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Nie hielt er auf der Straße Ausschau. Drehte sich nicht nach einem rotwangigen Bauernmädchen um, das Obst auf den Markt brachte, wenn sich niemand sonst in der Familie dafür fand. Starrte nicht, wenn eine hübsche Handwerkersfrau ihrem Mann rasch die Mittagsmahlzeit in die Werkstatt brachte.

Er hatte aber auch nie gut aussehenden Burschen nachgeschaut oder herausgeputzten Gecken.

Trotzdem war es wie ein Hieb gegen das Brustbein.

Trotzdem war meine Neugierde geweckt.

»Erzähl mir von ihr.«

Überrascht sah er mich an, ließ dann den Blick unruhig über die Blumen wandern. Ein Flackern in den Augen, als suchte er nach den richtigen Worten. Nach Bildern in seinem Gedächtnis.

»Sie ist … Sie reicht mir bis hier.«

Er legte sich die Hand an die Schulter.

»Ihre Augen sind blau. Wie meine. Nur dunkler. Ihre Haare sind braun. Helles Braun. Sie ...«

Verlegen unterbrach er sich und schüttelte den Kopf, wie über sich selbst.

»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Jane ist eine gute Frau. Ein guter Mensch. Jemand, mit dem man Hand in Hand durch das Leben gehen kann. Den man an seiner Seite haben möchte, in guten Tagen und in schlechten.«

Seine Stimme war weich geworden; ein Mundwinkel zuckte aufwärts, wurde zu einem halben Lächeln.

»Ja, so jemand ist sie.«

Er beugte sich wieder über die Sträucher, hielt dann aber inne.

»Wir haben zwei Kinder«, fügte er leise hinzu, wie in einem Geständnis. »Ein Mädchen und einen Jungen.«

Eifersucht stach mit glühenden Nadeln auf mich ein.

Ich war eifersüchtig, weil er jemanden hatte. Jemanden, der sich dafür entschieden hatte, sein Leben mit ihm zu teilen. Eine Frau, die zu Hause auf ihn wartete. Die er weiter warten ließ, weil er sich dafür entschieden hatte, der Spur des Tees zu folgen.

Er konnte nicht mit Wang nach Anhui. Er konnte dort nicht die Geheimnisse des Tees erkunden, vielleicht sogar lüften und sie mit in seine Heimat nehmen. Die Gefahr war zu groß, dass die Behörden davon erfuhren und ihn dafür hängten. Womöglich eine noch grausamere Art der Hinrichtung für ihn ersannen; darin waren Männer mit Macht erfindungsreich.

All meine Bedenken, meine Warnungen fegten die beiden Männer jedoch wie Salzkörner vom Tisch, wenn sie bei unseren Abendmahlzeiten an ihren Plänen schmiedeten.

Der Tee, den Menschen von den Göttern gegeben, um Leib und Geist zu erfrischen, Krankheiten zu heilen, Ruhe zu finden und Klarheit zu gewinnen, war zu Fortunes Opium geworden.

Mehr denn je war ich überzeugt, ich hatte recht gehandelt, als ich in der Kammer der Herberge den Glaskasten beschädigte.

Dennoch lastete die Schuld schwer auf mir. Eine Last, die erdrückend wurde, jedes Mal, wenn Fortune mich ansah. Das Wort an mich richtete. Mich anlächelte.

Dieser Fremde, der immer so freundlich zu mir gewesen war. Mir sein Vertrauen schenkte. So viel davon, dass sogar ich mich ihm anvertraut hatte, in Tiantung. Seit Yun hatte ich niemandem mehr vertraut.

Meine Eifersucht, gerade erst erwacht, schloss schnell einen Pakt mit meiner Schuld. Während Fortune von seiner Frau erzählte, ein Leuchten in den Augen, Zärtlichkeit in der Stimme.

Schuld und Eifersucht, jedes für sich war schon Sand in den Augen. Zusammen aber waren sie ein Sandsturm, der über eine fruchtbare Oase hereinbrach und alles an Grün erstickte.

Sie würden das vergiften, was zwischen Fortune und mir aufgekeimt war. Etwas, das so rein gewesen war, so unschuldig.

Ohne ein Wort, ohne einen Blick stand ich auf und ging davon.

Die Rose hat nur Dornen für diejenigen, die sie pflücken, kam es mir in den Sinn.

42

Die Brauen gerunzelt, widmete Fortune sich wieder den Rosen.

Einsam war es jetzt hier, ohne Lian, selbst in Gesellschaft von Rosa anemoniflora. Trotzdem atmete er innerlich auf; fürs Erste blieben ihm weitere Worte erspart. Blicke, die ihm unangenehm auf der Haut juckten. Die Unsicherheit, wie er sich am besten verhielt.

Einsamkeit war ihm oft ein sicherer Hafen, fernab vom unruhigen Meer menschlicher Beziehungen. In Zhoushan hatte Lian ihn gefragt, warum ihn Pflanzen faszinierten. Einen Aspekt hatte er bei seiner Antwort ausgelassen.

Seine bedächtige Wesensart entsprach der Lebensweise der Pflanzen, die ohne Worte auskam. Die Kommunikation mit Pflanzen war einfach, verglichen mit Tieren oder Menschen. Subtil vermittelten sie in der Farbe und Textur ihrer Blätter ihre Bedürfnisse nach mehr Wasser oder Licht und bedankten sich für ihre Hege mit frischen Trieben, kräftigen Blüten. Sie nahmen es nicht einmal übel, wenn man ihnen Zweige abschnitt, empfanden es meist sogar als Befreiung.

Tote Objekte wie Gesteinsformationen oder Fossilien übten keinen Reiz auf ihn aus. Pflanzen waren lebendig und blieben es auch, wenn man sich ihrer auf wissenschaftliche Weise annahm. Er hätte es nicht fertiggebracht, schillernde Käfer oder fröhlich umherflatternde Schmetterlinge zu Studienzwecken aufzuspießen. Er hatte es versucht, als kleiner Junge. Wie es alle Jungen taten, wohlwollend ermutigt von den Erwachsenen, sich auf diese Weise mit der Natur zu beschäftigen. Er hatte es sofort bereut, mit einer brennenden Scham, einem heißen Gefühl des Unglücks an die Zigarrenkiste mit den Insekten unter dem Bett gedacht. Ein Gefühl, das ihn immer wieder einholte; die Kiste wegzuwerfen wäre eine Geringschätzung der kleinen Leben gewesen, die er mutwillig ausgelöscht hatte.

Fortune wusste, dass ihn dieser Wesenszug zu einem Sonderling machte. Deshalb fühlte er sich in Gesellschaft anderer Gärtner, anderer Botaniker gut aufgehoben, die dieselbe Sprache sprachen, die gleiche Leidenschaft teilten. Eine Sicht auf sich selbst, an der er umso störrischer festhielt, je unnachgiebiger China ihm seine Mängel aufzeigte. Seine Schwächen und eine unmännliche Empfindsamkeit.

Wie Lian es zuweilen tat, bestimmt ohne es zu wollen.

Lian und China waren für ihn eins geworden.

Bei beiden gab es keine vollkommene Sicherheit, immer eine Mehrdeutigkeit, eine Fülle von Extremen. In China schlossen die Dinge immer ein Mysterium mit ein, begründet im tiefsten Herzen eben dieser Dinge. Wie bei Lian.

Bei Jane war immer alles ganz einfach gewesen. Wohltuend geradlinig, geordnet und geerdet.

Ihre Augen waren es, die ihm am stärksten im Gedächtnis geblieben waren.

Diese Augen, die er eher zufällig bemerkt hatte, als er im Botanischen Garten den Spaten ansetzte, um ein neues Beet anzulegen.

Augen, die ihm wieder und wieder begegneten: In den Kirchenbänken von St. Mary’s. Wenn er mit Säge und Hacke sein Tagwerk verrichtete. Manchmal sogar auf der Straße.

Als ob sie ihm überallhin folgten, diese Augen.

Mit einer unziemlichen Direktheit. Einem gar nicht mädchenhaften Verlangen darin, das unter gesenkten Lidern verschwand, wenn er diesen Blick erwiderte. Lügen gestraft von der Röte, die dann auf dem schmalen, eher herben und zurückhaltenden Gesicht aufschien.

Augen, die ihn verwirrten. Manchmal sah er verstohlen an sich herunter, ob auf seiner Hose nicht irgendein hässlicher Fleck prangte. Diese Art der Aufmerksamkeit war ihm fremd. Noch nie war er das Ziel weiblicher Sehnsüchte gewesen.

Nicht, wie er ungelenk auf seinen langen Beinen durch das Leben schritt. Unbeholfen im Umgang mit Menschen, den Kopf stets in den Wolken botanischer Bezeichnungen, Blütenfarben und Wachstumsbedingungen.

Er grüßte irgendwann, weil es sich gehörte. Mit einem Nicken. Indem er den Hut auf der Straße zog. Ihr einen guten Tag wünschte.

Bei ihrer schüchternen, aber augenstrahlenden Antwort horchte er auf. Sie kam aus Swinton, kaum zu glauben. Jane Penny, die sich mutig vom Land in die große Stadt aufgemacht hatte, weil sie mehr vom Leben wollte.

Es war eine Erleichterung, jemandem zu begegnen, der das Leben genauso nüchtern betrachtete wie er selbst und trotzdem zu träumen verstand. Kleine, bescheidene Träume, die nie außer Reichweite, nie unmöglich schienen. Träume, die mal den seinen glichen, mal ineinander griffen wie Zahnräder.