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Jane mochte, was unter seinem schroffen Äußeren durchschien. Eine männliche Art von Sanftheit, Zärtlichkeit beinahe. Wie er ein Blatt zwischen den Fingern rieb, über eine Blüte strich, wenn sie mit ihm im Botanischen Garten spazieren ging.

Stets ängstlich, ihre Herrschaft würde davon erfahren und es nicht billigen.

Dabei war er von der rechtschaffenen Sorte. Keiner, bei dem sie Sorge haben musste, dass er sein ganzes Geld ins nächste Pub trug wie der Mann ihrer Schwester Mary. Keiner, der nur auf eine flüchtige Liebelei aus war. Ein guter Mann, dem sie eine gute Frau sein konnte. Sparsam, wie sie war, geschickt in Haushaltsdingen und in der Küche.

Also heirateten sie.

Sie hat nicht damit gerechnet, eines Tages hier zu sitzen wie die Frau eines Seemanns, allein mit den Kindern und ganz auf sich gestellt.

Ohne die Möglichkeit, sich ihm mitzuteilen, im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

Mühselig ist es, Ereignisse und Gedanken auszuformulieren und zu Papier zu bringen. Abends, wenn die Kinder schlafen und sie selbst müde ist nach einem langen Tag voller Hausarbeit und Mutterpflichten.

Was nützt es noch, ihm im Nachhinein von dem großen Hagelsturm im August zu schreiben, als das kleine Cottage wie unter Beschuss lag, sie zitternd die weinenden Kinder an sich drückte und betete, dass das Dach heil blieb? Sie weiß auch nicht, ob es ihn interessiert, dass der Themsetunnel nach Jahrzehnten schwieriger Bauzeit und zahlreichen Überflutungen endlich eröffnet worden ist. Dass man jetzt für nur einen Penny trockenen Fußes und Hauptes unter dem Fluss durchspazieren kann, erscheint nicht nur Jane wie ein Weltwunder. Aber würde Robert das genauso sehen, in diesem fernen Land voll eigener seltsamer Wunder?

Und sie bekommt nicht niedergeschrieben, wie sehr die Abspaltung der Free Church of Scotland von der Mutterkirche sie in ihren Grundfesten erschüttert hat. In ihrem Weltbild, ihrem Glauben.

Sie vermisst es, sich in Blicken auszudrücken. In ihrer Mimik. In Gesten.

In dieser wortlosen, selbstverständlichen Sprache, die sie als Mann und Frau unter dem gemeinsamen Dach teilten.

Jane will tapfer sein. Eine gute Ehefrau. Ohne Jammern, ohne Nörgeln und Klagen.

Eine Stütze für Robert.

Auch über Tausende von Meilen hinweg.

Chiswick, den 15. November 1843

Lieber Robert,

gestern kam Dein Brief hier an. Er hat mich von der Sorge um Dich erlöst, die mich seit Deiner Abreise gequält hat.

Uns geht es gut, wir sind gesund und munter. John wächst und gedeiht und krabbelt schon emsig herum. Helen wartet auf den ersten Schnee. Aber der November ist mild dieses Jahr, mittags sonnig und golden wie ein zweiter Oktober. Eine Entschädigung für den kalten und nassen Sommer, den wir hier hatten.

Gib auf Dich Acht und schreib bald wieder.

Deine Jane

16

Montag, 27. November 1843

Bewölkt mit zeitweisem Regen bei einem Maximum von 60 Grad Fahrenheit. Minimum: 44 Grad.

Shanghai erreicht, gut 100 Meilen nordwestlich von Chusan (Zhoushan). Der nördlichste der fünf Häfen, die gemäß dem Vertrag von Nanking nun dem Westen offen stehen, Shanghai erst seit wenigen Tagen.

Die Stadt ist von hohen Mauern und Schutzwällen umgeben, Umfang etwa 3½ Meilen und nach ähnlichem Muster wie andere chinesische Befestigungen gebaut. Am Ufer eines stattlichen Flusses, der in Shanghai ungefähr so breit ist wie die Themse auf Höhe der London Bridge – ungefähr 12 Meilen von dem Punkt entfernt, wo der Shanghai River sich mit dem berühmten Yangtsekiang vereint.

(Yangtsekiang = Kind des Ozeans)

Das Hinterland jenseits der Mauern macht einen fruchtbaren Eindruck.

Insbesondere in Flussnähe scheinen mir Exkursionen lohnenswert.

AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE

Sein Weg nach Shanghai hatte ihn über Ning-po geführt.

Eine mittelgroße Stadt, etwas mehr als fünfzig Meilen von Zhoushan entfernt, zwölf Meilen im Landesinnern. An der Kreuzung zweier Flüsse, auf denen sich Boote, Dschunken und Kähne aneinanderdrängten.

In Ufernähe wimmelte das Wasser von Fischern, die jedoch nicht mit einem Netz ihrem Handwerk nachgingen: Lärmend droschen sie auf das Wasser ein, bevor sie sich die verschreckten Fische mit den bloßen Füßen aus dem Schlamm angelten; andere ließen abgerichtete Kormorane die Arbeit erledigen.

Eine alte Stadt war Ning-po, trotz der starken Festungsmauern vom Krieg gegen die Briten gezeichnet. Nicht einmal die Tempel, von denen es viele gab, waren verschont geblieben; die Roben der Priester Buddhas fluteten die engen Gassen wie die Blätter von Gingko und Ahorn im Herbstwind.

Es war eine Stadt der Gold- und Silberschmiede, und die Schreiner beherrschten die Schnitzereien und Einlegearbeiten von Möbelstücken aufs Kunstfertigste. Eine Kunst, die wohl nur noch von den Seidenwebern des Umlands übertroffen wurde.

In einem der Läden hatte er einen Ballen Seide für Jane gekauft. Nichts Teures oder Extravagantes, sie mochte es schlicht und bodenständig: Blütenzweige und kleine Vögel auf dunklem Blau. Der Farbe ihrer Augen.

Zusammen mit Holzspielzeug für die Kinder würde er den Stoff nach Hause schicken, sobald die ersten Schiffe aus Europa in Shanghai eintrafen.

Sobald er in und um Shanghai noch mehr Pflanzen für die Society gesammelt hatte.

Ein Spinnennetz aus Trampelpfaden, Wassergräben und Brücken durchzog die weite Ebene, kahl und braun lag sie unter einem bleiernen Himmel.

Munter stapfte das Pony voran, unbeeindruckt von der Last des langen Kerls auf seinem Rücken, dessen Stiefel beinahe den Erdboden streiften, manchmal an einen Stein stießen.

Schlecht geritten war manchmal doch besser als gut gelaufen. Vor allem, wenn es knapp dreißig Meilen zurückzulegen galt.

Am frühen Morgen war Fortune in Shanghai aufgebrochen, trotzdem schien er seither nicht vom Fleck zu kommen. Obwohl ihm der Taschenkompass wieder und wieder versicherte, konsequent nach Westen unterwegs zu sein, mehrten sich die Zweifel, dass er hier richtig war.

Leer und verlassen dehnte sich die Landschaft vor ihm aus.

Selbst wenn er jemanden nach dem Weg hätte fragen können, hätte er wohl kaum Auskunft bekommen. Niemand, bei dem er sich in Shanghai danach erkundigt hatte, wollte ihm etwas über diese Gegend verraten.

Misstrauisch, ja feindselig hüteten die Chinesen ihr Wissen um das Gebiet jenseits der Stadtmauern. Wie ein kostbares Geheimnis.

Auch Wang hatte sich rundheraus geweigert, ihn zu begleiten.

hai-yah! Ganz schlechter Einfall von Fu-Chung! Letzte Inglishman mit Boot dort hinaus und großer Ärger! Stochert mit Bambusstock in Fluss und macht Leute misstrauisch. Wofür will Inglishman wissen, Fluss wie tief? Viel Ärger mit Konsul und big sorry und beinahe Gefängnis. Wang keine Lust auf Gefängnis!

Als ein Don Quichotte ohne Sancho Pansa zuckelte er durch die Einöde.

Die Hügelkette, von der er in der Stadt gehört hatte und die er erkunden wollte, blieb ein Gerücht.

Das Pony hätte Helen bestimmt gefallen.

Sie war jetzt in dem Alter, in dem jedes Pferd, jeder Hund und jede Katze eine große Anziehungskraft ausübten; Schmetterlinge genauso wie Käfer und Regenwürmer. Mit einem Staunen über die Wunder der Welt, die für Erwachsene längst selbstverständlich und unbedeutend geworden waren.

Er staunte mit. Über dieses kleine Mädchen, in dem etwas von ihm steckte und viel von Jane und das doch dabei war, ein eigener kleiner Mensch zu werden. Ihm blindes Vertrauen und unendliche Zuneigung entgegenbrachte und sein Herz weich werden ließ. Über seinen Sohn staunte er; ein winziges, zerbrechliches Bündel unbezähmbarer Lebenskraft. Er würde schon ein richtiger kleiner Junge sein, wenn sein Vater nach Hause kam.