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Sie nickte.

»Wenn Name für Mann. Für Frau meint Tochter der Sonne.”

Ein stolzer Name für dieses Mädchen, das in unförmiger Jacke und ausgebeulten Hosen im Gras kauerte, eine gute Armlänge von ihm entfernt. Ihre kräftigen Hände, die die Halme durchkämmten, waren rissig, voller Schwielen und mit Trauerrändern unter den kurzen Nägeln.

Ein Bauernmädchen, das tagein, tagaus Knochenarbeit auf den Feldern leistete und Weizengarben auf dem Rücken schleppte.

Nicht ein einziges Mal hob sie die Hand, um die feinen Strähnen, die der Wind aus ihrem Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht zu streichen. Flächig und rund war es, fast wie ein Herbstmond über den Feldern.

Wäre da nicht das entschlossene Kinn gewesen. Ein ausgeprägter Winkel des Jochbeins, der ihrem Gesicht seine Schärfe gab. Wie zu früh von Entbehrungen gezeichnet.

Ein Waisenmädchen, das sich durchs Leben schlug, indem es auf der Straße bettelte.

Dasselbe Mädchen, das unter der Pagode von Chimoo in geschmeidigen Sprüngen und Drehungen gezielt Tritte und Hiebe austeilte. Eine furchtlose Kriegerin mit funkelnden Augen, ihr Schwert ein glänzender Bannstrahl.

Womöglich spielte ihm seine Erinnerung gerade einen Streich, und er geriet ins Fantasieren. Es änderte jedoch nichts daran, dass er in der Schuld dieses Mädchens stand. Und Robert Fortune blieb nie jemandem etwas schuldig.

»Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet. Für deine Hilfe. In Chimoo. Danke.«

Ein Blick aus dunklen Mandelaugen richtete sich auf ihn, senkte sich dann wieder; ihre Wangenknochen färbten sich leicht, und sie schüttelte den Kopf, wie unwillig.

»Doch«, blieb er beharrlich. »Ich weiß nicht, wie ich sonst …«

»Shenhu«, fiel sie ihm barsch ins Wort.

Verdutzt blieb Fortune einige Herzschläge lang stumm.

»Was heißt das … Schönn Schönn-jü?«

»Shenhu«, wiederholte sie mit Nachdruck. »Nicht Chimoo. Shenhu.«

Wieder und wieder versuchte er murmelnd die Laute nachzuahmen, während er sie in sein Notizbuch eintrug.

»Aber Chusan ist richtig, ja? Für das hier?«

Mit seiner Handbewegung schloss er den Hügel, auf dem sie kauerten, die Berghänge dahinter und die gesamte Insel ein.

»Zhoushan.«

»Chusan«, wiederholte er gehorsam.

»Zhou. Shan.«

»Tscho… Tschu… Ah.«

Er lachte auf, als er den feinen Unterschied zwischen den Lauten verstand, und auch in den Augen des Mädchens glomm es auf.

»Boot. Berg«, erklärte sie. »Zhou. Shan.«

»Boot und Berg«, murmelte Fortune und ließ seinen Blick über die Hügel und Täler schweifen.

Das Bild, wie diese gebirgige Insel als ein Boot im Meer lag, gefiel ihm.

»Ein Berg wie ein Boot … Ja, das verstehe ich.«

Er lächelte.

Ein Lächeln, das Lian erwiderte, bevor sie sich wieder den Gräsern widmete. Sie reckte die Hand vor, um unweit von Fortunes Knie über einen Halm zu streichen und ihn dann abzurupfen. Ihr Handrücken und ihre Finger waren übersät von feinen Narben, wie von Vogelschnäbeln. Eine weitere solche helle Kerbe entdeckte er oberhalb ihres Jochbeins, am äußeren Augenwinkel.

Biegsam wie eine Weide. Stolz und stark wie die Sonne.

Dieses rätselhafte Mädchen, bei dem er nicht einschätzen konnte, ob sie so lange geschwiegen hatte, weil sie ihn an der Nase herumführen wollte oder einfach nur misstrauisch und scheu war.

Um weitere Worte verlegen, konzentrierte Fortune sich wieder auf Anemone hupehensis. Auf die nüchternen Fakten, die er in den verlässlichen, eindeutigen Vokabeln der Botanik notierte.

Aus den Instruktionen der Horticultural Society of London für Mr Robert Fortune

Es ist unnötig, die Pflanzen ausführlich zu schildern, nach denen Sie Erkundigungen einholen sollen. Es ist jedoch erwünscht, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Folgende lenken:

1. Pfirsiche aus Peking, kultiviert im Garten des Kaisers, die zwei Pfund auf die Waage bringen sollen.

2. Baum- und Strauchpäonien.

3. Päonien mit blauen Blüten, deren Existenz jedoch zweifelhaft ist.

4. Gefüllte gelbe Rosen, von denen angeblich zwei Arten in chinesischen Gärten vorkommen. Ausgenommen davon: die bereits bekannte Rosa banksiae.

5. Verschiedene Arten von Lotos (Nelumbium).

6. Die Fingerzitrone, auch »Buddhas Hand«, »Haong Yune« oder »Fow-Show« genannt, und andere eigentümliche Sorten der Gattung Citrus.

7. Kamelien mit gelben Blüten, sofern sie existieren.

8. Die echte Mandarinorange, »song-pee-leen« genannt.

9. Die Orange, die »cum-quat« genannt wird.

10. Die Azalee auf Lo-fu-shan, einem Berg in der Provinz Canton.

11. Die Lilien von Fukien, die gekocht und wie Kastanien gegessen werden.

12. Die Südseepalme (Oxalis sensitiva).

13. Die Pflanzen, die Tee in verschiedenen Qualitäten hervorbringen.

14. Varietäten von Sternanis (Illicium).

15. Die Varietäten von Bambus und deren Verwendung.

Obwohl uns Angaben zu der Methode vorliegen, mit der Chinesen Bäume von kleinem oder sehr kleinem Wuchs züchten, werden zu diesem bemerkenswerten Thema weitere Informationen gewünscht.

Denken Sie immer daran, dass winterharte Pflanzen oberste Priorität haben. Die Pflanzen sind umso weniger wert, je mehr Hitze benötigt wird, um sie zu kultivieren.

Wasserpflanzen, Orchideen oder Pflanzen, die besonders auffällige Blüten hervorbringen, stellen hiervon eine Ausnahme dar.

15

Ich musste mich nicht nach ihm umdrehen, er war nicht zu überhören.

Schwer trat er auf dem Erdboden auf. Jeder seiner Schritte ließ die hohen Gräser rascheln und knistern, in dieser ruhigen, ausgreifenden Gangart, die nie aus dem Takt geriet.

Erstaunlich, wie arglos er mir durch den Wald folgte, anscheinend ohne jeden Hintergedanken.

Erstaunlich, wie wenig von meinem Misstrauen übriggeblieben war. Von meiner Vorsicht.

Sie leuchteten uns schon entgegen: diese Früchte, nach denen er mich gefragt hatte, Tropfen aus warmem Gold in den dunklen Baumkronen.

Ich hörte ihn überrascht einatmen, bevor ich etwas sagen konnte.

»Hier«, erklärte ich trotzdem. »Das sind die …«

Aus all den Worten, die mir im Lauf der Zeit zugeflogen waren, zimmerte ich mir wieder und wieder im Geiste Sätze zusammen – und brachte dann doch nur Splitter heraus, die sich auf meiner Zunge ineinander verkeilten.

Er wanderte um die Bäume herum, betastete die Blätter und die kleinen, ovalen Früchte, betrachtete sie genau.

»Das sind sie? cum-quat

Mit seiner unbefangenen Neugier hatte er etwas von einem zu groß geratenen Jungen. Und mit seinem kindlichen, grenzenlosen Staunen.

»gam gwat. Ja. Gold… Goldmandarin.«

»Und man kann sie wirklich essen?«

Er grub beide Daumennägel in die gam gwat zwischen seinen Fingern, um die Schale zu lösen.

»Nein. Nicht. Einfach essen.«

Ich rupfte auch eine vom Zweig und biss hinein, durch die zähe Schale hindurch zum bittersüßen, festen Fleisch.

Er tat es mir nach, kaute angestrengt und verzog das Gesicht. Es war ihm anzusehen, dass er sie nicht mochte; lustig sah er dabei aus.

Ich wollte ihm sagen, dass sie trotz ihrer kräftigen Farbe noch nicht ganz reif waren. Im tiefsten Winter schmeckten sie am besten, und kandiert waren sie eine Köstlichkeit.

Aber ich blieb stumm, schaute ihm einfach zu, wie er mit seinen Utensilien hantierte, Maß nahm und alles aufschrieb.

Von allen Fragen, die er mir hätte stellen können, hatte er sich die nach meinem Namen ausgesucht.

Nicht in Worten. Mit seinem eigenen Namen. Seinen Gesten, seinem Blick.

Schon lange hatte mich niemand mehr nach meinem Namen gefragt. Ein Name nützte hier nichts, wenn er nicht in Bezug zu jemandem stand.

Ich war niemandes Tochter, niemandes Schwester. Niemandes Frau. Das sah man mir an.