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»Sie ist schön«, murmelte ich.

Sie war wirklich schön, sogar in dieser grausamen Farbe.

Fortunes Augen leuchteten auf, ein Sonnenstrahl, der durch Wolken bricht und ein Stück blauen Himmels enthüllt, bevor er rasch den Blick wieder abwandte und auf den See richtete.

Lange saßen wir nebeneinander, während die Sonne Kurs auf den Abend nahm. Unter den Rufen der Wasservögel, ihrem Flügelschlagen.

Ich irgendwann auf meiner Kehrseite, die Beine von mir gestreckt, im langsam verwehenden Duft der Blume in meiner Hand.

Dann und wann richtete Fortune sich auf und lehnte sich vor, um seinen Durst mit Wasser aus dem See zu stillen, bevor er sich wieder zurückfallen ließ und Mund und Kinn mit dem Handrücken abwischte.

Gelöst wirkte er, wie mit sich und der Welt im Reinen.

Ein starker Geruch ging von ihm aus. Schwer wie von der weißen Blüte, nur schärfer, erinnerte er mich an den Geruch eines Reisfelds neben einem frisch gepflügten Acker und ein bisschen auch an warmes Tierfell. Seine Haut hatte eine kräftigere Farbe angenommen, war nicht mehr bleich und nur ein bisschen rot. Von einem blassen Braun, das seine Augen leuchten ließ wie das Meer.

Die Ärmel seines Hemdes hatte er hochgekrempelt, den Kragen weit geöffnet; einzelne dunkle Haare lugten daraus hervor.

Er räusperte sich, und ich neigte mich über die Blüte, wie ertappt.

»Ich bin heute im Wald beinahe gestürzt. In ein Loch, das mit Blattwerk abgedeckt war. Ich konnte mich gerade noch an einer Baumwurzel festklammern. Ein riesiges Loch war das, und unglaublich tief. Ich glaube nicht, dass ich da jemals wieder herausgekommen wäre.«

Es entsprach ihm, auf diese Weise durch den Wald zu wandern, blind für alles außer Blumen und vielleicht Moosen.

»Das war eine Fallgrube. Für die Wildschweine.«

»Ach so.«

Der Anflug eines Schmunzelns zog über sein Gesicht, bevor er wieder ernst wurde.

»Ich mag mir nicht vorstellen, wie es sein muss, in einer solchen Grube sein Ende zu finden. Wie Douglas.«

Fragend sah ich ihn an.

»David Douglas. Botaniker wie ich. Auch aus Schottland. Mit einem ganz ähnlichen Lebensweg. Nur …«

Er legte die Unterarme auf die angezogenen Knie und verschränkte die Hände.

»Ein Pech wie Douglas haben – das ist ein geflügeltes Wort unter Botanikern. Douglas war ein fleißiger Sammler. Ein unerschrockener Abenteurer, der die halbe Welt nach Pflanzen abgegrast hat. Und der stets vom Unglück verfolgt war, so weit er auch ging. Mehr als einmal erlitt er Schiffbruch und verlor seine ganzen Habseligkeiten. Alles, was er bereits gesammelt hatte. Ist oft auf seiner Suche verunglückt, hat sich alles an Fiebern eingefangen, was es auf dieser Welt gibt, und schneeblind war er am Ende auch. Auf den Sandwich-Inseln schließlich fiel er in eine solche Grube, und wenig später muss dann ein wildes Tier ebenfalls hineingestürzt sein. Ein Keiler vermutlich, der ihn zerschmetterte und mit den Hauern durchbohrte. Während ich …«

Mit zusammengekniffenen Augen zog er mit dem Stiefelabsatz eine Furche in die Erde.

»Mein ganzes Leben lang habe ich mich vom Glück begünstigt gefühlt. Nicht, dass mir irgendetwas in den Schoß gefallen wäre. Ich habe hart dafür gearbeitet. Wie ich mir neben der Schule alles über Pflanzen beigebracht habe, was ich wissen wollte. Als Gärtner. Und trotzdem war da immer dieses gewisse Quäntchen Glück. Wie diese Reise hierher. Oder jetzt die Teepflanzen …«

Er schwieg einige Herzschläge lang.

»Vielleicht kommt es mir nur so vor. Wegen meines Namens, weißt du? Fortune – Glück. Wohlstand. Erfolg. Noch dazu auf Robert getauft – was bedeutet: in glänzendem Ruhm. Mein Erbe, so hat mein Vater es wieder und wieder betont. Meine Pflicht. Meine Eltern … Sie hatten nie viel, außer einem reichen Kindersegen. Und große Hoffnungen. Für uns alle. Besonders für uns Jungs. Nach einem Dach über dem Kopf und Essen im Bauch war das Wichtigste bei uns zu Hause immer die Bildung. Damit aus uns allen einmal etwas wird. Es war immer klar, dass ich es zu etwas bringen würde. Zu etwas bringen sollte. Als Schotte. Als Fortune. Als ältester Sohn. In dieser Reihenfolge.«

»Hast du das nicht?«

»Ich denke schon«, kam es zweifelnd von ihm. »Vermutlich.«

Wie gut ich ihn verstand.

Ich kannte diesen Ehrgeiz, mit dem Eltern ihren Kindern Fesseln anlegten. Sie nach ihrem Willen formten, nach ihren Wünschen zurechtbogen. Ich wusste um den Schmerz, der damit einherging, wenn diese Fesseln ins Fleisch schnitten. In die Seele.

Ich kannte auch das eigene Sehnen nach mehr als dem, was das Leben einem zugeteilt hatte. Eine Meisterin hatte ich werden wollen, in die Fußstapfen treten von Ng Mui, der Ahnfrau aller kämpfenden Frauen.

Früher einmal, bevor ich töricht genug gewesen war, mein Ziel aus den Augen zu verlieren. Bevor ich das Leben, das ich gehabt hatte, wegwarf, in einer Schwäche des Herzens.

Ich wusste, wie leicht Illusionen zersplitterten, unter dem Druck des eigenen Willens. Wie schnell man sich daran schnitt, bis auf den Knochen hinunter.

»Den Ruhm eines Berges«, sagte ich leise, »macht nicht seine Höhe aus. Sondern die Götter, die auf ihm wohnen.«

Meister Qiang hatte mir das oft gesagt, wenn ich zornige Tränen weinte, weil ich immer noch besser, noch schneller sein wollte. Im Faustkampf. Mit dem Stock. Mit Lanze und Schwert.

Den Blick auf den See geheftet, murmelte Fortune diese alte Weisheit wieder und wieder in sich hinein, nickte dabei vor sich hin.

Lange blieb er danach still, den Blick auf den See geheftet.

»Hier im Kloster«, begann er dann langsam, »und auch schon in Zhoushan, zwischen all diesen Blüten … und heute, als ich durch den Wald ging … da war das alles nicht mehr wichtig. Da habe ich kaum daran gedacht. Ich war zufrieden damit, einfach umherzustreifen.

Zufrieden mit dem, was ich unterwegs fand. Ich habe nicht einmal groß überlegt, welche Bedeutung es wohl daheim in England haben würde.«

Seine Hand strich über den Ausblick vor uns. »Wenn ich das hier sehe … dann bin ich einfach zufrieden. Zufrieden, dies zu erleben. Etwas dazuzulernen, jeden einzelnen Tag. Einfach … zu sein.«

Beinahe beschämt klang er, bevor er verstummte. Als ob er zu viel über sich preisgegeben, einmal nicht vorab seine Worte sorgfältig ausgewählt und abgewogen hatte.

Gemeinsam schauten wir auf den See hinaus. Auf das Grün der Bäume. Die indigoblauen Silhouetten der Berge.

»In den Bergen«, sagte ich leise, »da ist man den Göttern ganz nah. Die Seele kann atmen. Kann wachsen. In dieser Stille. Dieser Einsamkeit. Und der Geist findet Ruhe und Klarheit.«

Fortune nickte. »So muss es wohl sein.«

Mit dem Kinn rieb er über seine Hemdschulter, sah mich dabei vorsichtig von der Seite her an.

»Du fühlst dich hier nicht wohl.«

Ich hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.

»Dieses Kloster … Es erinnert mich an das Kloster, in dem ich aufgewachsen bin.«

»Schlechte Erinnerungen?«

Bedächtig wiegte ich den Kopf. »Nicht nur.«

So gut ich es konnte, erzählte ich Fortune von dem Kloster der Alten Haine und Jungen Bäume.

Am südlichen Ufer des Gelben Flusses, in den heiligen Bergen von Song, mit ihren sieben Gipfeln. Berge von ebenso wilder wie sanfter Schönheit. Wo man dem Himmel so nah war, dass man oft zwischen den Wolken lebte.

Die Wälder des Shaoshi hatten dem Tempel einst seinen Namen gegeben, und an seinem Fuß hatten die Mönche einen Wald aus Pagoden errichtet. Mehr als zweihundert waren es, als ich zuletzt dort gewesen war, große und kleine, einfache Säulen und aufwendige Skulpturen mit geschwungenen Dächern, aus dem grauen Stein der Berge und oft nebelverhüllt. Grabmäler bedeutender Mönche und großer Äbte des Klosters. In ihrer Vielgestalt ein Abbild der langen Geschichte des Klosters wie des Reiches.

Ein Zeugnis vergangener Zeiten und untergegangener Dynastien, das sogar die Horden der Mandschu unangetastet gelassen hatten.

Von meinen Meistern erzählte ich ihm, die mich die alte Kunst des Kampfes lehrten.