moutan.
Nicht rosafarben oder weiß wie in Europa. Sondern krapprot. Pfirsichfarben. Fliederlila. Zartgelb und purpurdunkel.
Eine sogar meeresblau, eine andere fast schwarz, von einer verführerischen, verwirrend lasziven Schönheit.
Jaja, hatte der Porzellanmaler unter eifrigem Nicken bestätigt, während der farbgetränkte Pinsel in schlafwandlerischer Sicherheit über das Papier wischte und eine Päonie nach der anderen erblühen ließ. Gibt mudan hier, in Shanghai. Solche alle. Muss Herr suchen gehen, dann findet auch.
Er erinnerte sich an einen Wortwechsel vor ein paar Tagen. In einem Kräuterladen, der in riesigen Lettern dafür warb, dass dort Englisch gesprochen wurde.
– Nein, leider, hier gibt es keine Gärtnerei. Nirgendwo.
– Aber wo kommen denn die Chrysanthemen her, die ich überall sehe?
– Wenn Sie Blumen wollen, dann gehen Sie doch in einen Blumenladen. Warum kaufen Sie die denn nicht dort, so wie alle anderen Leute in Shanghai?
– Weil die Blumenläden nicht das haben, was ich will.
– Dann sagen Sie uns, was Sie haben wollen, und wir besorgen es Ihnen.
– Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich will. Ich spreche die Sprache nicht, ich weiß nicht, wie das hier heißt, was ich haben will. Würden Sie denn jemanden in eine Gärtnerei schicken, wenn ich Ihnen die Namen geben könnte?
– Aber ja!
– Also gibt es hier doch Gärtnereien?
– Jaja. Aber die sind weit weg. Sehr weit weg. Dauert sehr lange, dort was zu besorgen, und wird sehr, sehr teuer.
Mit den Fingerkuppen fuhr Fortune auf dem Papier die üppig gefüllten Blüten nach, glaubte die fedrigen, seidenweichen Blütenblätter auf der Haut zu spüren.
Auf eine merkwürdige Art mischte sich sein Verlangen nach diesen Päonien mit der Sehnsucht nach Jane, die Wang mit seiner plumpvertraulichen Bemerkung frisch geschürt hatte.
Eine Verquickung zweier unterschiedlicher Dinge, die ihre langen Wurzeln tief in sein Innerstes hinunterließ. Ihn seltsam verlegen machte und ihm erneut das Blut ins Gesicht trieb.
Er musste diese Päonien finden, wie und wo auch immer.
Sorgfältig bündelte er die Skizzenblätter und steckte sie ein.
Mit offenen Augen wanderte er durch die Gassen der Stadt. Ohne zu wissen, wonach genau er Ausschau halten sollte; nur mit der Hoffnung, über kurz oder lang einen Fingerzeig zu erspähen, der ihm den Weg zu den Päonien wies.
Shanghai hatte sich merklich verändert seit seiner Ankunft vor sechs Wochen.
Geschäftig war die Stadt auch da schon gewesen. Doch diese Betriebsamkeit hatte im Lauf des vergangenen Monats an Geschwindigkeit gewonnen, an Dichte. Fieberhaft war sie geworden und beinahe gierig, seit die Segelschiffe aus dem Westen wie hungrige Möwenschwärme in den Hafen einfielen.
Im Vorbeigehen beobachtete er, wie ein Barbier mit flinker Klinge seinem Kunden den Kopf rings um den langen Flechtzopf kahlschor, während sein Gehilfe einem zweiten Mann mit einem Metallstäbchen in den Ohren stocherte.
Ein paar Schritte weiter entdeckte er getrocknete Pilze in bizarren Formen. Die Körbe daneben waren mit schrumpeligen rosafarbenen Würmchen gefüllt, die aussahen wie in der Sonne zusammengeschnurrte Garnelen. Und mit Gedörrtem, das vielleicht einmal Muschelfleisch gewesen sein mochte. Den seltsamen Würstchen dahinter schenkte er nur einen flüchtigen Blick; grau und faltig, hatten sie etwas Phallisches. Von einer verwelkten Geschlechtlichkeit, die selbst ihn, den Botaniker und Naturfreund, verstörte.
Er konnte nur hoffen, dass es sich dabei um etwas Pflanzliches handelte, oder wenigstens um weiteres Meeresgetier, und nicht etwa anderen Ursprungs war.
Ein Gefühl des Unbehagens blieb ihm jedoch, wie ein Distelzweig zwischen seinen Schulterblättern, wohin er auch seine Schritte lenkte. Zwischen den vielen Bettlern hindurch, die sich ihm mit herrisch ausgestreckter Hand in den Weg stellten, als forderten sie ein verbrieftes Recht ein.
Jemand folgte ihm.
Das bildete er sich nicht ein, er konnte es spüren, selbst im Gedränge der engen Gassen.
Er warf einen Blick über die Schulter.
Ein Junge, bestimmt nicht älter als acht oder neun Jahre alt. Obwohl Fortune sich hier in China immer noch schwertat, so etwas abzuschätzen.
Die dicke Jacke, die vielfach geflickt war und deren Wattierung trotzdem an mehreren Stellen hervorquoll, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie mager dieser Junge war, die Augen riesig im spitzen Gesicht, wie bei einer Maus.
Beim nächsten Blick zurück waren es schon drei solcher Jungen. Ähnlich gekleidet, von ähnlich ärmlichem Aussehen und ungefähr im selben Alter.
Eine Ecke weiter hatte sich das Grüppchen auf sechs erweitert.
kwei-tsz, zischte es hinter ihm durch die Luft, kaum lauter als ein Ausatmen.
Sohn des Teufels.
Hier in Shanghai hatte er solche Worte ebenfalls zuerst gelernt. Wie das nur wenig freundlichere hong mou jin, rothaariger Mann, das auf alle Weißen gleichermaßen angewendet wurde.
Mit einem Ruck blieb er stehen und drehte sich um.
»sare?!«, rief er den Kindern zu. Was?!
Ein etwas größerer Junge schob sich zwischen den anderen hindurch und warf sich geschäftsmännisch in die Brust.
»O-pe-um für Herr?«, lockte er selbstbewusst. »Singsong?« Er drückte sich näher an Fortune und setzte in verschwörerischem Raunen hinzu: »Boys?«
Fortune schüttelte ungehalten den Kopf. Auf die Art, wie man ein Insekt abwehrte, das einen umsurrte; er wollte die Worte des Jungen ebenso losweden wie die Ahnung einer finsteren Unterwelt Shanghais.
Der Junge blickte ratlos drein. Der Blick, den er mit den anderen Jungen wechselte, wirkte enttäuscht.
Fortune holte die Papierbögen hervor. »sa-di-fan – wo?«
Er deutete auf die Skizzen und rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander.
Die Jungen steckten die geschorenen Köpfe zusammen und tuschelten eifrig; schließlich nickte derjenige, der ihm die Vergnügungen der Stadt angeboten hatte, und hielt Fortune eine staubige Handfläche entgegen.
Fortune schüttelte wieder den Kopf, ließ zwei Finger durch die Luft marschieren, nickte kurz und rieb noch einmal Daumen und Zeigefinger aneinander.
Der Junge schien zu verstehen, dass er erst Geld sah, wenn er den kwei-tsz ans Ziel gebracht hatte. Gleichgültig zuckte er mit den Schultern und winkte Fortune, ihm zu folgen.
Das Gedränge in den Straßen dünnte sich aus, während der Junge ihn tiefer und tiefer in die Eingeweide der Stadt führte, und auch die Lärmkulisse versickerte allmählich.
Fortune tastete nach der Pistole an seiner Hüfte, sah sich wachsam um.
Die übrigen Jungen gingen ein paar Schritte hinter ihnen, gespenstisch still und in unkindlichem Ernst. Das Zwielicht der Gassen ließ ihre Gesichter wächsern aussehen; mit ihrem uniformen Äußeren und dem starren Blick ihrer dunklen Augen wirkten sie wie Untote.
An der Kreuzung zweier Gassen legte der Junge den Kopf in den Nacken und spie einen Laut aus, der von den Mauern der altersgebeugten Häuser kalt und hohl zurückgeworfen wurde.
Heiser wie ein Kauz war die Antwort, die von den geschwungenen Dächern zu ihnen herunterflog, und ein Schatten huschte hinter den Dachfirsten vorüber.
Fortunes Hand schloss sich fester um den Griff der Waffe.
Ein Geräusch wie von einer zuschlagenden Tür schallte durch die Gasse, in der der Junge schließlich stehen blieb. Mit einem Kopfrucken wies er hinter sich und streckte die Hand aus.
»Da?«, vergewisserte sich Fortune und deutete zu dem Tor, das er dunkel und schemenhaft ausmachen konnte.
Der Junge nickte ungeduldig, und auch seine Geste wurde fordernder.
Fortune ließ ein paar Käsch in die Jungenhand fallen und ging auf das Tor zu.