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»Komm mit in die Unterkunft!«, rief Henri. Aber sie hatten noch nicht den Zugang zum Deckaufbau erreicht, als ein prasselnder Regen auf die herabstürzte und in Sekundenschnelle durchnässte. Daran wäre auch nichts zu ändern gewesen, wenn sie die Unterkunft eher erreicht hätten. Denn im Inneren stand das Wasser schon bald knöcheltief. In dem schmutzigen lehmgelben Wasser, das der Sturm vom Untergrund des Meeres nach oben gespült hatte, schwammen Näpfe und zerbrochenes Geschirr.

Jetzt verstanden Henri und Uthman, warum der Kapitän plötzlich so unbesorgt gewesen war. Als erfahrener Seemann hatte er beim Blick in den Himmel die Zeichen des kommenden Sturmes wohl erkannt und gewusst, dass das schwerfällige französische Schiff sämtliche Segel einholen musste, wollte es nicht Gefahr laufen, in dem Gewitter unterzugehen. Ernesto di Vidalcosta konnte sich ausrechnen, dass man seine Kogge weder überholen noch entern würde. Der Sturm hatte Henri und Uthman das Leben gerettet. Beide schickten einen stillen Dank an ihren Gott. Welche Gefahren lauerten noch auf sie? Was, wenn der Kapitän tatsächlich mit den Piraten unter einer Decke steckte und ganz eigene Gründe hatte, die Truppen des Königs zu fürchten?

Die Matrosen hatten ihre Unterkunft verlassen und versuchten mit allen Kräften, am Reff die Segelfläche zu verkleinern, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten. Zu spät! Eine Sturmböe fegte über das Meer heran und zerriss mit gewaltigem Zischen das Tuch aus Hanf und Baumwolle. Der Mast neigte sich bis auf die Meeresoberfläche. Noch hielt er stand, aber ein Geräusch des Berstens wäre ohnehin nicht hörbar gewesen. Denn das Gewitter war näher gerückt, und ein Donnerschlag folgte auf den anderen. Einige Matrosen hatten sich darangemacht, Wasser aus dem Rumpf zu schöpfen, um die Schieflage der Kogge einigermaßen aufzuheben.

Jetzt tobten die Elemente. Schwere schwarze Regenwolken rasten über den Himmel, Blitze zerrissen die Finsternis. Es donnerte, und der wilde Wind brüllte. Das Schiff ächzte und schwankte, wurde von den Wogen in die Höhe gestemmt und fiel gleich darauf in ein tiefes Wellental. Überall war Wasser – von oben peitschte es herab, von den Seiten schwappte es ins Schiff, von unten drückte es durch die Planken. In das Donnern und Brüllen, in die harten Rufe der Seeleute und das beängstigende Flattern der von Böen gerüttelten Segelreste mischte sich das Kreischen der Möwen, die aufgeregt um die Masten kreisten. Wie weiße Gespenster leuchteten sie grell auf, wenn es blitzte. Durch Wolkenfetzen schien immer wieder der fahle Mond.

»Verfluchtes Meer!«, schrie Uthman zornig gegen den Lärm des Sturms an. »Warum sind wir nicht an Land geblieben?« Noch war das letzte Wort dieser Verwünschung nicht gesprochen, als, zusammen mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag, ein berstendes und splitterndes Geräusch ertönte.

»Der Mast!« rief Uthman laut. »Wie sollen wir ohne Segel und Mast jemals nach Menorca kommen?« Er erhielt keine Antwort. Ein Matrose stürzte mit einer Axt in der Hand in die Unterkunft. »Wir mussten den Mast fällen!«, rief er laut. »Sonst wären wir gekentert.«

Es war nicht abzusehen, ob die Seeleute mit dieser Maßnahme vielleicht voreilig gehandelt hatten. Denn in der Morgenfrühe verzogen sich Sturm und Gewitter ebenso schnell, wie sie herangekommen waren. Nur die Wellen blieben noch mehrere Stunden meterhoch, sodass die Matrosen den Landratten dringend davon abrieten, auf das Deck zu kommen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, über Bord gespült zu werden.

Erst am nächsten Morgen ließ sich das vollkommene Bild der Zerstörung erkennen. Der Sturm hatte das Segeltuch mit sich gerissen, und der Mast war, trotz der verzweifelten Bemühungen der Matrosen, über Bord gespült worden. Man müsse noch froh sein, erklärten die Seeleute, dass der Mast nicht gegen die Bordwand geschleudert worden sei. Denn dort hätte er mit Sicherheit ein Leck geschlagen.

Gegen Mittag waren die Wellen so niedrig, dass der Kapitän den Entschluss fasste, die Mannschaft an die Ruder zu befehlen. Er hatte zuvor die Seekarte studiert und festgestellt, dass es möglich sein müsste, in einigen Stunden eine Bucht zu erreichen.

»Es handelt sich um mehrere kleine Felseilande, die Pityusen oder Pinieninseln. Die Karte merkt an, dass sie sehr schroffe und steile Ufer haben. Falls eine der Inseln bewaldet ist, werden wir einen geeigneten Baum für einen neuen Mast fällen.«

»Und ein Segel? Wo sollen wir das herbringen?«, fragte Uthman, der über den Kapitän ziemlich aufgebracht war.

»Im Rumpf unserer Kogge lagert für solche Fälle immer ein Ballen Baumwolle, aus dem wir ein Ersatzsegel anfertigen können. Meine Matrosen sind in dieser Arbeit sehr geübt. Zuvor muss indes die Baumwolle trocknen.« Uthman enthielt sich jeder weiteren Meinungsäußerung. »Vielleicht wäre es nicht dumm«, sagte er zu Henri, nachdem der Kapitän weggegangen war, um seine Befehle zu erteilen, »wenn wir den Matrosen für ihre zusätzliche Arbeit Geld zustecken würden. Ich möchte nicht, dass sie uns als unnötigen Ballast auf der Insel zurücklassen. Außerdem kenne ich die Pityussai von Büchern her«, fügte er flüsternd hinzu. »Mag sein, dass wir an einem unbewohnten Inselchen ankommen, aber insgesamt sind es nicht mehr als vier, fünf Eilande, und zwei davon, Ibosim und Frumentaria, sind groß genug, um auf jeden Fall bewaldet zu sein, und sie sind ganz sicher bewohnt. Soweit ich weiß oder soweit meine Bücher das wussten, gehörten sie bis vor kurzem uns Arabern. Vielleicht ist das noch so, auf jeden Fall aber töten die strengen Herrscher jeden Christen. Der Kapitän lügt uns an!«

»Vielleicht wäre es dann tatsächlich besser«, meinte Henri, »wenn wir unsere Hilfe anbieten. Das Trocknen der Baumwolle kann doch nicht so schwer sein. Und je schneller wir nach Menorca kommen und von diesem Schiff gehen können, desto besser für uns.«

Inzwischen hatten sich die Wolken verzogen. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel, und die Ruderer schwitzten und fluchten. Erst nach mehreren Stunden erreichten sie die Bucht, die der Kapitän auf der Karte ausfindig gemacht hatte. Der würzige Geruch von Sträuchern stieg ihnen in die Nase. Auf der kleinen Insel gab es kein Hinterland, und in dem niedrigen Gestrüpp boten sich nur wenige Bäume an, um daraus einen Mast zu zimmern. Am Horizont sahen sie zwei große Inseln als blasse Silhouetten.

Der Kapitän gönnte seinen Leuten keine Ruhe. »An die Arbeit, Männer!«, rief er barsch und befahl einem Matrosen, die Äxte aus der Gerätekammer zu holen. Vier von ihnen hievten den nassen Baumwollballen aus dem Schiffsrumpf an Deck und warfen ihn möglichst weit in Ufernähe ins Wasser. Mit Mühe rollten sie das triefende Tuch auf den nassen Sand.

Henri betrachtete den Ballen. »Es wird nicht leicht sein, das nasse Tuch auseinander zu rollen. Wir helfen gern.«

Die Seeleute machten Gesichter, als ob sie ausdrücken wollten, dass sie auf diese Hilfe verzichten könnten. Wahrscheinlich würden diese beiden doch nur im Weg herumstehen. Aber der Kapitän nahm das Angebot ohne Zögern an. Er ließ sogar die förmliche Anrede fallen und ging zum Du über, als ob Henri und Uthman zu seiner Mannschaft gehörten. »Rollt den Ballen auf und hängt ihn stückweise an die Äste der wenigen Bäume hier. Wenn ihr euch geschickt anstellt, müsste sich auf diese Weise der Ballen lösen lassen.«

Uthman beobachtete, dass die Matrosen grinsten. Sie würden sich wundern! Er dachte an die Überfahrt von Antiochia nach Zypern. Damals hatte ihn der Kapitän rücksichtslos an Bord arbeiten lassen. Nur Henris empörtem Eingreifen hatte er es damals zu verdanken, dass er nicht auch noch für eine schlechte Arbeit mit Schlägen bestraft worden war. »Also, packen wir es an!«, ermunterte er Henri, der sich das nicht zweimal sagen ließ.