In ihren Augen glomm es auf, und ihre Mundwinkel kräuselten sich zu einem flüchtigen Lächeln.
»… an einen hong mou jin verkauft hat, macht er nie wieder Geschäfte. So viel Geld kannst du nicht geben, um es wettzumachen.«
»Es hätte doch niemand erfahren müssen.«
Lian nickte auf die Gasse hinaus, deutete dann auf die endlosen Reihen von Türen und Fenstern.
»Die Stadt hier … Tausend Augen. Tausend Zungen und Ohren. Überall.«
Unwillkürlich wanderte Fortunes Blick zu den Dachfirsten hinauf. Er dachte an die Gassenjungen heute Morgen und an ihr ausgeklügeltes System, sich miteinander zu verständigen.
Seine Finger in den Hosentaschen ballten sich zu Fäusten.
»Ganz Shanghai tut doch gerade nichts anderes, als Waren auf unsere Schiffe zu verladen!«
»Alles da draußen«, Lians Hand beschrieb einen weiten Bogen, »alles könnt ihr kaufen. Aber nicht mudan.«
Die ganzen Reichtümer Chinas hätte er hier in Shanghai erwerben können. Seide und Baumwollstoffe. Porzellan und bemalte Fächer. Mobiliar und lackierte Kästchen und Tee, den wertvollsten Schatz überhaupt.
Nur keine Päonien.
Die Enttäuschung saß tief, ein nagendes Gefühl tief im Bauch, an der Grenze zur Übelkeit.
»Ist nicht gerecht. Tut mir sehr leid.«
»Nein, es ist nicht gerecht. Aber ich kann es verstehen.«
»Ja?« Lians Blick flog überrascht zu seinem Gesicht.
»Ja.«
Dass Päonien hier solche Kostbarkeiten waren, höher geschätzt als alles Porzellan und sogar als Tee, eifersüchtig gehütet und nicht mit Silber oder Gold aufzuwiegen – das entsprach seinem eigenen Weltbild, imponierte ihm sogar.
»Warum …« Es war ihr anzusehen, wie vorsichtig sie sich an diese Frage herantastete. »Warum sind mudan wichtig für dich?«
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort.
»Sie wären auch in England viel Geld wert«, sagt er nach einer Weile leise. »Und ich gebe zu, ich wäre stolz darauf, würde eine davon dort meinen Namen tragen. Aber mehr noch wäre ich stolz darauf, diese Schönheit nach Hause zu bringen. Damit die Leute dort sie sehen. Sich daran erfreuen können.«
Unsicher, wie viel Lian von seinen Beweggründen verstand und was sie davon halten mochte, sah er sie an.
Ein kleines Lächeln glitt über ihr Gesicht.
»Er hat auch gesagt, er weiß nicht, ob mudan stark genug für so lange Reise. Aber du sollst nach Guangzhou gehen. Guangzhou – Canton? Dort viel, viel mehr mudan. Dort … wie sagt man für Sonne und Regen und Wärme und alles?«
»Klima. Das Klima ist dort besser?«
»Klima, ja. Viel besser für Blumen. In Canton gibt alle Formen. Alle Farben. Für weniger Geld als hier.«
Misstrauen regte sich in ihm. »Und dort wird man sie mir verkaufen?«
»Vielleicht. Canton …« Lian hob eine Schulter. »Canton ist freier. Die Stadt ist mehr fremde Teufel gewohnt, von vor vielen Jahren.”
Es bedrückte ihn, wie schlecht sie aussah. Hohlwangig und mit tiefen Schatten unter den Augen, schien sie seit jenen Tagen in Chusan schlechte Zeiten mitgemacht zu haben; er war froh, zumindest heute eine üppige Mahlzeit in ihrem Magen zu wissen.
Trotzdem wirkte sie alles andere als mutlos oder verzagt; vielmehr zäh und unbeugsam. Von einem Stolz, der auch durchschien, als sie von ihrem Leben als jianghu erzählt hatte, ungewohnt wortreich. Mit einer Leidenschaft, die ihre Augen glänzen ließ.
Ein Leben, das ihm zu fantastisch vorkam, um wirklich zu sein. Selbst in diesem Land voller Merkwürdigkeiten kam Lian ihm vor wie eine Figur aus einem Abenteuerroman. Hätte sie in der Garküche nicht seine Hand genommen, um ihm den Umgang mit den Essstäbchen zu zeigen, würde er wohl daran zweifeln, ob es sie tatsächlich gab.
Als ob er mit Lian hier, in dieser Gasse abseits der geschäftigen Straßen Shanghais, am Rand einer magischen Welt stand, die ihn ebenso anzog wie sie ihm unheimlich war. Am Ufer einer anderen Zeit.
Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.
Ganz rational an die naheliegendsten, die praktischen Dinge zu denken, gab ihm wieder Sicherheit.
»Würdest du mitkommen nach Canton? Mir helfen, die Pflanzen dort zu finden und zu erwerben? Ich kann dir nicht viel bezahlen, aber …«
Er brach ab, als ihr Gesicht für einen Augenblick ausdruckslos wurde, sich dann verfinsterte. Jetzt war sie es, die einen Schritt zurücktrat und dabei den Kopf schüttelte.
Sie deutete auf die nächste Hausecke, von der geschäftiger Lärm in Wellen zu ihnen in die Gasse schwappte.
»Da kommst du wieder auf die großen Straßen.«
Das scharfe Essen brannte in seinem Bauch. »Dann … hab vielen Dank für deine Hilfe.«
So hölzern, wie seine Worte klangen, so geschmeidig war die Geste, mit der Lian ihre Handflächen aneinanderlegte.
»Viel Glück für deinen Weg, Fortune. Für deine Suche.«
Ohne ihn noch einmal über ihre Fingerspitzen hinweg anzusehen, drehte sie sich um.
Er sah ihr nach, als sie durch die Gasse ging und zwischen den grauen Mauern verschwand.
Mit einer seltsamen Mischung aus Bedauern und Erleichterung richtete er seine Schritte nach den Geräuschen der Stadt aus.
Ein Satz des chinesischen Gärtners fiel ihm ein, von Lian in seine Sprache übertragen. Ein Satz, der sich in ihm festhakte und wohltuend alle anderen Gedanken beiseitedrängte. Im Gehen zog er sein Notizbuch aus der Jacke, hielt den Bleistift mit klammen Fingern.
Der beste Dünger ist der Schatten des Gärtners. (chin. Sprichwort)
Fortune blieb stehen und dachte nach.
Dieser Ausspruch gefiel ihm. Gab er doch das wieder, was die wichtigsten Eigenschaften eines Gärtners waren: Geduld und Beharrlichkeit.
Er war immer sicher gewesen, sich in beiden Eigenschaften auszuzeichnen. Nicht nur in der Hege, die er Pflanzen angedeihen ließ.
Lange brütete er darüber nach.
Nur beiläufig nahm er wahr, wenn er angerempelt wurde. Wenn jemand ihn anschrie und beschimpfte. Diesen dummen, grobschlächtigen kwei-tsz, der so ungeschickt im Weg herumstand, den unaufhörlich vorwärtsströmenden Fluss aus Menschenleibern, Karren und Waren behinderte.
Bis es wie ein Ruck durch ihn ging und ihn nicht länger zögern ließ.
Er steckte sein Notizbuch ein und machte kehrt.
20
Bindungen sind der Tod jeder Freiheit.
Das war eine der Weisheiten meiner Meister gewesen.
Etwas, das mich das Leben schon mehr als einmal gelehrt hatte.
Deshalb konnte ich Fortunes Angebot nicht annehmen, hätte es auch viele Mahlzeiten, ein Lager für jede Nacht und sogar etwas eigenes Geld bedeutet. Ich wollte mich nicht an ihn binden. Ihm nicht verpflichtet sein, nicht einmal für kurze Zeit.
Ich hatte ihm angemerkt, wie sehr ihn mein kurzer, abrupter Abschied verletzte. Dass ich nicht mehr Worte für ihn übrig gehabt hatte oder auch nur einen Blick.
Ich war noch nie gut darin gewesen, mich zu verabschieden. Alle meine Abschiede waren jäh und unerwartet gewesen, heimlich und oft in der Nacht erfolgt. Weil es die einzige Möglichkeit gewesen war. Es so weniger wehtat.
Ich hoffte, Fortune würde in Guangzhou die Blumen bekommen, die er sich ersehnte.
Die Gassen, durch die ich ging, waren leer.
Um diese Tageszeit waren die Bewohner dieser Häuser entweder im Herzen der Stadt oder im Hafen unterwegs. Alle übrigen hatten sich vor der Kälte hinter die schützenden Mauern zurückgezogen, wärmten sich am Feuer.
Ich war froh um diese Leere, die Stille. Ich brauchte sie, um all die Gedanken in meinem Kopf auszusieben und die meisten davon ziehen zu lassen, einen nach dem anderen.
Nur eine räudige Katze kreuzte meinen Weg. Ihr klägliches Maunzen ging nahtlos in ein Fauchen über, und ihr Rückenfell sträubte sich.
Ein Luftzug streifte meinen Nacken.
Noch während ein Schatten an mir vorüberflog, ich das feine Sirren einer Klinge hörte, zog ich mein Schwert.