Er nahm die Pfeife aus dem Mund und kratzte mit dem Daumennagel daran herum.
»Ich habe fast alle meine Teepflanzen verloren, ohne dass ein fremdländischer Tee daran schuld war. Wie alle Bauern ihre Ernte verlieren können, allein weil die Götter es so bestimmen. Armut und Reichtum kommen und gehen, wie sie wollen. Das ist unser Los. Nicht nur als Bauern. Fall sieben Mal hin, steh acht Mal auf.«
Ich lächelte in mich hinein, als ich aus seinem Mund die vertrauten Worte von Meister Qiang hörte.
»Was geschehen wird, soll geschehen, Frau Lian. Ob mit oder ohne fremdländischem Tee. Und vermutlich gibt es niemanden, der sich in den Bergen besser zurechtfinden kann, als eine weitgereiste jianghu wie Ihr.«
»Ob ich mit ihm dort hinaufgehe, liegt nicht allein in meiner Hand«, flüsterte ich.
Fragend hob Vater Wang seine borstigen, weiß melierten Brauen.
Hier in Anhui spürte ich, wie tief ich in meinem Land verwurzelt war. Nicht an einem einzigen Ort, nicht in einem bestimmten Landstrich. Sondern im Boden der ausgedehnten Weiten, unter dem endlosen Himmel. Zwischen seinen Menschen und ihrer Art zu leben, in ihren Sprachen.
Die Kante der Bank umklammernd, die Füße fest auf den steinigen Boden gesetzt, erzählte ich Vater Wang von den Pflänzchen aus dem Kloster von Tiantung und dem Glaskasten. Während er umständlich seine Pfeife stopfte und entzündete, hörte er mir zu, gab nur immer wieder ein Brummen, ein Knurren von sich, manchmal ein halb entrüstetes, halb mitfühlendes hng.
»Die Treue zu seinem Land ist ein achtbarer Charakterzug, Frau Lian«, sagte er schließlich. »Doch noch höher zu achten ist die Treue zu den Menschen. Den Menschen, die wir unserer Treue als würdig betrachten.«
Er nahm die Pfeife aus dem Mund und wies mit dem Stiel den Hang hinunter. Auf die Silhouette eines Mannes, hoch aufgeschossen und schlank wie ein Bambusrohr.
»Da kommt er ja. Unser Freund aus der Fremde.«
Ächzend erhob er sich, um sich ins Haus zurückzuziehen.
»Es gibt nichts an Unstimmigkeiten, das nicht mit ein paar offenen und ehrlichen Worten aus der Welt geschafft werden könnte. Ich bin lange genug verheiratet, um das zu wissen.«
Fortunes Schritte wurden langsamer, weniger zielstrebig, je näher er dem Haus kam.
Er schien zu zögern, stellte seine Botanisiertrommel dann doch vor der Bank auf dem Boden ab und setzte sich zu mir. Mit dem Ärmel wischte er über sein schweißnasses Gesicht, ließ dann die Arme auf den Knien ruhen.
»Guter Tag?«, fragte ich schließlich.
Er nickte.
»Du …«, begann er und verfiel dann in Schweigen.
Erst nach einer Weile setzte er neu an.
»Es war immer gut, dich dabeizuhaben. Draußen, bei den Pflanzen.«
Mehr sagte er nicht, er brauchte es auch nicht.
»Es ist nicht leicht für mich, hier zu sein«, flüsterte ich. »Ich bin hier aufgewachsen. Jenseits des Flusses. Zwischen den Getreidefeldern und Viehweiden.« Er nickte, wieder im Schutz eines Schweigens, das ihm gleichwohl auf den Schultern zu lasten schien.
»Vielleicht wären sie auch so eingegangen«, sagte er irgendwann leise. »Die Teepflanzen. Auch ohne dich.«
Eines wusste ich gewiss über ihn: Er hatte ein großes Herz.
56
Wir wanderten durch die Reisfelder, unsere Schritte im selben Takt, so bedächtig, als hätten wir alle Zeit der Welt.
Sein Gang hatte sich verändert. Weniger eckig, weniger stelzend. Geschmeidiger. Als fühlte er sich wohl in der chinesischen Haut, die er über seine englische gezogen hatte.
Wie ein kleines Wunder kam es mir vor, neben ihm einherzugehen. Auf dem Boden meiner Heimat, in die ich niemals hatte zurückkehren wollen. Mich frei zu fühlen, obwohl mich ein unsichtbares Band zu Fortune zurückgeholt hatte.
»Wie war es, hier aufzuwachsen?«
Ich nahm mir ein paar Herzschläge Zeit, obwohl es dazu nicht viel zu überlegen gab.
»Einfach. Ein paar Schweine und Ziegen. Getreidefelder und ein Gemüseacker. Zu viele Menschen in einem zu kleinen Haus. Einfach … Tage und Nächte zwischen Feldern und Stall.«
Er nickte. »So bin ich auch aufgewachsen. Neun Kinder in einem winzigen Haus. Felder und Äcker und Weiden, Kühe und Schafe. Viel Land, das alles dem Grundherrn gehörte. Mein Vater kümmerte sich um die Hecken, die dessen Felder und Weiden einfriedeten.«
Wie seltsam, dachte ich, dass man auf Fortunes englischer Insel sein Land einzäunen musste. Man wusste doch, wo ein Feld aufhörte und ein anderes begann. Wem in der Gegend welches Land gehörte. Und die Tiere beisammen zu halten, das war die Arbeit von uns Kindern gewesen.
»Wie bist du von hier ins Kloster gelangt?«
Ich bückte mich nach einem Reishalm, der sich von den glänzenden Wasserflächen hierher verirrt hatte, zwischen das Gras am Wegesrand, und rupfte ihn aus.
»Hast du gewusst, dass der Reis es nicht nötig hat, ins Wasser gepflanzt zu werden? Aber weil er darin gedeihen kann, setzt man ihn in diese Wasserfelder. Dort kann er frei wachsen, ohne von Unkraut bedrängt zu werden. Das erleichtert die Ernte. Auch um den Preis, dass sich manchmal Giftschlangen in den Feldern verstecken und mit ihrem Biss die Bauern töten.«
Ich brauchte noch etliche Schritte, bis ich den Anfang machte, während meine Finger mit dem Reishalm spielten.
»Ich war nicht immer Lian, musst du wissen.«
Die Art, wie er neben mir einherging, den Kopf andächtig gesenkt, machte es leichter.
»Da war einmal ein Bauernmädchen namens Qiuyue. Benannt nach dem Herbstmond, unter dem es geboren worden war. Ein Mond, goldgelb und voll wie die Ähren des Weizens auf dem Feld. Noch ein Mädchen mehr zu den dreien, die meine Eltern bereits hatten, und nur zwei Söhne.«
Nicht einmal ein besonders hübsches Mädchen. Nicht wie Pfirsichblüte, meine zweitältere Schwester, mit ihren zarten Zügen, der hellen Haut. Zum Glück war ich aber auch nicht allzu hässlich; bestimmt würde es reichen, dass mich einer der Söhne aus der Nachbarschaft zur Frau nahm, für nur eine Ziege und ein paar Hühner dazu.
Für mich zu jener Zeit nichts als nebensächliche Worte, die meine Mutter, mein Vater so achtlos fallen ließen wie eine Flaumfeder, die sich im Jackenärmel festgehakt hatte. Ich war ja noch ein kleines Mädchen. Glücklich, draußen zu sein. Glücklich, auf dem Feld mitzuhelfen oder bei den Tieren.
»Eines Tages wurde eine Sänfte vor unserem Haus abgesetzt, und die Träger halfen einer feinen Dame heraus.«
Ich hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. Ihre Gewänder aus bestickter Seide, ihr Gesicht, blass und schmal wie ein Reiskorn. Mit Augen wie Kohle, einem Mund wie eine Mohnblüte und Brauen wie mit Tusche gezogen.
»Eine Heiratsvermittlerin war es, die von der Schönheit meiner Schwester gehört hatte und sich Pfirsichblüte einmal ansehen wollte. Doch es war ich, die ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.«
Ich, Qiuyue – die ich klein und schmal war für mein Alter, mit einem viel zu runden Gesicht und zu großen Augen. Ausgerechnet ich.
»Zur Frau eines wohlhabenden Mannes würde sie mich machen, versprach sie meiner Mutter. Ich sei zu Großem bestimmt. Etwas Besonderes hätte ich an mir, sagte sie.«
Wie eine Fee aus einem Märchen stand sie vor mir und versprach, alle meine Wünsche zu erfüllen. Wünsche, die so geheim waren, dass ich nicht einmal von ihnen gewusst hatte, bis sie sie vor mir ausbreitete, in ihrer ganzen verheißungsvollen Pracht. Eine betörend schöne und mächtige Zauberin, die mit einem Wink ein neues, ein glänzendes Leben vor mir ausbreitete, von dem ich kaum je etwas geahnt hatte.
Bereitwillig hätte ich einen Finger geopfert, wenn sie danach verlangt hätte.
Sie verlangte nach mehr.
»Es gab da nur eine Kleinigkeit …«
Sechs Jahre alt musste ich da gewesen sein. Vielleicht ein bisschen älter, ein wenig jünger. Ich wusste es nicht genau, Geburten eines Mädchens wurden nie so gefeiert wie die eines Jungen. Nie so im Gedächtnis behalten.
Jung genug jedenfalls, dass meine Knochen noch wie Wasser waren, wie es hieß.