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»Das alles ist allerdings schon lange her«, warf Henri ein. »Baibars starb sieben Jahre nach der Eroberung von Jerusalem. Warum also begegneten mir die Mamelucken so feindselig?«

»Das frage ich mich allerdings auch«, gab Uthman zu bedenken.

»Ich versuche eine Erklärung. Ohne Zweifel hat Sultan Baibars eine bedeutende Rolle gespielt. Obwohl er als Vorkämpfer eures Propheten die christlichen Kreuzfahrer besiegt hatte, pflegte er dennoch gewinnbringende wirtschaftliche Beziehungen mit den christlichen Mittelmeerländern. Er hatte auch Nubien zu seinem Vasallen gemacht und den Handel im Roten Meer übernommen. Kairo wurde nicht nur zu einer Wirtschaftsmetropole, sondern strahlte auch im Glanz prächtiger Monumente. Dies alles hatten die Mamelucken nicht vergessen. Ihr Ziel war es damals wohl, das Ansehen ihrer Dynastie wieder herzustellen.«

»Dabei solltest du ihnen helfen?«, fragte Uthman ungläubig.

Henri schüttelte den Kopf. »Ich war nur ein kleines Rädchen in diesem Räderwerk. Aber sie hatten mir eine Aufgabe zugedacht, die mich später in Jerusalem in höchste Gefahr bringen sollte. Als ich im Verlies unseres ehemaligen Wachturms mehr tot als lebendig in den Ketten hing, löste sich aus dem Schatten der Mauer der geheimnisvolle Mann, der mit Louis Verbindung aufgenommen hatte. Von Anfang an hatte wohl ein Plan bestanden, mich in die Gewalt der Mamelucken zu bringen. Das war gelungen.«

»Louis, dieser hinterhältige Verräter!«, rief Uthman wütend.

»Hätte er den Anweisungen seiner Befehlsgeber nicht gehorcht, wäre das sein sicherer Tod gewesen«, versuchte Henri seinen Feind zu entschuldigen. »Der Fremde, der mich schon an Bord beobachtet hatte, trat auf mich zu. Er trug Mameluckentracht und hielt eine neunschwänzige Peitsche in der Hand. ›Du hast die Wahl, Tempelritter‹, sagte er drohend, ›entweder führst du den Auftrag aus, den wir dir erteilen, oder wir werden dich sehr langsam totschlagen, sodass du dir wünschen wirst, niemals geboren zu sein.‹ Er gab mir, um mich einzuschüchtern, einen Schlag mit der Peitsche.«

»Schnell, Henri, schau!«, entfuhr es Uthman.

Henri hob den Kopf und sah auf das Meer, in die Richtung, in die Uthmans ausgestreckte Hand wies. »Also hat man uns doch verfolgt…!«, rief er aus.

Das große Schiff, das gerade eben noch so weit entfernt gewesen war, hatte sich bis auf wenige Seemeilen genähert. An Bord standen bewaffnete Soldaten, die Mannschaft hatte sämtliche Segel gesetzt. Am Hauptmast flatterte die Fahne des französischen Königs.

»Der Segler heute Morgen!«, sagte Henri hastig, »er war uns auf der Spur und hat dem Kriegsschiff den Weg gewiesen.«

»Was sollen…?«

Doch bevor Uthman weitersprechen konnte, kam schon der Kapitän aus seiner Kammer gelaufen, er hastete über Deck, lehnte sich an die Reling und konnte seinen Blick gar nicht mehr von den Verfolgern abwenden. Schnell schrie er knappe Befehle an die Mannschaft.

Seeleute kletterten auf die Masten, um weitere Segel zu setzen. Doch Uthman und Henri wussten, dass das wenig nützen würde: Es konnte nur noch Stunden dauern, bis das Kriegsschiff die Kogge einholte, und was Henri und Uthman dann erwartete, war beiden klar: Man würde die Kogge entern und sie gefangen setzen oder – schlimmer noch! – sie an Ort und Stelle hinrichten. Es sei denn, die Mannschaft des Kapitäns kämpfte erfolgreich gegen die königlichen Truppen. Doch das war kaum zu hoffen.

Der Kapitän bemerkte, dass Henri und Uthman besorgt waren. »Eine reine Routineangelegenheit!«, behauptete er, aber seine vor Schreck geweiteten Augen zeigten nur allzu deutlich, dass er log; vielleicht wollte er sich auch nur selbst Mut zusprechen. Jedenfalls hatte auch er Grund, sich vor den Soldaten zu fürchten; das immerhin war nun klar, und daher wussten Henri und Uthman, dass er nichts von ihrer Identität ahnte und auch nicht beabsichtigte, sie der Inquisition auszuliefern.

Er zuckte zusammen, als direkt über ihm eine Möwe heiser aufschrie. Er blickte ihr nach in den blauen Himmel, dann lächelte er plötzlich und ging ganz langsam, fast fröhlich, in seine Kajüte zurück.

Henri brach seine Erzählung ab. »Es beginnt zu dämmern. Wir sollten jetzt den oberen Aufbau aufsuchen, wo sich die Kämpfer aufhalten. Die nächsten Stunden könnten entscheidend werden. Und was die Mamelucken unter Androhung eines qualvollen Todes von mir verlangten, kann ich dir auch später berichten – wenn es ein Später noch gibt!«

3

Die Wachleute auf dem obersten Deckaufbau zeigten sich wenig überrascht, als Henri und Uthman bei ihnen auftauchten. Sie hatten schon ihre Schritte auf der hölzernen Leiter gehört, die nach oben führte.

Henri bemerkte, dass die Wachen fröhlich und keineswegs besorgt wirkten. Offenbar wollten sie ihn ja den königlichen Truppen nicht ausliefern. Warum sahen sie dann so vergnügt zu den Wolken auf, während sich das Kriegsschiff allmählich annäherte?

Uthman hatte angenommen, dass sich die Wachmannschaft des Schiffes von den anderen Matrosen unterschied, aber er sah sich getäuscht. Weder trugen sie besondere Kleidung, die sie den Piraten ähnlich sehen ließ, noch hielten sie Lanzen oder Schwerter bereit. In ihren Gürteln steckten Dolche und Messer – nicht andere, als Uthman selbst sie trug. Aber dann entdeckte er doch etwas Außergewöhnliches. Einer der Wachleute war ein Mädchen in einer einfachen Baumwollhose. Sie trug ein Leinenhemd und hatte ihre Haare unter einem Kopftuch verborgen, wie es Piraten zu tragen pflegten.

Einer der Wachleute, der sich Arturo nannte, bemerkte Uthmans Erstaunen. »Das Mädchen hier ist meine Beute. Bei dem letzten Überfall der Piraten habe ich sie geschnappt, als sie nicht schnell genug über die Bordwand auf das Kaperschiff zurückgesprungen ist. Ich musste sie erst zähmen, aber jetzt kommen wir ganz gut miteinander aus: Ich habe sie wählen lassen, ob sie sich mir fügen oder lieber einem Richter ausgeliefert werden wolle.« Er zog sie zu sich heran und biss ihr spielerisch in ein Ohrläppchen. Als das Mädchen fauchte wie eine Katze, gab er ihr einen leichten Backenstreich.

»Hattet ihr schon des Öfteren Überfälle von Piraten?«, erkundigte sich Henri.

Arturo starrte ihn verwundert an. »Wusstet Ihr nicht, dass das Mittelmeer schon immer deren bevorzugtes Jagdrevier gewesen ist?«

»Doch«, erwiderte Henri. »Aber ich dachte, dass die Macht der Piraten seit den Zeiten der Römer längst vorüber sei. Denn ein berühmter Römer mit Namen Pompeius soll mit Seeräubern kurzen Prozess gemacht haben.«

Uthman wollte sich auch als Kenner der Piraterie im Mittelmeer zeigen. »Sogar Gaius Julius Caesar geriet in die Gefangenschaft der Seeräuber. Sie ließen ihn erst gegen ein nicht geringes Lösegeld frei.«

»So ist es bis heute geblieben«, sagte Arturo. »Aber Ihr glaubt doch wohl nicht, dass in den vielen Jahren seit dieser Zeit nicht auch andere auf die Idee gekommen wären, Schiffe zu überfallen und Lösegelder zu fordern? Das ist immerhin eine recht einträgliche Geldquelle!«

Henri äußerte noch eine Sorge. »Dieses Mädchen hier könnte doch zu einer Gefahr werden. Denn vielleicht gibt sie Piratenschiffen Zeichen, wenn eine besonders kostbare Ladung an Bord ist.«

»Sie wird sich hüten«, mischte sich jetzt auch noch der andere Wachmann ein. »Denn sie ist die Tochter eines Advokaten und mit dem Anführer einer Seeräuberbande durchgebrannt. Sobald das Piratenschiff mit ihrem Geliebten in Sichtweite ist, halten wir ihr ein Messer an die Kehle. Wenn der Anführer der Piraten seinen Schatz unversehrt zurückerhalten will, muss er wohl oder übel auf jede andere Ware verzichten.«

»Der Advokat wäre sogar bereit, ein ansehnliches Lösegeld für seine Tochter zu bezahlen. Aber sie weigert sich. Denn noch immer brennt die Liebe lichterloh.« Arturo lachte.