Als läge nicht sein Arm wie ein gefällter Baum auf meinen Rippen; ein Gewicht, das mich nur flach atmen ließ und von dem ich mich dennoch nicht befreien wollte. Als wäre ich nicht umgeben von der Hitze, die sein Körper abstrahlte, und spürte nicht, wie seine Brust sich unter meiner Wange hob und senkte, das dichte Haar darauf nicht weich, nicht kratzig, sondern irgendetwas dazwischen. Weicher jedenfalls als die Bartstoppeln, die auf Kinn und Wangen zu sprießen begonnen hatten und im Sonnenlicht des Tages wie Kupfer glänzten.
Fortune. Xingyun.
Dieser fremde Barbar, der letztlich einfach ein Mann war.
Ein Mann, der mich mit seiner Güte angelockt und mir mit seinen Blumen das Herz gestohlen hatte. Der zärtlich sein konnte und dann doch in eine unvermutete Wildheit ausbrach, die mich in ihrer Unschuld seltsam berührte. Mit einer Wucht, einer Gewalt, die meiner entgegengesetzt war und ihr doch entsprach.
Ich hatte zu wissen geglaubt, wie es war, zwischen Mann und Frau. Ich hatte es geliebt, damals mit Yun, es ausgekostet und seither manchmal vermisst. Aber ich hatte nicht gewusst, dass die Erfüllung sein konnte wie eine Lotosblüte, die sich in meinem Innern öffnete, in den Farben eines Regenbogens glühte und pulsierte. Bevor sie dann langsam wieder verlosch, aber kostbare Samenkörnchen zurückließ; sirrende Fünkchen, überall im Leib, in den Gliedern, bis in die Fingerspitzen und Zehen hinein. Bis auf den Grund der Seele hinunter.
Ich schlang den Arm um Fortune, drückte das Gesicht fester an seine Brust. Trank seinen Geruch, der so fremd war, so vertraut. Wie ein dunkler Wald voll alter, hoher Bäume und wie die regenfeuchte Erde, in denen sie wurzelten. Durchmischt mit dem Schweiß, den wir vergossen hatten. Mit dem Salzwasser seines Yang. Dem Süßwasser meines Yin.
Ich spürte, wie etwas an mir zupfte und zog, irgendwo in meiner Brust, in der Gegend meines Herzens. Vielleicht gab es ihn doch, diesen roten Faden, der zwei Seelen von Geburt an miteinander verband. Falls dem so war – dann war ich froh, ihm gefolgt zu sein.
Bevor ich an Fortune geschmiegt einschlief, fragte ich mich wie alle närrischen Liebenden, ob das Spiel von Wolken und Regen nicht eigens für uns beide in die Welt gekommen war.
Es musste so sein, in dieser Nacht zwischen Himmel und Erde.
64
War es Wirklichkeit oder ein Traum? Oder bin ich in einem Märchenland angekommen?
Ich kann mir nicht helfen, meine Vorstellungskraft schweift unkontrolliert umher, und ich fange an, gleich mehrere Luftschlösser auf einmal zu bauen. Das erlaube ich mir heute und vielleicht auch morgen. Sie kosten schließlich nichts, und wenn es sein muss, lassen sie sich leicht wieder einreißen.
AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE
Ein Meer aus Wolken im zarten Licht des neuen Tages, noch unberührt von Morgenröte.
Fortune saß auf dem Felsvorsprung, einmal mehr staunend über diese Laune der Natur, die so greifbar schien und doch so flüchtig war. Ein Zauber, der mehrere Elemente miteinander verband und doch keinem von ihnen ganz anzugehören schien.
Pure Poesie, jenseits aller Worte.
Es war der stillste Ort, den er sich vorstellen konnte. So still, dass er seine eigenen Atemzüge, seinen Herzschlag überlaut hören konnte. Eine Stille, in der Ruhe und Klarheit bei ihm Einzug hielten.
Ein Gefühl von absoluter, vollkommener Freiheit war es hier oben. Eine erhabene, beinahe schwindelerregende Freiheit.
Sein Blick wanderte über die Inseln dieses Meeres und über seine Küste: die Bergrücken und Felsgrate, von den ersten Sonnenstrahlen mal als schwarze Monolithe gezeichnet, mal wie Bernstein leuchtend.
Berge wie diese mussten es sein, die die Wolken fingen und dafür sorgten, dass China so reich an Regen war. Luftströmungen über dem Wechselspiel von Ebenen und Gebirge schufen ein vielfältiges Klima, das für alle denkbaren Pflanzen Platz bot. Flusstäler und Schluchten bildeten einen geschlossenen Raum, in dem sich Arten ungestört entwickeln konnten. Chinas Größe, aber auch sein facettenreiches Gesicht waren der Grund für diesen außerordentlichen Reichtum an Pflanzen. Eine Fülle, eine Vielfalt, wie es sie vielleicht kein zweites Mal auf dieser Welt gab.
Er hatte geglaubt, die Beschaffenheit der Natur zu kennen. Ihre Grundlagen. Ihre Mechanismen.
Die Natur war jedoch kein Uhrwerk aus zwar zusammenhängenden, aber eigentlich voneinander unabhängigen Teilen, das man beliebig auseinandernehmen und wieder zusammensetzen konnte. Ein eigenständiges Wesen war sie. Ein lebendiger, atmender Organismus, eigenwillig und noch voller Rätsel.
Alles hing zusammen und bedingte einander: Himmel und Erde und Berge, Pflanzen und Tiere und Menschen. Untereinander verbunden in einem hauchfein gewobenen, unendlich komplexen Netz, das seinem ganz eigenen Herzschlag, seinen eigenen Atemzügen folgte. Wo auch immer man an diesem Netz zog, es zusammenzurrte oder dehnte, es vielleicht sogar zerriss – es würde weitreichende Folgen haben. Weiter, als des Menschen Verstand und Sicht womöglich ermessen konnte.
Ein Menschenleben würde nicht ausreichen, um dieses Netz zur Gänze zu erforschen und zu verstehen, vielleicht würden auch die Wissbegierde und die Studien vieler Generationen dafür nicht ausreichen.
So viel er aus Büchern auch gelernt hatte und auf seinen Streifzügen durch die Wiesen Berwickshires, im Botanischen Garten von Edinburgh und in den Treibhäusern von Chiswick – die Begegnung mit der überbordenden, ungezähmten Wildnis Chinas hatte seinen Blick geöffnet.
Er wünschte sich, er könnte länger bleiben. Noch mehr von diesen Schätzen an Pflanzen und Blumen entdecken und studieren, von der Küste bis an den Himalaya, vom weitesten Westen bis zum östlichsten Osten.
Obwohl kein vernünftiger Mann des Westens sich wünschen konnte, hier in China zu leben oder zu sterben. Das war ihm bewusst, nach allem, was er hier gesehen hatte.
Die Jahrtausende alte Zivilisation der Chinesen, in der Kunst und Kunsthandwerk, Sprache und Schrift und nicht zuletzt der Gartenbau zu raffinierter Blüte kultiviert worden waren, war nicht mehr als ein dünner, brüchiger Firnis, unter dem der Sumpf der Barbarei faulte. Vielleicht der natürliche Lauf der Welt, der jede große Zivilisation einmal ereilt, sobald sie aufhört, vorwärts zu streben, neue Wege zu gehen. Sobald sie sich auf ihren Errungenschaften ausruht und der Fäulnis der Dekadenz anheimfällt, wie das alte Griechenland oder Rom einst.
Vielleicht hatte alles seine Zeit, Epochen und Reiche und Kulturen ebenso wie Menschen und Tiere und Pflanzen.
Und dennoch schien es ihm unvorstellbar, dieses Land wieder zu verlassen. In sein altes Leben zurückzukehren.
Hinter sich nahm er behutsame Bewegungen wahr, spürte gleich darauf Lians Wärme an seinem Rücken. Ihre Arme schlossen sich um ihn, und sie schmiegte die Wange in seinen Nacken.
Das Notizbuch noch in der Hand, den Bleistift zwischen den Seiten, legte er die andere Hand auf ihren Arm.
»Komm mit mir nach England.«
65
Ich schwieg.
Nach allem, was er mir von seinem Land erzählt hatte, nach allem, was ich von den Engländern gesehen hatte, war sein Land keines für mich. Kein Land, in dem eine Frau wie ich frei leben konnte, weniger noch als hier, und ich konnte nicht eingesperrt sein. Nirgendwo.
Auch ohne dass es in diesem Land noch eine Ehefrau gab und zwei Kinder.
»Ich könnte auch hierbleiben«, sprach er weiter. »Weiter Xinghua sein. Mir einen echten Zopf wachsen lassen. Irgendwo auf dem Land Pflanzen züchten und verkaufen.«
Die Bestimmtheit seiner ersten Worte war nach und nach abgebröckelt; schwankend klangen sie zuletzt. Mehr nach einer schwachen Hoffnung, denn nach echter Überzeugung.
Dies war kein Land für unrealistische Träume. Kein fremder Barbar konnte auf Dauer in Sicherheit und Frieden hier leben, und ich an Fortunes Seite ebenso wenig. Und keine Tarnung währt ewig: Jede Lüge, die man zu leben versucht, bekommt irgendwann Risse und Lücken, die sie zum Einsturz bringen.