Выбрать главу

Ein Lebenstraum für jeden Botaniker.

Eine unglaubliche Chance für einen Gärtner wie ihn.

So erdverhaftet und nüchtern er auch war – als er, noch an Bord der Emu, nach den langen Wochen auf See die Berge und Täler Javas gesehen hatte, war er ins Schwelgen geraten. Nur von Deck aus, nur aus der Ferne. Üppig grüne Landschaften, über denen die Luft vibrierte vor Saftigkeit und die ahnen ließen, wie viele Nuancen dieses Grüns es dort geben musste. Wie viele Formen von Blättern. Welche Fülle an Blüten.

Was ihn dann erst in China, dem legendären Reich der Blumen, erwarten mochte!

Der Schock folgte jedoch wenige Tage später, als er den ersten Blick auf die chinesische Küste warf. Auf sonnenverbrannte Hügel, nackten roten Lehm und Granitbrocken. Eine Mondlandschaft, tot und leer bis auf ein paar verkrüppelte Kiefern, die um ihre kümmerliche Existenz rangen.

Dies konnte nicht das blühende Land sein, das man ihm versprochen hatte.

Er durfte hier nicht sterben.

Nicht bevor er wieder nach Hause zurückgekehrt war. Zu seiner Frau. Seinem kleinen Mädchen. Seinem Sohn, den er noch kaum kennengelernt hatte.

Nicht auf diesem elenden Kahn, der ihn mit seinem Schaukeln und Rollen noch kränker machte. An diesem Fieber, in dem er siedete wie ein Stück Fleisch im Topf. Das Muskeln, Sehnen und Knochen weichkochte. Seinen Verstand zerfaserte.

Er versuchte, die Namen der wenigen Pflanzen zu memorieren, die er in Hongkong gesammelt hatte, kaum ein Dutzend. Und scheiterte; dem Chaos des Fiebers hatten auch Systematik und Logik nichts entgegenzusetzen.

Er begann von tausend an rückwärts zu zählen. Seit Kindertagen seine Methode, Ordnung zu schaffen. Klarheit zu gewinnen, wenn botanische Namen und Fakten wie Bienen in seinem Kopf herumsurrten. Wenn er sich in einem Dickicht aus Gedanken und Fragen verfangen hatte und deshalb nicht schlafen konnte.

Aber er bekam die Zahlen, seine treuen Freunde, nicht zu fassen. Ausweichend und launisch zeigten sie sich; wie irrlichternde Glühwürmchen in seinem sich verdunkelnden Verstand.

Haltsuchend klammerte er sich an den Gedanken an seine Familie.

Jane. Helen. John.

Gesichter, die zu Schatten verflachten. Sich ihm entzogen, ihn leer und ausgehöhlt zurückließen.

Sein Körper schien gewichtslos.

Ein dürres Blatt, das durch die Luft kreiselte und sich in der Finsternis verlor.

Er wanderte durch dichten Nebel.

Wie in einem Traum.

Nicht der reine Nebel über den Felsen und Wiesen seiner Heimat Berwickshire. Zäh und schwül fühlte es sich an; ein fauliger, geradezu giftiger Brodem, kaum zu durchdringen und sogar die Sonne verdunkelnd. Dann riss die Nebelwand auf, und für einen Moment war Fortune beinahe geblendet.

Er glaubte Blüten über Blüten zu sehen, in allen Farben des Regenbogens und purem Weiß. Paläste aus Rhododendren vor dem Hintergrund eines tropischen Waldes. Fontänen aus Lilien und Päonien, Kaskaden von Kletterrosen und Orchideen wie exotische Schmetterlinge. Die Luft war klar, sie roch süß mit einer fremdartigen Würze darin, und bei jedem seiner Schritte über den weichen Boden stieg der Duft von frischem Gras und von Kräutern auf.

Das hier musste ein Traum sein, eine Fata Morgana in der Hitze des Fiebers. Eine Fantasie, die ihm wirklicher schien als alles, was er zuvor je gesehen hatte, überwältigend intensiv und betörend.

Er wollte nicht, dass es ein Traum blieb, und streckte die Hand nach den Blütenzweigen aus. Zum Greifen nah waren sie, er konnte den Pollen auf den Staubblättern erkennen, jede Verästelung der Blattadern, und dennoch konnte er sie nicht erreichen.

Seine Knie gaben nach, und er fiel, tiefer als der Boden unter ihm.

In einem Boot schaukelte er über einen Fluss, unter einem Gewölbe aus Baumkronen, schattig und kühl.

Er horchte auf, wandte sich um; hatte ihn jemand gerufen? Eine körperlose Stimme, silberhell und lockend, irgendwo hinter dem grünen Wasserfall einer Trauerweide.

Sehnsucht zerrte an ihm, aber er konnte nicht anhalten, nicht umkehren. Unaufhaltsam glitt das Boot vorwärts über den Fluss, auf die Mündung zu und hinaus auf das Meer.

Ein Gefühl wie Heimkehr und Verlust zugleich.

Von irgendwoher strömte frische Luft in die Koje und kühlte seine glühende, schweißnasse Haut. Frisch roch dieser Luftzug, nach Salz und Hoffnung, und ließ ihn leichter atmen.

Es gab keinen Weg zurück.

Nur vorwärts. Vorwärts.

Er würde nicht sterben. Nicht auf diesem Kahn.

Nicht bevor er wenigstens einen Blick in dieses legendäre Reich der Kamelien geworfen hatte, der Rosen und der Azaleen.

 

 

 

Herbstanemone

(Anemone hupehensis)

Anemone. Einsam. Verlassen.

Flora Greensleeves, The Language of Flowers, London, 1837

 

 

 

 

Es kann getrost behauptet werden, dass nirgendwo sonst auf der Welt innerhalb der Grenzen eines einzigen Königreiches solch eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren zu finden ist.

Aus den Tagebüchern des Jesuitenpaters Matteo Ricci, um 1610

Aus den Instruktionen der Horticultural Society of London,

21 Regent Street,

für Mr Robert Fortune, Leiter der Treibhäuser in

Chiswick Gardens.

Datiert vom 23. Februar 1843

 

 

Sie werden an Bord der Emu reisen, auf der eine Koje für Sie reserviert ist. Für die Dauer der Überfahrt werden Sie am Tisch des Kapitäns speisen.

Ihr Salär wird einhundert Pfund Sterling betragen, beginnend mit dem Zeitpunkt, an dem Sie die Verantwortung für die Treibhäuser abgeben, und befristet bis zu dem Tag, an dem Sie diese nach Ihrer Rückkehr aus China wieder übernehmen – ohne jegliche Abzüge und ausschließlich der Kosten für Ihre Kleidung oder Ausgaben, die erforderlich sein werden, um die Ziele der Society zu erreichen.

Die allgemeinen Ziele dieser Mission sind:

Samen und lebende Pflanzen dekorativer oder nützlicher Art, die noch nicht in Großbritannien kultiviert sind, zu sammeln. Kenntnisse über Gartenbau und Landwirtschaft in China sowie über die Beschaffenheit des Klimas und seines Einflusses auf die Vegetation zu erlangen.

Da die Beziehungen zwischen China und England derzeit sehr angespannt sind, sieht sich die Society aktuell nicht in der Lage festzulegen, welche Häfen Sie besuchen oder in welche Regionen sich Ihre Forschungen erstrecken sollen.

Ebenso wenig kann die Society absehen, was Sie während Ihres Aufenthalts in China erwarten wird, der nach gegenwärtigem Stand auf ein Jahr begrenzt ist. Dementsprechend bleibt es Ihrer eigenen Einschätzung überlassen, wie Sie dabei vorgehen, wenn Sie das Land betreten oder Kontakte zu knüpfen versuchen.

Es ist angeraten, gegen ein kleines Entgelt Chinesen anzuwerben, die Ihnen Pflanzen aus dem Landesinneren beschaffen, aus Gegenden, die für Sie selbst schwierig zu erreichen oder nur unter Gefahr zugänglich sind. Ungeachtet dessen werden Sie während dieser Reise gänzlich auf sich allein gestellt sein, wobei den oben genannten Zielen der Society stets allerhöchste Priorität einzuräumen ist.

Gez.

John Lindley

(Sekretär)

1

Dienstag, 12. September 1843

Wetter sonnig, bei einem Maximum von 86 Grad Fahrenheit. Minimum: 68 Grad.

Von Amoy nach Chimoo übergesetzt, gut 50 Meilen nördlich. Dem Hörensagen nach einige Jahre lang Anlaufstelle für Opiumschiffe, sogar während des Krieges, ungeachtet der Gesetze der Mandarine.