Das Rascheln von Röcken und leise Schritte lassen sie jedoch gleich wieder hochfahren.
»Ich dachte, ich könnte Ihnen vielleicht zur Hand gehen«, sagt Sarah Lindley, als sie die Küche betritt.
Jane fühlt sich verwundbar. Wie bloßgestellt in diesem Moment, in dem die Maske der gelassenen, immer höflichen und munteren Gastgeberin gefallen ist.
»Danke, das ist wirklich nicht nötig«, gibt sie deshalb steif zurück.
Unschlüssig bleibt Miss Lindley stehen. Rote Flecken zeichnen sich auf ihrem schmalen, von Natur aus energischen Gesicht ab. Unter ihrem üblichen Selbstbewusstsein schimmert eine Unsicherheit durch, die sie wirklich noch wie ein sehr junges Mädchen wirken lässt.
Jane tut ihre harsche Erwiderung sofort leid.
»Ich muss mich für meine Mutter entschuldigen, Mrs Fortune«, flüstert Miss Lindley jetzt. »Für Sie ist das ganz gewiss kein angenehmer Besuch.«
Jane macht eine abwehrende Handbewegung und stößt dabei die Teedose um. Geistesgegenwärtig fängt Miss Lindley sie auf.
»Für meine Mutter ist es sehr schwer, die Einzige in der Familie zu sein, die kein Interesse für Pflanzen aufbringt. Sie fühlt sich vernachlässigt, weil mein Vater so oft auf Forschungsreise ist und immer viel arbeitet. Besonders, seit wir Mädchen in seine Fußstapfen treten und Nathaniel in London zur Schule geht.«
Nachdenklich betrachtet sie die Teedose in ihrer Hand.
»Manchmal glaube ich, ihr ständiges Unwohlsein ist nichts anderes als ein Mittel zum Zweck, damit wir uns mehr um sie kümmern. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen deshalb. Aber ich will auch nicht mein Leben damit zubringen, meine Mutter zu unterhalten, weil diese nichts mit sich anzufangen weiß.«
Die vorzeitige Reife, die sie ausstrahlt, rückt sie näher an Janes achtundzwanzig Jahre. Ihre Offenheit macht Jane Mut.
»Ich kann Ihre Frau Mutter gut verstehen. Obwohl ich weit davon entfernt bin, Mr Fortune, Ihrem Herrn Vater oder der Society für diese Reise gram zu sein.«
Noch zumindest, setzt sie in Gedanken hinzu.
Sie fürchtet, bald eine zweite Mrs Lindley zu werden. Deshalb setzt ihr dieser Besuch derart zu. Als ob sie in einen Spiegel blickte, der ihr die Zukunft zeigt.
Sarah Lindley stellt die Teedose zurück auf den Tisch. »Das ist gewiss nicht leicht für Sie.«
»Das Schlimmste ist das Warten. Nicht so sehr das Warten auf meinen Mann, sondern das Warten, dass es mit unserem Leben hier irgendwie weitergeht. In irgendeine Richtung.«
Sarah Lindley nickt. Ihre hellen Augen wandern forschend durch die Küche.
»Sie kommen hier nicht allzu viel heraus, nicht wahr?«
Diese Frage trifft Jane; sie spürt, wie sie rot wird.
»Nun – doch, ich …«, setzt sie zu einer Rechtfertigung an, die unter Miss Lindleys eindringlichem Blick in sich zusammenfällt. »Ich kenne hier ja auch kaum jemanden – und mit den beiden Kindern …« Nervös knetet sie ihre Hände. »Ich hatte mir das anders vorgestellt. Hier, in Chiswick. Ich habe jeden Tag so viel zu tun, und trotzdem … trotzdem sind diese Tage oft so … leer.«
Ihre Stimme ist mit den letzten Worten immer leiser geworden. Als würde sie damit eingestehen, eine schlechte Ehefrau zu sein. Als Hausfrau und Mutter zu versagen.
»Vielleicht brauchen Sie mehr als das hier.« Miss Lindley nickt in Richtung des Küchenfensters.
»Ich weiß nicht«, wiegelt Jane schnell ab.
Obwohl ihr Herz höher schlägt.
»Und mit den Kindern …«
»Meiner Erfahrung nach ist man effizienter, wenn man sich ein bisschen mehr auflädt, als man sich eigentlich zutraut«, widerspricht Miss Lindley kühl, fast herrisch. »Können Sie zeichnen?«
»Nicht besonders gut. Aber ich habe eine schöne Handschrift! Zumindest hat man mir das immer gesagt … Und ich kann gut mit Zahlen umgehen!«
Sarah Lindley schlägt die Augen nieder.
»Also haben Sie auch davon gehört …«, murmelt sie. »Natürlich haben Sie das, wie könnte es auch anders sein.«
Jane durchfährt es heiß und kalt.
Sie bemüht sich zwar, dem Tratsch im Dorf keine Beachtung zu schenken. Immer in der Angst, es könnte um sie oder Robert gehen. Trotzdem kann sie nicht verhindern, dass auf der Straße ab und zu ein Fetzchen davon zu ihr herüberweht. Wenn Helen wieder verträumt vor sich hin trödelt. Wenn John sich um eine Schnecke kümmern muss oder einen besonders interessanten Stein entdeckt hat.
Daher weiß sie um die prekäre finanzielle Lage der Lindleys. Um die Mutmaßungen, wie schlecht es um deren Ehe wirklich bestellt sein mag.
Unter jedem Dach ein Ach, geht es Jane durch den Kopf.
»Deshalb habe ich das nicht ge…«
»Schon gut«, fällt Sarah Lindley ihr ins Wort und strafft den Rücken. »Im Grunde ist es nichts Ehrenrühriges. Es sind ja nicht unsere Schulden, sondern die meines Großvaters. Sein Sinn fürs Geschäft war leider nicht halb so ausgeprägt wie sein gärtnerisches Wissen. Und trotzdem stünden wir anders da, würde nicht so viel Geld in Papas Forschungen und Publikationen fließen.«
Jane fehlen die passenden Worte.
In Swinton aufzuwachsen, hat ihr eine tiefgehende Angst vor Schulden eingeimpft; sie hat im Dorf gesehen, wie schnell ganze Familien in diesen Sog geraten können, der sie unaufhaltsam in den Abgrund reißt, bis in die nächste und übernächste Generation hinein.
Gern würde sie Miss Lindley tröstend beim Arm fassen. Doch sie vermutet, dass die junge Frau Berührungen von Fremden nicht sonderlich schätzt.
Wie Jane.
Sarah Lindley zieht die Unterlippe zwischen die Zähne, während sie nachdenkt.
»Mein Vater würde es zwar nie zugeben – aber seine Sehkraft hat stark nachgelassen, und seine Handschrift ebenfalls. Ich selbst kann stundenlang über den Zeichnungen sitzen, genau wie Anne, aber für Korrespondenz bringen wir beide nicht die Geduld auf. Könnten … könnten Sie sich vielleicht vorstellen, das zu übernehmen? Bei uns im Haus? Obwohl mein Vater für seine sprunghaften Gedanken und manchmal wirren Diktate berüchtigt ist?«
Jane hält den Atem an.
»Wir könnten Ihnen leider nicht viel dafür zahlen, aber …«
Jane schnappt nach Luft. »Das müssten Sie auch nicht. Darum geht es mir nicht, ich habe mein Auskommen. Nur eben …«
Sie zögert, findet nicht die richtigen Worte.
Miss Lindley versteht sie auch so. Zumindest liest Jane das aus dem kleinen Lächeln heraus, das sie auffängt und scheu erwidert.
»Dann spreche ich mit meinem Vater. Heute Abend noch.«
Aufgeregt umklammert Jane eine Falte ihres Rocks. Sie ermahnt sich selbst, sich nicht zu viele Hoffnungen zu machen.
Und trotzdem ist dieser Tag gleich ein bisschen heller, freundlicher.
49
Anhui, Dezember 1844
Temperaturen im Mitteclass="underline" um 48 Grad Fahrenheit.
Manchmal sieht es nach Schnee aus, bevor sich der Himmel besinnt und es lieber in Strömen regnen lässt.
Die Untätigkeit, zu der mich der Winter hier verdammt, müsste mir ein Gräuel sein. Und doch ist sie im Augenblick für mich zu ertragen.