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»tieqiao«, verkündete Fortune und hob die Schaufel mit dem kurzen Stiel an.

Ich nickte.

Er versenkte die Schaufel in dem Sack Erde. »tie. qiao. Um den Boden zu schneiden. Richtig?«

Ich nickte wieder.

»Mir gefällt eure Sprache. Ihre Logik«, sagte er auf Chinesisch.

Er lernte schnell. Vor allem, wenn Wang nicht in der Nähe war und ihn mit endlosen Strömen von Pidgin überflutete.

Unsere Fahrten über den Fluss, aus der Stadt hinaus, und das Verhandeln mit den Gärtnern hatten Wang so sehr erschöpft, dass er in der Kammer oben ein Nickerchen halten musste, mitten am Tag.

»Mir gefällt an eurer Sprache ihre … Poesie

Wie ich musste Fortune dennoch oft auf seine eigene Sprache zurückgreifen.

»Po-e- …?«

»Poesie. Ein Gedicht. Verse. Wie ein Lied? Worte, die sich schön anfühlen. Nachklingen. Hier drin.«

Er klopfte sich mit dem Handballen auf das Brustbein; der einzige Teil seiner Hand, der nicht voll Erde war. Seine Mundwinkel kräuselten sich.

»Sogar ich merke, wie poetisch sie ist. Obwohl ich sonst keine poetische Ader habe.«

Po-e-sie.

Ich wiederholte die Laute in Gedanken. Ein kleines Juwel mehr in meinem Schatz aus Worten.

»Wie die Narzisse hier.«

Er hob die Pflanze an der Zwiebel an, deren Wurzeln dem Kinnbart eines alten Mannes glichen, und betrachtete sie versonnen.

»shui xian hua. Die Blume der Wasserfee.”

»Oder lingbo xianzi«, ergänzte ich. »Die Göttin über den Wellen.«

»Die Göttin über den Wellen«, wiederholte er murmelnd.

Sorgsam legte er die Pflanze beiseite, wischte seine Hände an der Jacke ab und holte sein Notizbuch hervor.

Ich wartete, bis er seine Gedanken aufgeschrieben hatte.

»Was bedeutet bei euch Narzisse

»Narcissus war ein schöner Jüngling. So schön, dass die Nymphe Echo und viele andere Nymphen des Wassers, der Berge und Täler ihn umwarben. Aber er war zu stolz, auch nur eine von ihnen zu erhören. Als er sich eines Tages selbst im Wasser erblickte, verliebte er sich in sein eigenes Spiegelbild. Er verzehrte sich so sehr nach seinem Ebenbild, dass er dort verschmachtete.«

»Wie dumm von ihm«, entfuhr es mir.

Fortune schmunzelte. »Mir gefallen eure Namen für die Narzisse auch besser.«

»Also wachsen sie auch bei euch?«

Er nickte.

»Bei uns werden sie allerdings nicht in Miniaturgröße gezüchtet oder in Form gebracht. Wir belassen sie, wie sie sind. Es ist auch eine andere Art von Narzisse: die Blüte ist größer und meist einfarbig gelb. Im Frühling wachsen sie überall, ganze Felder davon. Felder wie aus Gold.«

Ein Bild voller Poesie.

»Fortune …«

Ein leichtes Heben seiner Brauen verriet, dass er mir zuhörte, während er weiter seine Narzissen pflanzte.

»Wie kann es sein, dass die gleichen Pflanzen an Orten wachsen, die so weit auseinander liegen? In zwei verschiedenen Welten? Die gleichen Pflanzen – und doch nicht in der gleichen Gestalt?«

Fortune hielt inne und dachte nach.

»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Vielleicht hatten diese beiden Arten von Narzissen einen gemeinsamen Vorfahr, der vor unendlich vielen Generationen von Ost nach West gebracht wurde oder umgekehrt. Wie die Menschen seit jeher Pflanzen von einem Land in das andere mitgenommen haben, von Kontinent zu Kontinent. Und seither haben sich diese Narzissen verschieden entwickelt. In unterschiedlichem Boden, unterschiedlichem Klima. Vielleicht ist diese Variante aus einer Urform gezüchtet. Wie der Mensch schon immer versucht hat, größere oder süßere Früchte wachsen zu lassen. Schönere Blumen, in bestimmten Farben.«

Er blinzelte vor sich hin, öffnete und schloss den Mund, als suchte er nach den richtigen Worten.

24

Noch vor einigen Monaten hätte Fortune es dabei bewenden lassen.

Zwischen den Extremen Chinas jedoch waren Fragen in ihm aufgekeimt, hatten neue Gedanken ausgetrieben und manchen Zweifel an dem, was er stets für unverrückbar gehalten hatte, ausgesät.

In den Gärten, die er besucht hatte, die in ihrer Gestaltung einem hochentwickelten Sinn für Ästhetik folgten. Wo man aus dem lebendigen Material der Natur komplexe Kunstwerke schuf, die von einer langen Tradition zeugten.

Kleine Inseln vollkommener, von Menschenhand geformter Ordnung waren es, in diesem Land, das sich weiter und weiter vor Fortunes innerem Auge ausdehnte, je länger er sich darin aufhielt. Mal rauer als die Landschaften, die er von zu Hause kannte und erbarmungsloser, mal üppiger, von einer überbordenden, ungehemmten Fruchtbarkeit. Zu groß, zu wild schien ihm dieses Land, als dass es je gänzlich dem Menschen untertan sein könnte.

Und doch war China nur ein farbiger Klecks unter vielen anderen farbigen Klecksen auf dem gesamten Globus.

Als hätte er auf der britischen Insel die Natur immer nur durch die bleigefasste Scheibe eines Treibhauses wahrgenommen. Während er sie hier ungefiltert und überwältigend intensiv erlebte, in ihrer ganzen großartigen Urwüchsigkeit. Und gleichzeitig hatte er mit eigenen Augen gesehen, zu welcher Kunstfertigkeit der menschliche Erfindungsreichtum und die Arbeit geduldiger Hände fähig waren.

Der Geist schien in China einen besonderen Sinn für Schönheit zu besitzen, schwang sich zu künstlerischen Höhenflügen auf, neben denen sich der englische Geschmack plump und provinziell ausnahm. Und doch beließ derselbe menschliche Geist den größten Teil des Landes in barbarischen und unbarmherzigen Verhältnissen, in einer geradezu mittelalterlichen Lebensweise.

»Mein Glaube«, begann er langsam, seine Gedanken in Worte zu fassen, »die Kirche, der ich angehöre … Sie lehrt uns, dass der Herr im Himmel die Welt erschaffen hat und alles, was darin ist. Jedes Tier, jede Pflanze, jeden Stein. Überall auf dieser Welt. Nicht zuletzt den Menschen selbst. Als Besitzer dieser Welt, der über die Natur herrscht.«

»Glaubst du das nicht?«, wollte Lian wissen.

Als hätte sie die Unsicherheit gespürt, die sich bei ihm eingeschlichen hatte.

Er wünschte sich, er hätte auf diese Reise seine Bücher mitnehmen können, wenigstens eine Bibel. Um darin nachzulesen, was ihm durch den Kopf ging, gedanklichen Halt zu finden, Zweifel zu zerstreuen.

»Jeder Gärtner, jeder Bauer weiß, das ist nicht so einfach. Man kann nur versuchen, die Pflanzen zu züchten, die man haben will. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Man braucht einen langen Atem, weil man zuweilen erst nach Jahrzehnten das Ergebnis sieht. Und Pflanzen hängen vom Wetter ab, das niemand zähmen kann. Niemand kann Regen und Sonne und Wind seinen Willen aufzwingen. Den Elementen werden wir Menschen wohl immer ausgeliefert sein.«

So klein waren die Menschen, die in den Weiten dieser Welt lebten; so klein ihre Bemühungen, auf Feldern und Weiden der Erde das abzutrotzen, was sie nährte.

»Aber woran glaubst du?«

Glaube und Wissenschaft waren für Fortune nie im Widerspruch gestanden; die Botanik hatte sich längst von der Kirche emanzipiert, ohne mit ihr in Konflikt zu geraten.

Kein Gärtner fürchtete mehr den Zorn Gottes wie seinerzeit noch Thomas Fairchild, als er im vorangegangenen Jahrhundert mit einer Feder den Pollen einer Bartnelke auf eine Gartennelke übertrug und aus den Samen im nächsten Frühjahr eine neue Nelkenart wuchs: Fairchilds Maultier, die erste Hybride von Menschenhand. Ein Akt der Blasphemie, aus reiner Neugierde begangen, der Fairchilds Gewissen bis ans Ende seines Lebens gemartert hatte.

Trotzdem beschäftigte Fortune hier in China die Frage nach dem Ursprung der Pflanzenarten, nach ihrer Entwicklung im Lauf der Zeit. Inwieweit Boden und Klima nicht nur ihr Wachstum beeinflussten, sondern vielleicht auch ihre Gestalt und Lebensweise. Ob es zwischen den Pflanzen an weit entfernten Punkten auf dem Globus Verbindungen gab, die zu weit zurückreichten, als dass der Mensch davon wissen konnte, oder vielleicht noch zu sehr im Verborgenen lagen.