gebete anderswo. Warum sollte das nicht auch für meine Gebete gelten, die ich an die christliche Dreifaltigkeit richten wollte? In Medina sollte jedoch nicht nur der Prophet selbst, sondern auch die ersten beiden rechtgeleiteten Kalifen begraben sein. Was würde mir und meinen Begleitern zustoßen, wenn man mich in dieser berühmten Moschee als Christ entlarven würde? Nicht nur mein eigenes Leben wäre bedroht, sondern auch das meiner sarazenischen Freunde.

Alle diese Bedenken teilte ich Nadjm Ghazi mit. Aber keines ließ er gelten. Abu Hassan kannte mich besser als der Emir. Er fand die passenden Worte, die mich zum Nachgeben brachten. ›So eine Wallfahrt hat ihre zwei Seiten‹, erklärte er mir. ›Sie führt nach innen zu einer Entdeckungsreise durch die eigenen Gefühle. Aber sie führt auch zu einer Annäherung an die göttliche Allmacht. Es gilt ja gerade der gemeinschaftliche Aufbruch aller Gläubigen als Grundpfeiler einer Wallfahrt, die dich in deinem Glauben bestärken wird.‹ Mit keinem Wort hatte er euren Glauben erwähnt. Seine letzte Bemerkung gab den Ausschlag. Ich sagte meine Teilnahme zu.

Einige Tage später befanden wir uns wieder auf der Pilgerstraße, diesmal nur von wenigen Getreuen begleitet. Aber der Emir hatte darauf bestanden, dass die Qayna ihm zur Seite reiten solle. Ich folgte mit Abu Hassan.

Wir bewegten uns sehr langsam, weil wir Rücksicht auf die Frau nehmen mussten. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass sie die Gangart ihres Pferdes absichtlich verzögerte. Immer wieder sah sie sich um. Wen erwartete sie? Einen heimlichen Geliebten oder einen gedungenen Mörder? Ich teilte Abu Hassan meinen Verdacht mit, und auch er verdoppelte seine Aufmerksamkeit.

Nach vielen Tagesritten unter sengender Sonne sahen wir endlich die Kuppeln der großen Kirche, die ihr die Al-Nabwi-Moschee nennt, vor uns liegen. Mir war unterwegs aufgefallen, dass sich die Pilger auffällig oft bückten. Ich glaubte, dass dies zu dem Gebet auf einer Wallfahrt gehörte. Aber Abu Hassan belehrte mich, dass die Pilger Steine sammelten, um sie auf die Teufelssäule zu werfen. Denn die Steinigung des Teufels gehöre zu einer Wallfahrt. Sie taten gut daran, schon jetzt ihre Wurfgeschosse zu sammeln. Denn durch die Masse der Pilger war die Straße so gut wie leer gefegt.

Um uns den langen Ritt zu verkürzen, erzählte mir Abu Hassan auch, dass euer Prophet in Medina den Grundstein für einen Staat des Glaubens gelegt habe. Vergeblich habe er aber auch gehofft, dass die Juden ohne weiteres seine Botschaft aufnehmen würden. Als sie das nicht taten, hat er die Gebetsrichtung gewechselt. Nicht mehr in die Richtung von Jerusalem, sondern mit dem Gesicht gen Mekka habe man von da ab gebetet.«

»Henri!«, warf Uthman entsetzt ein, »nicht wir haben die Richtung des Gebetes geändert, Allah hat das dem Propheten – Friede sei mit ihm! – offenbart. Die Juden waren verstockt!«

»Lass uns nicht streiten!«, beschwichtigte Henri. »Vielleicht hat jedes Volk seinen Propheten und seinen eigenen Glauben. Wir sollten dankbar sein, dass wir Freunde sind – und dass Joshua unser Freund ist. Aber ich gebe zu, dass ich nur mit halbem Ohr hinhörte, weil ich versuchte, ein paar Worte von dem leisen Gespräch zu erhaschen, das der Emir mit seiner Qayna führte. Seine Lieblingskonkubine gab sich jedoch ziemlich einsilbig. Mein Verdacht, dass sie bestrebt war, sich von dem Emir zu lösen, verstärkte sich. Aber ging mich das etwas an? Hatte ich nicht schon einmal Schiffbruch erlitten, als ich für Abu Hassan eingetreten war? War es nicht besser, den Emir im Ungewissen zu lassen? Wahrscheinlich war mein Verdacht nicht einmal begründet.

Wir fanden Unterkunft bei den Verwandten von einem der Getreuen. Die Qayna sagte mit kaum vernehmbarer Stimme, sie sei sehr müde und wolle sich zurückziehen. Man solle sie bis zum Frühgebet schlafen lassen. Vielleicht entsprach ihre Behauptung sogar der Wahrheit. Aber Abu Hassan, der während der Zeit seiner Gefangenschaft sehr hellhörig geworden war, glaubte einen falschen Ton bemerkt zu haben. ›Ich schlage vor, dass wir vor ihrer Tür abwechselnd Wache halten, um zu beobachten, ob dort ein Fremder Zutritt sucht‹, flüsterte er mir zu.

Nun mischst du dich wieder einmal in Dinge, die dich nichts angehen!, dachte ich, weil ich fürchtete, dass ich mir erneut die Finger verbrennen würde. Aber ich wollte Abu Hassan, der sich seit seiner Befreiung als Beschützer des Emirs fühlte, keine Absage erteilen. Denn du weißt aus Erfahrung, Uthman, dass ihr Sarazenen sehr schnell beleidigt seid, wenn Freunde eure gut gemeinten Vorschläge ablehnen.«

»Das stimmt!«, bestätigte Uthman. »Aber auf mich trifft das nicht zu. Seit meinem Aufenthalt in Cordoba bin ich schon fast ein Spanier geworden.«

»Abu Hassan hatte die erste Wache übernommen. Er ermüdete immer noch schnell und wirkte enttäuscht, weil er die Nachtstunden umsonst geopfert hatte.

Aber auch ich wachte vergebens und leistete in Gedanken Abbitte, weil ich die Qayna verdächtigt hatte, einen Geliebten zu empfangen. Einmal hörte ich leise Schritte und versteckte mich in einer Nische. Aber es war der Emir, der das Schlafgemach seiner Lieblingskonkubine betrat, um die nächtlichen Freuden zu genießen.

Als der Vorbeter von der Moschee zum Morgengebet rief, kehrte ich zu Abu Hassan zurück. ›Wir haben uns geirrt‹, gestand ich beschämt. ›Wir haben die Qayna zu Unrecht verdächtigt.‹ Aber Abu Hassan blieb bei seinem Verdacht.

Es war Jaum al-Dschuma, ein Freitag, an dem ihr ja gehalten seid, eure Arbeiten zu unterbrechen, um an den gemeinsamen Gebeten teilzunehmen. Eine unabsehbare Menschenmenge strebte dem Bethaus zu. Sie schubsten und drängten sich, um in den vorderen Reihen einen Platz zu finden. Dem Emir wurde eine Vorzugsstellung in der Nähe der Gebetsnische eingeräumt, weil es üblich war, an diesem Tag Segensgebete für den Herrscher zu sprechen.

Der Imam hielt eine schier endlose Predigt, eine so genannte Chutba, die er sitzend von der Minbar aus hielt, dem hölzernen Podium, das dem Imam vorbehalten ist. Er hatte für dieses Freitagsgebet eine der längsten Suren ausgewählt. So blieb mir Zeit, mich heimlich nach der Qayna umzusehen, die im hinteren Teil zwischen den Frauen saß. Ihr Benehmen schien mir unauffällig, obwohl Abu Hassan später behauptete, sie habe des Öfteren in die Reihe der Männer gestarrt, aber nicht zur Mihrab, wo der Emir als Herrscher seinen besonderen Platz eingenommen hatte.

Fünfmal an diesem Tag wiederholte sich euer Gottesdienst in der Moschee. Wir kehrten erst spät an diesem Freitag nach dem Abendgebet zurück. Abu Hassan fühlte sich erschöpft, und auch ich spürte die Müdigkeit. Die Qayna zog sich mit Erlaubnis des Emirs in ihr Schlafgemach zurück, und auch Nadjm Ghazi entfernte sich, nachdem er uns mitgeteilt hatte, dass für morgen der Aufbruch nach Mekka geplant sei. ›Der Ritt zum heiligsten Ort des Islams und die vorgeschriebenen Riten dort werden für uns beide sehr anstrengend sein‹, meinte Abu Hassan. ›Wir brauchen unsere Nachtruhe und werden darum auf eine nächtliche Beobachtung der Qayna verzichten.‹ Dass ich Mekka niemals sehen würde, wusste ich zu dieser Zeit noch nicht.«