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»He«, rief ich in das Getümmel hinein. Ein erstes Ausstrecken meiner Fühler, wie ernst diese Prügelei sein mochte.

Keiner der Männer mit Zopf hob auch nur den Blick; ein paar Gaffer – halbwüchsige Burschen mit Pickeln und den allerersten Barthärchen im Gesicht – lachten, stießen sich grinsend gegenseitig an. Wie so oft, wenn eine Frau die Stimme erhebt.

Ich folgte meinem eigenen Ruf und flog über die Gasse. Über die Papierfetzen hinweg, schwarzschlierig von Schriftzeichen, den Fragmenten ungelenker Zeichnungen, die den Boden bedeckten wie schmutziger Schnee.

Wie ein Windstoß fuhr ich zwischen die verknäulten Leiber. Hieb um Hieb löste ich nach und nach diesen Knoten. Einen Tritt nach dem anderen versetzte ich, gegen Arme, Beine, Kieferknochen und Weichteile.

Der Moment des Triumphs blieb aus, es gab noch nicht einmal ein Aufatmen. Mit jedem Mann, der zu Boden ging, wuchs die Unruhe in der Menge. Die ersten Schaulustigen, die das vorzeitige Ende dieses Spektakels fürchteten, machten sich daran, mit geballten Fäusten in die Bresche zu springen. Ein Stein traf mich an der Schulter, und aus dem Augenwinkel entdeckte ich einen drohend geschwungenen Hammer.

Es gab nur einen Weg, diesen Streit zu beenden, ohne unnötig Blut zu vergießen. »Lauft!« Ich zerrte einen der drei Gesellen vom Boden hoch, trieb die anderen beiden vor mir her.

Selbst die größte Stadt, mag sie sonst noch so lebhaft und laut sein, hat ihre stillen Winkel. Dunkel sind sie meistens, zumindest dämmrig und tags fast genauso leer wie in der tiefsten Nacht. Selbst in der Stunde des Pferdes, wenn die Sonne am höchsten steht.

Wie die Gasse, in der sich unsere atemlosen Laufschritte verlangsamten, wir schließlich stehenblieben. In der Ruhe eines menschenverlassenen Fleckchens, in Sicherheit. Nur eine alte Frau lugte aus einem Fenster und beäugte uns misstrauisch, bevor sie mit Nachdruck den Fensterladen zuschlug.

»Habt vielen Dank für Eure Hilfe«, keuchte einer der drei, während er sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Mundwinkel wischte. »Ich bin Dong, und die beiden hören auf die Namen Chang und Chao. Frau …«

Ich ging auf seinen fragenden Blick nicht ein, dachte auch nicht daran, mir ihre Namen zu merken, das tat ich nie.

»Gebt Acht in der nächsten Zeit«, riet ich. »Solche Kerle schlagen wieder zu, solltet ihr noch einmal ihren Weg kreuzen. Verlasst vielleicht besser die Stadt, wenn ihr könnt. Wenigstens für einige Zeit. Die Menschen vergessen zum Glück schnell.«

Mit dem Ärmel fuhr ich über meine schweißnasse Stirn und wandte mich zum Gehen.

»Wartet bitte. Wir sind Euch zu großem Dank verpflichtet. Erweist uns die Ehre und seid heute unser Gast.«

Ich zögerte, allerdings nicht allzu lange: Die Aussicht auf eine ordentliche Mahlzeit war zu verlockend.

Die Garküche war nicht mehr als ein Verschlag aus Holzlatten, der schief an einem Stück Stadtmauer klebte. Kaum sauberer als in einem Stall war es dort, und genauso einfach war das Essen.

Über der großen Schüssel mit dampfendem Reis, den grob zerteilten gekochten Hühnern und bok choi, dem weißen Gemüse, musterte ich die drei Männer. Sehr jung waren sie noch, eher Burschen als Männer.

Mit seinen kleinen Augen, von denen eines gerade in Schattierungen von Purpur zuschwoll, und seinem pausbäckigen Gesicht erinnerte Chang an eine Bambusratte; dazu passten die dicken Borsten auf seinem Kopf und einzelne Barthaare, die überlang aus seinen Wangen sprossen. Chaos lange Schneidezähne und die Art, wie es fortwährend in seinem zerschlagenen Gesicht zuckte, während er an den Blättern des bok choi mümmelte, ließen mich an einen Hasen denken. Ein Hase, dem der geschorene Pelz auf dem Kopf gerade nachwuchs, rings um den Stummel des abgeschnittenen Zopfes.

Dong, dessen zerschrammtes Jochbein sich bläulich verfärbt hatte, mochte ein bisschen älter sein; vielleicht wirkte es so, weil er den Wortführer gab, sein schmales Gesicht mit den großen Ohren und den schräggestellten Augen etwas von einem Rotwolf hatte.

»Wie Ihr den hässlichen Fettwanst mit einem Schlag gegen sein gepolstertes Kinn außer Gefecht gesetzt habt …« Seine Faust schlug bekräftigend in die Luft, bevor er ein Stück Huhn in der feurigen roten Soße versenkte.

Ich runzelte die Stirn. Schön oder hässlich waren keine Kriterien im Kampf, ebenso wenig wie Wohlwollen oder Abneigung; dort gab es nur die Pole von stark und schwach, geschickt oder ungeschickt. Selten achtete ich dabei auf körperliche Eigenheiten, auf Gesichter.

Mein Blick war ein anderer. Meine Aufmerksamkeit galt allein den Bewegungen: den Vorahnungen davon, ihrer logischen Abfolge. Den Schwachpunkten des Körpers, die bei fast allen Menschen die gleichen waren.

»Ihr seid wahrlich eine Frau von bemerkenswerten Fähigkeiten. Ich empfinde es als eine große Ehre, Euch begegnet zu sein.«

Plötzlich auf der Hut, senkte ich meinen Blick auf das Stück Huhn zwischen meinen Stäbchen, zog es durch die klare Soße mit Ingwer und Knoblauch.

Alles, was ich über Schmeicheleien wusste, über ihre Macht auf die Menschen, hatte ich von Älterer Bruder gelernt. Darauf verstand er sich gut, wenn es ihm ein vielversprechender Weg schien, seine Ziele zu erreichen; eine harte Lektion war es für mich gewesen, als ich ihn endlich durchschaut hatte.

Ich musste an Meister Qiang denken, der sparsam gewesen war mit seinem Lob. Der mir nie welches spendete, ohne mir mit dem nächsten Atemzug meine Eitelkeit vorzuhalten. Mir schonungslos aufzuzeigen, wo mein Kampf, mein Charakter noch immer Mängel aufwiesen. Es war nie das gewesen, was ich hatte hören wollen, aber immer die Wahrheit. Etwas, das mir meinen weiteren Weg wies. Mir mehr half als jedes noch so kunstvolle Kompliment. Auch wenn ich lange gebraucht hatte, um zu verstehen, dass es seine Art gewesen war, mir zu sagen, dass ihm etwas an mir lag.

Trotzdem verfehlten Dongs Worte ihre Wirkung nicht; wider besseres Wissen fühlte ich mich von der Art, wie er mich umwarb, angezogen.

»Wir könnten jemanden wie Euch gut gebrauchen«, setzte er hinzu.

Die Lider halb gesenkt, sah ich zu ihm hin. »Wer ist wir?«

Mit gespreizten Fingern fuhr er sich durch das Haar. Glatt und glänzend war es, wie das Gefieder eines Raben, es reichte fast bis zu seinem dreieckigen Kinn.

»Siehst du das?«, fragte er. »Kein rasierter Kopf mehr. Kein Zopf. Ich habe das Joch der Mandschu abgestreift. Ich bin frei.«

Ein gewinnendes Lächeln erschien auf seinem Rotwolfgesicht. Mir wurde bewusst, wie gut er aussah mit seinen klaren Zügen, den schrägen Augen. Und dass er ebenfalls um die Wirkung seines Äußeren wusste, war offensichtlich.

»Auch du kannst das Los abwerfen, das diese Tyrannei dir auferlegt. Auch du kannst frei sein. Heute schon, wenn du willst.«

Mir gefiel nicht, wie vertraulich er mich unvermittelt anredete. Sich ein Urteil über meine Art zu leben anmaßte.

»Ich bin jianghu. Ich bin frei.«

»Keine Frau kann in diesem Land wirklich frei sein. Nicht, solange die Frauen nicht den Männern gleichgestellt sind. Solange wir noch die Last der alten Werte tragen. Solange die neue Zeit noch nicht angebrochen ist. Aber sei versichert – sie ist nah, diese neue Zeit. Ein neues Leben steht uns bevor, in Freiheit und Gleichheit und Gerechtigkeit. Uns allen.«

Dong verstand zu reden, das musste man ihm lassen. Er wusste seine Worte so zu wählen, dass sie Gewicht hatten. Worte, die einen umgarnten. Die Fantasie anregten und tief verborgene Sehnsüchte weckten. Hätte Älterer Bruder nicht stets darauf bestanden, der Anführer zu sein, alles besser zu können, besser zu wissen, wären die beiden bestimmt gut miteinander ausgekommen.

Dong schob seine leere Schale beiseite und lehnte sich über den Tisch, dämpfte seine Stimme zu einem Raunen.

»Falls du noch nichts von Hong Hsiu-ch‘uan weißt, so wirst du bald von ihm hören. Sehr bald sogar. Denn er ist kein anderer als der Auserwählte. Derjenige, der dazu bestimmt ist, das Joch der Mandschu zu zerbrechen und unser Volk in die Freiheit zu führen.«