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Sogar bis ans Ende der Welt reichten diese Fäden noch. Wie ein Baum, der sich dem Himmel entgegenreckt, seine Äste nach den Elementen ausrichtet und doch an seiner Basis die Form behält, die der Gärtner ihm in seiner Jugend gegeben hat. Etwas, das auf ihn ebenso zutraf wie auf Wang.

Parallelen wie Unterschiede, die ihn beschäftigten. Wie die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Narzissen in China und Europa, der Rosen und Lilien.

Als ob beiden Welten dieselben Prinzipien zugrunde lagen, in der Natur ebenso wie bei den Menschen. In ihrer Essenz unveränderlich, nur an der Oberfläche von unterschiedlicher Gestalt. Geformt durch einen anderen Verlauf der Geschichte, eine andere Kultur, feine Unterschiede in der alltäglichen Lebensweise. Große Unterschiede auf den ersten, den zweiten Blick, die den Boden für Fremdheit bereiteten, für Missverständnisse, sogar für Feindseligkeit. Die jedoch verschwammen, wenn man genauer hinsah, und sich schlussendlich auflösten.

Wenn Fortune mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden saß und über ein Schriftzeichen nachdachte, fuhr er sich oft über den Kopf, von Wang regelmäßig mit einigen Schrammen und Schnitten nachgeschoren. Manchmal fiel es ihm dann ein, dass er früher dickes, widerspenstiges Haar dort gehabt hatte; wie angewachsen fühlte sich sein Zopf aus Pferdehaar inzwischen an.

Wenn er sich dessen bewusst wurde, wie er aussah, in dieser chinesischen Tracht, der Stoff vollgesogen vom Qualm der Kochfeuer, seine Haut schmierig vom Fett, das in der Luft lag, und Ruß in den Poren, dachte er an das Cottage in Chiswick. An Jane und die Kinder.

Fortune fragte sich, was Jane denken würde, könnte sie ihn so sehen. Ob sie in ihm dann immer noch den Mann erkannte, den sie geheiratet hatte. Wie seine Abwesenheit seine eigenen Kinder wohl prägen mochte. Zwei Jahre, die in Helens Kinderzeit eine Ewigkeit bedeuteten, und davor war nicht genug Zeit gewesen, für John bleibende Erinnerungen zu schaffen. Ob sein Fehlen wie eine tiefe Kerbe war, die aus Versehen in den Stamm geschlagen wurde? Oder ein Stein, den die Rinde wohl oder übel in sich bergen musste? Eine Wunde, die sich in der Folge wieder schloss und nur eine Narbe hinterließ, die nahe den Wurzeln und auf die Lebenszeit eines Baumes gerechnet nicht weiter ins Gewicht fiel? Oder aber eine Spaltung des Stamms wie durch einen Blitzschlag; eine Beschädigung, die dem Wachstum des Baumes unwiderruflich eine neue Richtung gab? Fragen, die er sich nicht beantworten konnte; dafür war er hier zu weit von allem entfernt.

Fremd kam er sich in solchen Momenten vor, fremd sowohl in seiner chinesischen Haut wie in der englischen darunter.

In diesen Momenten war er unsicher, welches Leben Wirklichkeit war und welches ein Traum: das in England oder das hier in China.

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Sobald ich Hongkong hinter mir gelassen hatte und auf das Festland übersetzte, ließ ich mich davonspülen wie ein Stück Treibholz. Über die Bäche, Flüsschen und Seen im Land der Tausend Wasser. Durch das Land der Sümpfe und heißen Quellen, bis hinauf zu den schlangengleichen Windungen des Flusses des Ostens.

In Guangzhou blieb ich nicht lange, dort erinnerte mich zu viel an Fortune. Lieber driftete ich durch das Land der Hundert Flüsse, in dem ein immerwährender Sommer herrschte.

Meine Augen, meine Ohren hielt ich dabei immer offen. Ich beobachtete die Leute, hörte mir an, was sie untereinander redeten, redete auch selbst mit ihnen. Als wäre das Land, das ich einmal so gut gekannt hatte, ein fremdes, das ich erst kennenlernen musste.

Vom Regen hörte ich, der das Getreide auf dem Feld ertränkt hatte, und von angeschwollenen Wasserläufen, die die Reispflanzen fortgerissen hatten und das Vieh gleich mit. Von ungerechten, bestechlichen Beamten voller Willkür. Über Diebe und Räuber wurde geklagt, um die sich der Arm des Gesetzes nicht scherte, wenn die zum Opfer wurden, die ohnehin nicht viel hatten.

Vertraute Klagen, die vielleicht so alt waren wie China selbst.

So alt wie die Dynastie der Qing war der Unmut gegen die fremden Herrscher aus dem Norden. Daneben nahm sich zwar der Unwille gegen die fremden Barbaren aus dem Westen jung aus, dennoch war auch dieser inzwischen ein Gemeinplatz. Besonders in den Gegenden, die noch nie einen weißhäutigen, rothaarigen Mann gesehen hatten.

Es war die Art, wie dieser frische Hass den ewigwährenden, nie schwindenden Zorn befeuerte, die ganz neu war. Jetzt, nachdem die Mandschu in ihrer Eitelkeit, ihrem Starrsinn diesen Krieg verloren hatten, der nicht nur Unmengen an Silber und Blut kostete, sondern auch den Teufeln aus dem Westen die Tore zu unserem Reich öffnete.

Mit Gedanken und Worten schlugen die Menschen Funken über einer schon lange schwelenden Glut und schürten sie tüchtig, mit einem fieberhaften Eifer, einer Ungeduld und Heftigkeit, die mich erschreckte.

Ich floh vor dieser Unruhe, die die Luft auflud wie kurz vor einem Gewitter und schweflig roch. Den Fluss des Westens hinauf floh ich. Durch die tiefen Schluchten und dunklen Wälder von Landschaften wie aus den alten Legenden. Wo Wehrtürme seit Jahrhunderten über das Land zu ihren Füßen wachten und Felsen wie versteinerte Krieger das Ufer behüteten, mochte ich mich sicher fühlen.

Dort, wo sich der Fluss zu einem stillen, verträumten See weitete, gingen Wasser und Land fast ununterscheidbar ineinander über. Bis zum Horizont reichten die Seen, in denen sich Felsen spiegelten, grüne Wälder und die Wolken am Himmel. Eine Welt, die nicht fest gegründet, sondern auf den Weiten der Wasser dahinzugleiten schien.

Umso standhafter zeigte sich die Stadt mit ihren massiven Mauern, die als Insel im Fluss des Westens lag. Weit hinaus ins Land blickten ihre Türme und erinnerten an damals, als China noch nicht geeint gewesen war, seine Reiche miteinander im Streit lagen. Mehr als nur ein Hauch von Geschichte lag hier in der Luft: Ein überdauernder Atem der Geschichte sickerte beständig aus den Rissen und Sprüngen im Stein.

Hier war es die Zeit, die sich im Fluss befand, zwischen einer Vergangenheit, die nie zu Ende gegangen war, und einer Gegenwart, die weit zurückreichte. Im Stimmengewirr der Menschen, die die engen, alten Gassen wohl auf die gleiche Weise bevölkerten wie all die Generationen vor ihnen. In der Frische der Früchte von Feldern und Gärten, die vor den betagten, immer noch kunstvollen Fassaden feilgeboten wurden, und den Rufen ihrer Händler. Im Hämmern und Klopfen aus den Werkstätten, in denen dasjenige neu gemacht wurde, was unter der Zeit gelitten hatte.

Ewiggleich, gewiss seit Menschengedenken, waren auch die Geräusche von Streit und Kampf. Wie überall, wo ich je gewesen war, und sicher auch sonst auf der ganzen weiten Welt.

Die Geräusche von Hieben. Lautes Keuchen und Stöhnen, mal im Schmerz, mal angestrengt und wutentbrannt. Flüche und gebrüllte Schimpfwörter. Geräusche, die im Brausen und Summen der Stadt fast verwehten; ein Kräuseln in den Wellen aus Stimmen, Schritten, Handgriffen, Atemzügen, dem Rascheln von Kleidern, Hufgeklapper und dem Knirschen von Wagenrädern. Ein Vibrieren auf der Haut, das manchen auf der Gasse schneller gehen ließ, wie um davor zu fliehen, andere wiederum wie magisch anzog, nach dem Ursprung suchen ließ.

So wie mich.

Im Schatten eines Torbogens und umringt von Schaulustigen, die sie noch anfeuerten, drosch eine Horde mit Mandschuzöpfen auf drei Gesellen ein. Schmächtige Kerle, vielleicht noch nicht einmal ausgewachsene Männer, die sich verbissen wehrten, mit aller Kraft selbst Schläge austeilten, aber hoffnungslos unterlegen waren.

Nichts deutete auf einen Raub hin. Nichts in den Beschimpfungen, die durch die Luft schwirrten, legte nahe, dass die drei etwas stehlen oder jemanden betrügen wollten. Für mich gab es keinen Zweifel, wer hier das Opfer war.