Aus der Tiefe meines Körpers kam der Schrei, den ich ausstieß, dunkel und röhrend. Der mich von den Füßen hob und vorwärtsschleuderte, ihm entgegen. Mein Unterarm mit der geballten Faust schlug ihm die Waffe aus der Hand. Mein Ellbogen krachte in seinen Kiefer, während meine Ferse sein Knie zertrümmerte.
Es brauchte nur noch meinen Handballen, der mit aller Kraft gegen sein Brustbein prallte, seinen Atemfluss kappte, seine Nerven lähmte.
Schlaff und schwer schlug er auf dem Boden auf, rang mühevoll nach Atem, jedes Luftholen ein klägliches Stöhnen, ein Schluchzen.
Ich zog meinen Schwertgurt zurecht und stieg über ihn hinweg.
Bis in den Hafen kam ich noch, dann versagten meine Beine. Keinen einzigen Schritt konnte ich mehr gehen, ich ließ mich einfach zu Boden fallen.
Stunde um Stunde kauerte ich auf dem Kai und starrte auf das Meer hinaus. Während die Sonne ungerührt weiter ihre Bahn über den Himmel zog, landeten immer wieder Kupfermünzen klimpernd neben mir; jemand warf mir sogar mitleidig einen baozi, einen gedämpften Kloß, hin.
Ich war froh, dass ich ihn nicht getötet hatte. Nicht um seinetwillen. Um meinetwillen. Töten war nie leicht, gleich in welchem Kampf, gleich aus welchem Grund. Immer hinterließ es Spuren auf der Seele.
Da war der Schreiner in Meitan gewesen, der seine Frau und Kinder prügelte und mir in seiner Raserei selbst dann noch den Schädel mit einer eisernen Pfanne einschlagen wollte, als ich schon mit gezücktem Schwert vor ihm stand. Die drei widerlichen Gesellen in Jinan, die gerade dabei gewesen waren, über ein Bauernmädchen herzufallen. Nur zu gern ließen sie sich von mir herausfordern, glaubten sich mit ihren schweren Äxten meiner schmalen Klinge überlegen. Einer der wenigen Kämpfe seit meiner Zeit im Kloster, in denen auch ich Wunden davontrug, bevor sie alle drei in ihrem eigenen Blut lagen. Noch eine Spur ihres hässlichen Lachens, der Lust an der Gewalt trugen sie auf den Gesichtern, und ihre Augen standen offen, wie erstaunt, dass es ein Mädchen gewesen war, das sie getötet hatte. Schließlich dieser Bulle von einem Kerl, der auf der Straße nach Nanchang einen Händler um die Waren auf seinem Karren berauben wollte. Geschickt war er mit seinem dao, seinem breiten Schwert, das mich um Haaresbreite geköpft hätte. Hätte ich mich nicht schnell genug unter der Klinge weggeduckt und mit einem Streich von Long Yuan seine Leibesmitte aufgeschlitzt.
Fünf Leben, die ich genommen hatte. Jedes einzelne Mal als letztes Mittel in meinem Kampf für Gerechtigkeit.
Ich hatte nie gezählt, wie vielen Menschen ich geholfen hatte in diesen zehn Jahren. Indem ich ihren Leib und ihr Leben verteidigte, ihr Hab und Gut. Dem einen oder anderen Haus wirklich Glück und Segen brachte, nachdem man mir Obdach gegeben hatte und eine Mahlzeit, ein abgelegtes Hemd oder ein paar Kupfermünzen, wie es Brauch war.
Zufrieden hätte ich sein müssen, vielleicht sogar stolz.
Ich war keines von beidem.
Sinnlos kam mir mein Kampf für Gerechtigkeit vor. Obwohl ich doch wusste, dass jede gute Tat zählte, mochte sie auch nur ein Tröpfchen Wasser sein, das man in einen heißen Topf goss.
Ungerechtigkeit und Grausamkeit waren wie eine tausendarmige Krake: Schlug man einen Tentakel ab, wuchsen auf der Stelle fünf neue nach. Besonders in Jahren des Krieges, selbst wenn er weit entfernt war, in Zeiten der Veränderung, wie sie jetzt angebrochen waren.
Ich dachte an Väterchen Schnee, wie ich ihn genannt hatte. Wegen seines weißen Haares, das er zum Knoten gebunden trug, der Bart lang und spitz wie ein Eiszapfen. Schon als jianghu geboren, seine Waffe ein prachtvoller Degen aus der Zeit der Ming, gab er die alten Lieder und Legenden an mich weiter, während wir Seite an Seite über die kargen Felder von Guizhou wanderten. Fliegender Spatz, so rief er mich zu dieser Zeit, in der wir durch die dunklen Wälder der Wasserfälle zogen, durch die Steindörfer und über die Berge der vier Jahreszeiten. Fast alles, was ich über die Geschichte von jianghu wusste, hatte ich von ihm gelernt.
Mit Große Schwester hatte ich die Frau angeredet, die mich am Fluss der Neun Windungen fand, als ich in einem Fieber lag. Breitschultrig wie ein Mann, das Gesicht narbenübersät, und angewelkt wie eine überreife Zitrone, holte sie mich mit dem Sud von Kräutern und Wurzeln ins Leben zurück, den sie auf dem Lagerfeuer braute. Kleine Iris war der Name, den sie mir damals gab, weil mein Gesicht unter dem Fieber genauso weiß, fast bläulich, gewesen war. Ich bedankte mich, in dem ich ihr beibrachte, die Klinge ihres massigen dadao nicht nur mit Kraft, sondern auch mit Schnelligkeit und Eleganz zu führen.
Ich fragte mich, was aus den beiden wohl geworden war. Aus den anderen jianghu, die meinen Weg über die Jahre gekreuzt hatten. Es war lange her, dass ich einem von meiner Sorte begegnet war; stattdessen schien es mehr und mehr vom gleichen Schlag wie Älterer Bruder zu geben.
In diesem Land, das ich nicht mehr wiedererkannte. In dem der Begriff jianghu nach und nach die Ehre verlor, die er einmal in sich getragen hatte. Keinen Respekt mehr heraufbeschwor. Mein Schwert mich nur noch beschützte, wenn ich es zog.
Ich war müde. Des Kämpfens müde. Dieses Lebens müde.
Fortune hatte mich weich gemacht und schwach, doch ich hegte keinen Groll. Ich schätzte das, was er mir dafür gegeben hatte: ein Auge für Schönheit. Einblicke in die Welt der fremden Barbaren und ihre Sprache. Eine neue Sicht auf mein eigenes Land. Die Erfahrung, dass es noch Menschlichkeit gab und Güte, sogar unter den Barbaren. Dass ich noch etwas empfinden und vertrauen konnte.
Auch wenn ich nicht wusste, was ich jetzt damit anfangen sollte.
Mein Weg, der nie ein Ziel gehabt, den ich jedoch immer klar vor mir gesehen hatte, wohin der Wind mich auch trug, war verweht.
Es ist ein außergewöhnliches Ereignis, als Mrs Lindley kurz vor Weihnachten zum Tee kommt.
Anstrengend ist es.
Anstrengend für Jane. Aber auch für Sarah Lindley, die ihre Mutter begleitet, Jane sieht es ihr an. An einem angespannten Zug um den großen Mund. Einem flüchtigen Heben der Brauen unter dem akkurat gescheitelten braunen Haar, das sie streng aussehen lässt, vor der Zeit gereift. An der gerunzelten Stirn, wenn Miss Lindley dazu ansetzt, dem Gespräch am Teetisch eine andere Richtung zu geben. Und sei es nur, dass sie versucht, die Rede auf das Wetter zu bringen.
Bis sie vor dem überschwänglichen Mitteilungsbedürfnis ihrer Mutter kapitulieren muss.
Stumm pickt sie erst mit der Fingerkuppe Krumen von Sandwich und Kuchen vom Teller auf, schiebt den Imbiss dann auf dem guten Porzellan der Fortunes umher.
Janes Mitgefühl für Mrs Lindley schwindet in dem Maß, in dem deren Klagen ausufern. Je vertraulicher die Einblicke in die Ehe der Lindleys werden, die Jane aufgedrängt bekommt.
Mehr und mehr hat Jane das Gefühl, als wäre Mrs Lindley nicht zu Besuch, um sich nach ihrem Befinden und dem der Kinder zu erkundigen. Nicht, um ihr Gesellschaft zu leisten. Sondern einzig und allein, um ihren Kummer bei Jane abzuladen, ihre Enttäuschung und Verbitterung.
Um sie gegen Mr Lindley aufzubringen. Gegen die Horticultural Society und die gesamte Welt der Botanik, die Mrs Lindley den Ehemann gestohlen und zu einem einsamen Schattendasein verdammt haben. In der Hoffnung, in Jane eine Schwester im Geiste zu finden.
Der letzte Schluck Tee gibt Jane endlich einen Grund, sich zu entschuldigen und vom Tisch aufzustehen.
In der Küche dann hat sie es nicht eilig, frischen Tee aufzusetzen.
Sie nimmt sich die Zeit, tief durchzuatmen, um Mrs Lindleys Genörgel von sich abzuschütteln, das sich als klebriger Schatten an sie geheftet hat. Die Zeit, sich wieder zu fangen, indem sie sich auf dem Tisch abstützt.