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Natürlich heiratet man trotzdem, über kurz oder lang und lieber früher als später. Das ist doch das eine Ziel im Leben: Hochzeit und Kinder, ein eigener Hausstand, eine eigene Familie.

Bedauernswert sind die armen Geschöpfe, die ledig bleiben, dazu verdammt, den Rest ihres Lebens als alte Jungfern ihren Familien zur Last zu fallen. Weil sie nicht genug Pennys für eine Aussteuer zusammenkratzen können. Sich um einen gebrechlichen Vater kümmern müssen. Oder die einfach keiner will, weil es genug andere, hübschere und jüngere Mädchen in der Gegend gibt.

Deshalb war Jane nach Edinburgh gegangen. Um ihr eigenes Geld zu verdienen und eisern zu sparen, für später. Im Rahmen aller Schicklichkeit die Augen offen zu halten nach einem passenden jungen Mann, von denen es in der großen Stadt zweifellos ungleich mehr gab als in den Dörfern auf dem Land.

Großes, unwahrscheinliches Glück hat sie gehabt, mit Robert nicht nur diesem traurigen Los zu entkommen, sondern in ihm auch noch einen guten Ehemann und Vater zu finden.

 

 

 

In Acton Green jedoch erlebt Jane, dass es auch andere Arten zu leben gibt.

Wie Duck - wie Miss Drake, die schon näher an vierzig als an dreißig sein muss und immer noch anziehend ist, auf eine dezente, herbe Art. Die vollkommen glücklich zu sein scheint mit ihrem Dasein im Haus der Lindleys, ohne Mann, ohne Kinder. In dieser eigenartigen Beziehung zu Mr Lindley, die mehr sein mag als ein Dienstverhältnis oder Freundschaft, vielleicht aber auch nicht.

Oder Sarah Lindley, die immer adrett wirkt, ohne sich je herauszuputzen, und offenbar keinen Gedanken daran verschwendet, sich nach einem möglichen Ehemann umzuschauen. Ernsthaft und selbstbewusst, fast ruppig geht sie mit den Gentlemen um, die Mr Lindley in Acton Green aufsuchen. Als wäre sie ihnen ebenbürtig.

Daheim in Swinton wäre so etwas undenkbar, ein Leben wie Miss Lindleys, wie Miss Drakes, ein großes Unglück und Schande zugleich. Im Haus der Lindleys jedoch ist es einfach eine Varietät des Lebensweges.

Wie eine Pflanze, die statt weißen Blüten rote oder gelbe trägt und über deren Farbe man dazu noch selbst entscheiden konnte.

Während unter dem finsteren Himmel die Wiesen und Felder Chiswicks zu saftiggrüner Üppigkeit verwildern, der Garten des Cottages in den Regenströmen allmählich einem Dschungel gleicht, wuchern die Gedanken in Janes Kopf.

Manchmal fragt sie sich dann, wie ihr Leben wohl aussehen würde, wäre sie Robert nicht begegnet, ledig geblieben. Gedanken, die ihr genauso unsinnig vorkommen, wie sich vorzustellen, einen Kopf größer oder kleiner zu sein, blond oder rothaarig oder mit einer zierlicheren Nase; da kann sie nicht aus ihrer Haut.

Die Neugierde jedoch bleibt, zusammen mit all diesen Fragen. Die Unruhe in ihrem Herzen, das Sehnen in ihrem Leib, das sie sich nicht erklären kann.

Das Gefühl, irgendwo am Rand ihres Gesichtsfelds einen blinden Fleck zu haben. Dort versteckt sich etwas, von dem sie zwar ahnt, dass es da ist, das sie jedoch nicht erkennen oder gar benennen und greifen kann.

Etwas, das mit diesem neuen, fremden Hunger zu tun hat, der sie umtreibt. Ihr ganz und gar unweiblich vorkommt. Sie unzufrieden macht und reizbar.

Den sie dennoch genießt.

59

Überall hier wächst Camellia sinensis wild – jetzt kann ich verstehen, dass es heißt, Tee sei die Essenz der Berge.

Ich kann nicht glauben, dass es hier Geister geben soll. Dämonen. Hier ist nichts als Friede und Stille. In einer Erhabenheit, einer Schönheit, die einem voller Euphorie den Atem verschlägt, um einen gleich darauf demütig werden zu lassen. Kein Palast, keine Kathedrale kann beeindruckender sein.

Das einzig Unheimliche ist, seit dem ersten großen Anstieg keiner Menschenseele mehr begegnet zu sein. Und die Schluchten und Abgründe, die sich immer wieder zu den Füßen auftun, oftmals dazu noch von Nebel oder Wolken verhüllt.

Ich hoffe, wir erreichen bald eine der Herbergen, die es hier geben soll.

AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE

Fortune kniete neben dem Gepäck und riss ein Stück Dörrobst in kleine Stücke. Eines davon streckte er dem neugierigen Äffchen entgegen, das sich halb hinter einen Stein duckte, halb dahinter hervorschielte.

»Da, sieh her. Ich habe hier was für dich.«

Sie hatten schon oft solche Affen mit langem braunen Fell und Backenbärten gesehen; in den frühen Morgenstunden sprangen ganze Horden zwischen den Felsen herum. Dies war auch die Zeit, in der kleine Hirsche und Rehe aus dem Gebüsch hervorglitten, um an den Bächen zu trinken, mit ihren weichen Mäulern Gräser abzuzupfen und dabei ihre sanftmütigen Blicke umherschweifen zu lassen. Die Mittagszeit gehörte den Greifvögeln am Himmel und den Echsen, die in der Sonne badeten, während in der Abenddämmerung manchmal etwas umherhuschte, das Fortune an ein Gürteltier erinnerte und das Lian nur unter dem Namen Was sich zusammenrollt kannte.

Dieser Affe war das erste Tier, das sich näher heranwagte.

Fortune legte das Stück Obst auf den Boden und zog die Hand zurück. Das Äffchen schien zu überlegen, machte dann einen Satz vorwärts, griff sich den Imbiss und verzehrte ihn schmatzend an Ort und Stelle.

Die nächsten Happen schnappte es sich aus Fortunes Fingern, der sich an der Mimik des Affen freute, an den genüsslichen Geräuschen, die er von sich gab.

»Ich würde dir gern mehr geben, aber wir haben selbst nicht viel. Und wir wissen nicht, wie lange unser Proviant noch reichen muss.«

Um ihren schwindenden Vorrat zu strecken, hatte Lian sich aufgemacht, um nach Beeren und Wurzeln Ausschau zu halten.

Mit seinen schimmernden Augen, die an grüne Oliven erinnerten, musterte der Affe die leere Hand, die Fortune ihm hinhielt.

Fortune zuckte zusammen, als der Affe plötzlich seinen Zeigefinger packte und festhielt. Ein Schauder überlief ihn, denn diese winzige Hand war warm und fühlte sich nicht mehr ganz nach Tier an. Nicht wie ein Hund, eine Katze, eine Kuh oder ein Schaf. Fast wie die Finger eines Säuglings. Ein Wesen, das irgendwo auf halbem Weg zwischen Tier und Mensch stand, mit einer Mimik, die zwischen Kind und Greis pendelte: in einem Lächeln, einem fragenden Stirnrunzeln, den zusammengekniffenen Augen voller Unmut. Wie eine seltsame Spiegelung des Menschen, von einer merkwürdigen Ähnlichkeit, die Fortune ebenso verstörte wie sie ihn berührte.

Er bedauerte es, als der Affe die Zähne bleckte und ihn losließ. In flinken Sätzen sprang er davon und verschwand hinter den Felsen.

Fortune richtete sich auf und streckte sich, legte den Kopf in den Nacken, hielt das Gesicht der Sonne entgegen.

Berauscht war er von der Schönheit dieser Bergwelt. Geriffelte Felswände, die im warmen Abendlicht weich aussahen wie Falten in einem schweren Seidenstoff, die Silhouetten der Kiefern wie Papierschirme oder luftige Pagoden. Felsnadeln wie verwunschene Märchengestalten und Felsen, die an einen Löwen erinnerten, an einen Drachen und an einen dickbäuchigen Buddha. Und immer wieder Wolkenfelder, durch die sie hindurchwandern mussten, nahezu blind und nur auf die anderen Sinne angewiesen, eine kühle, rauchige Nässe auf den Lungen. Bis sie dann aus den Wolken hervorbrachen und staunend auf dieses weißneblige Meer blickten, das sich bis zum Horizont erstreckte und in dem Berggrate wie einsame Inseln schwammen. Unter einem Himmel, so blau, dass er sicher im obersten Bereich von Humboldts Cyanometer lag.

Mit dem Ärmel wischte Fortune sich über das schweißnasse Gesicht; Hemd und Hose klebten auf seiner Haut. Verlangend blinzelte er zu dem kleinen See hinüber, der sich türkisblau in die Umarmung von Sträuchern, Felsen und hohen Gräsern schmiegte und über dem Libellen surrend aufzuckten wie dunkelrote Flämmchen.