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»Was nur konnte dich von einer Haddsch – Wallfahrt – nach Mekka abhalten?«, rief Uthman fassungslos.

»Du wirst es gleich verstehen«, erwiderte Henri. »Gegen drei Uhr nachts ertönte ein lautes Hämmern gegen das Eingangsportal. Wir alle eilten nach unten, um zu sehen, wer dort so stürmisch Einlass begehrte. Vor uns standen die Glaubenswächter, die unter den Gläubigen wegen ihrer Strenge gefürchtet waren. Sie verbeugten sich vor Nadjm Ghazi. ›Verzeiht die ungebührliche Störung, Emir von Al-Qudz, aber wir haben eine Frau aufgegriffen, die behauptet, Eure Konkubine zu sein. Sie war parfümiert und geschminkt wie eine käufliche Dirne und verließ ohne Begleitung das Haus eines verheirateten Mannes. Wir wollen die Angaben dieser Frau überprüfen, ehe wir an ihr die gesetzliche Strafe vollziehen, die unser Prophet in der Sure An-Nur, der Sure vom Licht, festgesetzt hat: Wenn eine Frau und ein Mann Unzucht begehen, dann geißelt jeden von ihnen mit hundert Hieben. Habt kein Mitleid mit ihnen angesichts der Rechtsbestimmungen der Religion Gottes.‹

Der Emir wurde so blass wie die weißen Tücher der Pilger am ersten Tag der Wallfahrt. ›Zeigt mir diejenige, die ihr beschuldigt!‹ Die Glaubenswächter stießen eine verschleierte Frau vor sich her, und der Emir lüftete ihren Schleier. ›Diese hier ist meine kaukasische Sklavin, die ich für viel Geld erworben habe. Ich selbst werde die Strafe an ihr vollziehen, die einer entlaufenen Sklavin zukommt.‹ Mit vielen Verbeugungen zogen sich die Glaubenswächter zurück.

Der Emir wandte sich an Abu Hassan. ›Du kennst unser Gesetz. Bei der Vollstreckung der Pein soll eine Gruppe von Gläubigen anwesend sein. Schaffe diese Sklavin in meine Gemächer und hole die anderen Gläubigen des Hauses herbei! Bindet die Füße dieser Frau zusammen und hängt sie mit dem Kopf nach unten auf!‹ Er wandte sich mir zu. ›Auch dich, mein Freund, erwarte ich, damit du der Strafe beiwohnst, die der Prophet in der Sure vom Licht von uns fordert.‹

Zu meiner Beschämung muss ich gestehen, dass ich es nicht wagte, dem Emir zu widersprechen. Als ich den Raum betrat, hatten die anderen Männer die Qayna schon an den Füßen aufgehängt. Sie gab keinen Laut von sich, bis der Emir mit einer geflochtenen Lederpeitsche den Raum betrat. Erst da begann sie, zu weinen und um Gnade zu flehen. Ich wusste aus Erfahrung, dass es vergeblich sein würde, den Emir um Barmherzigkeit zu bitten. Er bestimmte Abu Hassan dazu, die Schläge laut zu zählen.

Als der erste Schlag fiel, begann die Qayna laut zu schreien. Sie krümmte sich und wand sich hin und her, als ob es eine Möglichkeit gäbe, den Schlägen zu entkommen. Beim zwanzigsten Schlag verstummte sie. Ich fürchtete, dass sie die Besinnung verloren hatte. Längst zeigte ihr Rücken blutige Wunden. Ich konnte diese Bestrafung nicht mehr mit ansehen. Endlich fand ich den Mut, den ich schon längst hätte wagen sollen. ›Haltet ein, Nadjm Ghazi! Ihr peinigt diese Frau sonst noch zu Tode!‹

Es war nicht üblich, in den Vollzug einer Bestrafung einzugreifen. Das begriff ich sogleich. Abu Hassan hörte auf zu zählen, und die anderen Männer sahen mich empört an. Der Emir entschloss sich zu einem grimmigen Lächeln, das mir mein Blut in den Adern gefrieren ließ. ›Du bist als ehemaliger Templer vielleicht nicht unseren Gesetzen verpflichtet, obwohl du behauptet hast, zum wahren Glauben gefunden zu haben. Aber noch fehlen dir gründliche Kenntnisse des Korans, der Sunna und des Hadith. Ich rate dir, eine Medresse zu besuchen, wo du Unterricht im Recht erhalten kannst. Für heute gestatte ich dir, dich zu entfernen.‹ Ich nahm dieses Angebot an, denn ich begann, den Emir aufs Neue zu hassen.«

»Hat die Qayna diese Tortur überstanden?«, fragte Uthman. In seiner Stimme klang kein Mitleid.

»Ja, und am nächsten Tag teilte uns der Emir seine Entschlüsse mit. Ich sah ihm aber an, dass diese grausame Bestrafung auch ihm zugesetzt hatte. ›Ich werde nach Mekka pilgern, um dort die vorgeschriebenen Riten zu erfüllen: die Gebete in der Gemeinschaft der Rechtgläubigen, der umma, das Tawaf, die siebenmalige Umrundung der Kaaba, vor allem aber auch die Steinigung des Teufels. Wie ich jetzt leidvoll erfahren musste, hat der Satan mit uns ein leichtes Spiel. Das Verhalten vieler Menschen widerspricht dem Geist unseres Glaubens. Ich möchte dich bitten, Abu Hassan, dass du mich auf der Haddsch nach Mekka begleitest.‹ Mich überging er. Ich hatte die Prüfung nicht bestanden. Das machte mich trotzig.

›Was wird aus der Qayna?‹, fragte ich möglichst barsch. Nadjm Ghazi sah mich bitterböse an. Ich hatte eine Frage gestellt, die mir nicht zukam. Aber er antwortete mir. ›Ich werde meine Sklavin mit einigen mir treu ergebenen Gefolgsleuten nach Al-Qudz schicken. Dort soll sie in strengem Gewahrsam gehalten werden, bis ich in meinen Palast nach Jerusalem zurückkehren und über ihr weiteres Schicksal entscheiden werde. Eines steht fest: Niemals mehr wird sie tanzen können.‹

›Ich habe den Wunsch, Frankreich und meine dortigen Freunde wieder zu sehen‹, sagte ich mit fester Stimme.

Der Emir betrachtete mich lächelnd. ›Diese Entscheidung scheint auch mir die beste zu sein. Damit du aber nicht in die Hände dieser gefährlichen Anhänger des längst verstorbenen Mamelucken Baibars gerätst, werde ich dir einige erprobte Kämpfer mitgeben. Sie haben den Auftrag, dich sicher zum Hafen von Haifa und dort auf ein Schiff zu bringen, das nach Frankreich segelt. Zudem verspreche ich dir, dass ich diesen verbrecherischen Verräter Louis und die falschen Franziskaner aufspüren und hart bestrafen werde.‹ Ich vertraute ihm und hatte nur noch den einzigen Wunsch, nach Frankreich in den Kreis meiner Ordensbrüder heimzukehren.«

»Das glaube ich dir aufs Wort!«, rief Uthman und legte seinen Arm um die Schultern des Freundes. »Ich bin dir dankbar, dass du mir so schonungslos und aufrichtig von deinen Erlebnissen in Al-Qudz erzählt hast. Wie du mir schon früher einmal sagtest: Man kann aus jeder Geschichte eine Lehre ziehen. Das werde ich nun versuchen.«

EPILOG

Zwei Tage später legte die Karavelle im Hafen von Ciutadella an. Betäubt von dem städtischen Getriebe, dem Lärm und dem Gedränge, wanderten die beiden Flüchtlinge zunächst ziellos durch die Stadt. Die Paläste wirkten prächtig, aber auch abweisend. Erst als es dämmerte, fanden sie in den verwinkelten Gassen eine Herberge mit einer sauberen Schlafstelle. Als auch kein Ungeziefer zu entdecken war, streckten sie sich müde und zufrieden auf ihrem Lager aus.

»Die Kathedrale hier ist auf den Grundmauern der arabischen Moschee errichtet worden«, murmelte Uthman kurz vor dem Einschlafen.

»Darüber bin ich sehr froh«, erwiderte Henri. »Denn in diesem Gotteshaus werden wir beide, ob nun Anhänger des Propheten oder Christ, morgen unsere Dankesgebete an Gott und Allah richten können.«

Historische Nachbemerkung:

Jerusalem – eine heilige Stadt zwischen Christen, Muslimen und Juden

Jerusalem – eine heilige Stadt des Islams