Nur einen Wimpernschlag lang durchfuhr ihn der Gedanke an Bakterien und Amöben, an Würmer und Krankheiten, dann zerrte er sich seine durchgeschwitzten Sachen vom Leib und watete hinein.
Das Wasser war kühl, aber nicht allzu kalt. Herrlich war es, das erste richtige Bad seit … Ewigkeiten.
Fortune hielt die Luft an und tauchte unter.
60
Er war nicht zu überhören, wie ein junger Hund prustete und planschte er im Wasser umher.
Laut lachte er sein Glück heraus; dieses jungenhafte Lachen in seiner tiefen Männerstimme, das ich so liebte.
Im Schutz des Dickichts setzte ich mich auf einen Stein und spähte durch das Blattwerk hindurch; die Beeren, die ich suchen wollte, aber nicht gefunden hatte, vergaß ich sogleich.
Er richtete sich auf, schüttelte sich mit dem Finger Wasser aus dem Ohr. Strich sich über den Kopf, als hätte er in diesem Moment vergessen, dass ihm nur ein Haarschatten geblieben war.
Bäche rannen durch das dunkle Haar, das nass auf seiner Brust klebte. Ein schwerknochiger Mann war er, mit schlanken, langgestreckten Muskeln. Ein Mann, der es gewohnt war, Erde umzugraben und Wurzeln aus dem Boden zu reißen.
Ein solch starker Mann, mit einer solch sanften Seele.
Ein Mann aus der Fremde, der sich von diesem Land hatte formen lassen. So wie er meinen Gedanken eine neue Gestalt, eine neue Richtung gegeben hatte. Etwas in mir weckte, das ich tot geglaubt, das aber nur im Schlaf gelegen hatte. Seit Yun, zehn Jahre lang.
Ein sanftes Glühen begann in meinem Bauch zu pulsieren, wie das erste Schnobern eines jungen Drachen.
Ich musste daran denken, dass der Drache ursprünglich weiblich gewesen war. Bis die Herrscher bei Hofe ihn einfach männlich machten, damit er zu den Mythen passte, die sie um sich selbst spannen.
Das Wasser in Flüssen und Seen und im Meer war weiblich, ebenso der Regen. Eine uralte, ewige Kraft, die sich jetzt in mir regte.
Ich streifte den Schwertgurt über meinen Kopf, legte Long Yuan sorgsam ins Gras und schlüpfte aus meiner Jacke. Bei jedem Kleidungsstück, das ich ablegte, erforschte ich mein Gewissen.
Stumm blieb es, bei jedem einzelnen meiner Herzschläge.
Ich konnte nicht anders, es war stärker als ich.
Geräuschlos ließ ich mich ins Wasser gleiten, nackt.
61
Fortune horchte auf, wischte sich über die Augen und blinzelte ins Wasser hinunter.
Ein Schatten glitt auf ihn zu, schillerte mal blassgolden, mal fast weiß, mit einer fließenden Mähne wie pechschwarzes Seegras.
Er konnte sich nicht rühren; sein Verstand war blank, seine Seele wie gebannt.
Ein Wassergeist, wie aus einer alten Sage. Eine Nixe.
Ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier, das durch die Oberfläche brach, sich schüttelte und dabei nach allen Seiten Tropfen versprühte.
Lian, die aus voller Kehle lachte. Ein Lachen, das ihn tief im Magen traf.
Lian, die ihn anlächelte, aus ihren dunklen, unergründlichen Augen. Ohne ihr Schwert. Ohne einen Faden am Leib.
Genau wie er.
Hastig beugte er die Knie, tauchte bis über die Schultern unter.
Eine letzte Spur von Scham verwässerte. Der letzte Rest von Willenskraft wusch aus, und er driftete auf Lian zu, die der See in seine Arme trieb. All ihre sanften Rundungen, ihre Muskeln, die auf eine Art stark waren, wie sie es wohl nur bei einer Frau sein konnten, fein und stramm zugleich, wie Stränge von Seide.
Sie umschlang ihn mit den Armen, den Beinen, dem ganzen Leib. Nahm ihm für einen Augenblick die Luft zum Atmen. Er musste sie festhalten, damit sie nicht zusammen untergingen.
Ihre Haut war kühl vom Wasser; darunter ging eine Wärme von ihr aus, die ihn einhüllte, bis weit unter seine eigene Haut sickerte.
Es waren ihre Augen, in denen er sich verlor. In dieser dunklen Tiefe, die ihn einsog, der er sich ohne Gegenwehr überließ. Ihr Mund schmeckte nach dunklen Beeren, mit einer Schärfe, die ihn hungrig machte nach mehr.
Nicht hier. Nicht so.
Er nickte, unsicher, ob es ihre Worte gewesen waren oder seine. Ob überhaupt jemand sie ausgesprochen hatte, sie nicht vielmehr als Gedanke in der Luft lagen, während Lian ihr Gesicht in seine Halsbeuge presste, seine Hand über ihr nasses Haar strich.
Als ob sich Partien seiner Haut abschälten, so war es, als Lian sich von ihm löste, untertauchte und unter Wasser davonglitt, einmal mehr nur ein Schatten und ebenso flüchtig.
In seiner Brust, seinem Becken brannte es, und doch war ihm kalt.
Lange saß er danach auf einem Stein, mit weichen Knien, fahrigen Händen, unter seinen Kleidern bereits wieder trocken.
Er hatte noch nie eine andere Frau berührt außer Jane. Nicht … so.
Auf eine solch unbeherrschte Art, die sich tief in seine Seele grub. Gierig. Wollüstig. Ohne Verstand. Ohne Gewissensbisse.
Er war Jane noch nie untreu gewesen.
Als er Schritte hörte, hob er den Kopf. Angezogen und in Stiefeln, das Schwert auf dem Rücken, wich Lian seinem Blick aus, lächelte nur mit gesenktem Kopf vor sich hin.
Während er ihr nachging, den schmalen Pfad entlang, der sich an der Flanke des Berges entlangwand, blieb sein Blick auf ihren Zopf geheftet. Auf das Wasser, das aus ihrem Haar tropfte, über dem schmalen Flügel des Schwerts einen dunklen Streifen auf ihre blaue Jacke malte.
Als könnte er nur so sichergehen, dass es kein Traum gewesen war.
62
Die Herberge war nicht mehr als ein Schuppen, der windschief auf einem Felsvorsprung unterhalb des Pfades klebte. Ein Schwalbennest, von Menschenhand teils aus dem Stein herausgehauen, teils mit Holz hineingebaut.
Nichts für furchtsame Gemüter, dachte Fortune. Nicht einmal für kühnere Seelen, sobald die Sonne unterging. Sobald die hereinbrechende Dunkelheit die Grenzen zwischen Himmel und Berg auszulöschen begann und die Herberge dann in der finsteren Nacht schweben würde.
Erst in dem Zwielicht im Innern dieses Nestes fasste Fortune Mut. Im Strahlen der sich verabschiedenden Sonne, das den nackten Raum, das notdürftige Lager am Boden sanft erhellte.
»Lian, ich …«
Sie streckte den Arm aus und legte die Finger auf seinen Mund. »Was es auch ist … Kann es warten bis morgen?«
Fortune nickte.
Lian trat einen Schritt zurück. Es klirrte leise, als sie ihr Schwert auf dem Boden ablegte. Sie schälte sich aus ihrer Jacke, den Stiefeln, zog ihr Hemd über den Kopf. Und Fortune wurde zu ihrem Spiegelbild: mit einem Kleidungsstück nach dem anderen.
Wie eine seltene Orchidee war Lian.
In ihren Sepalen und Petalen, ihrem Labellum. Ihrer seidigen Festigkeit. Dem weichen Samt eines Gynostemiums. Feinnervig, empfindsam und maßlos. Mit ihrem Duft, der schwer war und berauschend.
Er hatte nicht gewusst, dass es so sein konnte. Ein solcher Rausch, ein solcher Taumel. Ein solches Glück.
Mit einer Frau, die weich und nachgiebig war, zugleich fordernd und drängend, mit den Narben eines Kriegers auf der Haut. Schriftzeichen aus einer fremden Welt, die er in dieser Nacht mit den Fingerspitzen, seinem Mund zu lesen lernte: Geschichten eines ungezähmten Lebens, eines wilden, freien Herzens. Geschichten von Abenteuern und Wanderschaft und Kampf. Fast wie aus alten Legenden und doch von dem pulsierenden, glühenden Leben erfüllt, das er auf seiner Haut spürte. Unter seinen Händen. An seinem eigenen Leib.
Es gab dunkle Mächte, hier in diesen Bergen.
Geister heimlichen Begehrens. Drachen, die verzehrendes Feuer spien. Dämonen, die sich aus der Tiefe der eigenen Seele hervorschlängelten und einem offen ins Gesicht blickten.
Fortune lernte, mit ihnen zu tanzen, in dieser Nacht. Diese Mächte furchtlos zu umarmen, halb auf sicherem Fels gegründet, halb im freien Fall.
63
Er schlief. Den Schlaf eines erschöpften, an Leib und Seele gesättigten und seligen Mannes.
Ich war noch wach, meine Augen auf ihn gerichtet, als könnte ich ihn sehen in der Dunkelheit. Mich versichern, dass er da war, bei mir.