Ein Kichern perlte in meiner Kehle. Ich schlug die Hand vor den Mund, um es zurückzudrängen.
Unter Fortunes Blick, halb verdutzt und halb erleichtert, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich lachte los. So unbeherrscht, dass ich das Gleichgewicht verlor, aus der Hocke auf meine Kehrseite plumpste und noch mehr lachen musste.
Ein anderes Lachen mischte sich in meines, tief und volltönend. Leise und zögerlich erst, doch schnell lauter werdend. Er hatte ein schönes Lachen, warm und geschmeidig.
Wir schütteten uns aus vor Lachen, Fortune und ich, und immer wenn der eine kurz davor war, sich zu beruhigen, steckte ihn der andere von Neuem an. Bis wir beide nicht mehr konnten, unter den letzten Lachern nach Luft schnappten und uns dabei in die Augen sahen.
Leicht war mir zumute. Fast ein bisschen schwindelig vor Übermut. Eine Art von übersprudelndem Glücksgefühl verspürte ich, das ich schon fast vergessen hatte.
In Fortunes Augen funkelte es jungenhaft, geradezu ausgelassen.
Dann verdunkelten sie sich, wie der Himmel nach Sonnenuntergang. Die Heiterkeit auf seinem Gesicht erlosch, wich einer ernsthaften Verwunderung. Einer erhellenden Einsicht, über die Wolken aus Fragen, Zweifel, Unsicherheiten hinwegzogen. Ein Blick, der mir unter die Haut ging. Mich verlegen machte, und von dem ich mich trotzdem nicht lösen konnte.
Fortune tat es für mich.
Hastig senkte er den Kopf und durchwühlte fahrig die Taschen seiner Jacke, bis er sein Notizbuch fand und sich in den aufgeschlagenen Seiten vergrub.
Der Zauber des Augenblicks war zerstoben und ließ mich in einer plötzlichen Kühle zurück. In einem Zustand der Verwirrung, den ich gleichwohl genoss. Mein Blick streifte durch den Wald und traf auf den Wangs. Auf dem Ellbogen halb aufgerichtet, grinste er zu mir herüber. Frech und ein wenig anzüglich, aber nicht unfreundlich.
Unwillkürlich schickte ich ein kleines Lächeln zurück.
Ich beobachtete Fortune, der vornübergebeugt auf dem Waldboden kniete. Betrachtete den Blütenzweig, der neben ihm lag und über den er wohl gerade in sein Notizbuch schrieb.
Irgendwann, seit er vorhin begonnen hatte, mir zu erklären, weshalb er Blumen so sehr liebte, hatte ich es verstanden.
Jetzt verstand ich die Schönheit der Pflanzen.
Ich verstand, wie viel von dieser Schönheit es gab. In China. Auf der ganzen Welt.
Und wie wenig ich davon gesehen hatte.
Weil ich meist in den Schatten unterwegs war. In den finsteren Ecken. Mich mit der dunklen, der hässlichen Seite des Lebens und des Menschseins abgab. Fortunes Art von Unschuld hatte ich schon vor langer Zeit verloren.
Das Glücksgefühl sickerte aus mir heraus, und eine Welle von Traurigkeit wusch über mich hinweg. Noch einmal schäumte sie auf, als sie sich an dem Gedanken brach, dass Fortune China wieder verlassen würde. Bald schon, im Juli. In nicht einmal mehr vier Monden.
Ich wollte etwas sagen, um die Kluft zwischen uns zu überbrücken.
Das Einzige, was mir einfiel, kam schroff heraus.
»Es wird Zeit, dass du kämpfen lernst.«
29
Die Anhöhe hinter Tinghae schob sich gerade aus der Dämmerung. Hinein in hellen Vogelgesang. In ein Licht aus Pfirsich und Aprikose, den ersten Hauch von Gold.
Wie Duellanten standen sie einander gegenüber. Ein Duell, für das Fortune denkbar schlecht vorbereitet war.
Etwas hatte sich verschoben zwischen Lian und ihm. In nur einem Augenblick, am Tag zuvor. Hin zu etwas, das ihn verwirrte, geradezu verstörte.
Vielleicht hatte sich diese Veränderung schon länger angebahnt. Sich mit vielen kleinen Vorzeichen angekündigt, die er nur übersehen hatte. Bis die befreiende Kraft ihres Gelächters sie freigelegt und sichtbar gemacht hatte. Jetzt wünschte er sich diesen seligen Zustand des Nicht-Sehens, Nicht-Ahnens zurück.
»Deine Feuerwaffe«, erklärte Lian, »sie nützt dir nichts. Du bist zu langsam. Du wirst überwältigt, bevor du sie greifen kannst. Du musst schneller werden.«
Fortune nickte.
Ihre Augen glänzten wie Kohlesplitter. Sie barst vor Vitalität, leuchtete vor innerem Feuer. Eine Kraft, der er sich nicht gewachsen fühlte.
Ihr Schwert hatte sie abgelegt, die Jacke abgeworfen. Unter dem sandfarbenen Hemd – vielleicht alt und fadenscheinig, vielleicht nie dichter gewebt gewesen – zeichneten sich im Morgenlicht die Konturen ihres Körpers ab.
Er wollte nicht starren, er war nicht diese Art von Mann, deshalb ließ er den Blick auf die Spitzen seiner Stiefel sinken.
Gefangen in seiner alten Schüchternheit. In seiner ungelenken Hünenhaftigkeit. Einer körperlichen Stärke, die dafür taugte, Pflanzenkübel zu schleppen, Bäume zu fällen, Holz zu spalten, ihn aber unbeweglich und langsam machte. Im Bewusstsein seiner ganzen Fremdartigkeit.
Lians Faust erwischte ihn am Oberarm. Nicht besonders fest, aber doch fest genug, dass es wehtat.
»Du musst schauen!«, schalt sie ihn. »Schauen! Und hören!«
Er konnte nicht gegen eine Frau kämpfen.
Der nächste Schlag traf ihn in den Magen, dicht gefolgt von einem Tritt an die Außenseite des Knies.
»Du musst dich bewegen, Fortune!«
Und schon gar nicht konnte er gegen Lian kämpfen.
30
Er stand da wie eine der übergroßen Puppen aus Gras, die im Hof des Klosters von Pfählen herabbaumelten, damit wir uns erst daran mit scharfen Klingen versuchen konnten, ehe es an einen Gegner aus Fleisch und Blut ging.
Jämmerlich wirkte er.
Schlag um Schlag teilte ich aus. Kontrollierte Hiebe und Tritte, die ihm wehtaten, ohne an Sehnen, Bändern, Muskeln, Knochen und Organen Schaden anzurichten, einen wichtigen Meridian zu treffen.
Er blieb reglos.
Was war er nur für ein Mann, dass er sich das gefallen ließ? Noch dazu von einer Frau, die viel kleiner und leichter war?
Meine Schläge kamen schneller, härter. Ohne nachzudenken, bellte ich die Kommandos meiner Meister.
Links. Rechts. Haltung. Blocken.
Ohne daran zu denken, ob Fortune mich verstand.
Das chi. Du vergisst dein chi! Wo ist deine Deckung? Was ist mit deinem Fuß? Nicht gut. Von vorne.
Mit jedem Schlag, jedem Wort traf mich die Erinnerung an Yun.
Sein Jungengesicht, das in meinem Beisein zu dem eines Mannes gereift war. Seine Augen, die unter dem rasierten Kopf mal schwarzen Seen glichen, mal mit ihrem spöttischen Funkeln kostbarem Onyx.
Mein Schwertbruder. An dem ich mich immer gemessen hatte, in Schnelligkeit, Geschicklichkeit, Treffsicherheit, den ich stets zu übertrumpfen suchte. Mein liebster Gegner in jedem Kampf.
Kämpfe, die sich wandelten, wie wir uns wandelten. Aus dem spielerischen Wettstreit zwischen Kindern, dem verbissenen Ringen um die Oberhand als Halbwüchsige wuchs ein Werben um den anderen. Scheu zuerst, dann kühner, jeder Schritt schon eine Ahnung des Spiels von Wolken und Regen. Jeder Blick. Jeder Schwung des Schwerts.
Bis ich den letzten Kampf verlor. Den wichtigsten, alles entscheidenden, ausgetragen auf dem haarfeinen Grat zwischen Ja und Nein.
Ich verlor Yun.
»Hör auf!«
Ich zuckte zusammen, als mich starke Hände an den Schultern packten. Fortunes Augen schlugen blaue Funken.
»Ich kann das nicht, verstehst du!«
Sein Blick wurde matt. Er ließ die Hände fallen und die Schultern hängen.
»Ich kann es einfach nicht.«
Hilflos stand dieser Riese vor mir, ein beschämtes Erröten auf dem Gesicht, eine Art von Aufbegehren in seinen Zügen. Ich spürte, wie ich weich wurde.
Nein, er konnte es wirklich nicht. Er war nicht in der Lage, die Hand gegen mich zu erheben. Gegen gar keine Frau.
Besänftigt war ich nicht.
Wie konnte er es wagen, an meine alten Wunden zu rühren. Mich an Yun zu erinnern. Meinen inneren Frieden zu stören, für den ich so weit gewandert war. Um mir danach den Rücken zu kehren und einfach wieder in seiner Welt zu verschwinden.